# taz.de -- Interview über Primatenforschung: "Affen sind keine Nutztiere" | |
> Tierversuche stoßen auf mehr Empörung als Schlachthöfe, sagt der | |
> Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Ein Gespräch über das Verhältnis von | |
> Mensch und Tier, Folter und Tierliebe, Darwinismus und Religion. | |
Bild: Affen sind uns Menschen ähnlicher als beispielsweise Kühe oder Schweine. | |
taz: Herr Macho, das Verhältnis Tier/Mensch … | |
Thomas Macho: … gibt es so nicht: Tier und Mensch sind ja Abstraktionen - | |
den Menschen gibt es ebenso wenig wie das Tier. Es gibt viele verschiedene | |
Tiere, und es hängt immer davon ab, welche Arten betroffen sind. Bei | |
Experimenten mit Fröschen oder Regenwürmern ist die Öffentlichkeit deutlich | |
weniger mobilisierbar als bei Tieren, die man als besonders menschenähnlich | |
erleben kann wie eben die Makaken. | |
Das erklärt aber noch nicht, warum über Versuchstiere viel heftiger | |
gestritten wird als beispielsweise über Schlachtvieh. Woran liegt das? | |
Ich denke schon, dass sich da eine gewisse Skepsis und Beunruhigung in | |
Bezug auf die modernen Wissenschaften zum Ausdruck bringt. Aber diese | |
Debatten haben auch andere Wurzeln: Mit auslösend waren zweifellos die | |
Entdeckungen der Gen- und Bioforschung selbst. | |
Inwiefern? | |
Plötzlich hatte man erfahren und konnte in jeder Zeitung wiederholt lesen, | |
dass wir mit den Menschenaffen zu 98,5 Prozent verwandt sind, also fast | |
identische Gene haben, ja dass selbst die Verwandtschaft mit sogenannten | |
niederen Tierarten erheblich höher ist, als man angenommen hätte. | |
Und das wird nicht als Kränkung verstanden? | |
Ich habe den Eindruck, dass sich da etwas verändert hat. Freud hatte sicher | |
recht, als er sagte, die Menschheit habe drei große Kränkungen erlitten: | |
durch Kopernikus, Darwin und durch ihn selbst. Das ist damals sicher so | |
empfunden worden. Heute wird die darwinistische Kränkung eher als | |
tröstliche Botschaft kommuniziert, etwa unter der Überschrift: "Wir sind | |
nicht allein". | |
Das heißt? | |
Das heißt: Wir sind verwandt mit dem Lebendigen an sich. Die alte Idee der | |
"Kette der Wesen" wird neu entdeckt. Vor hundertfünfzig Jahren hätte man | |
aus dem Darwinismus die Sklaverei abgeleitet. Heute fungiert die Behauptung | |
der Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren eher als Argument gegen | |
Sklaverei, Folter und Missbrauch der Tiere. Es geht nicht mehr um die | |
Frage, wer die Krone der Schöpfung ist, sondern um die Frage: Sind wir in | |
diesem riesigen Universum ganz allein? Oder Teil einer großen, geteilten | |
Geschichte unzähliger Arten des Lebendigen? | |
Und deshalb freut man sich über die Meldung, dass Makaken Babysprache | |
verstehen? | |
Genau! | |
Und dass sie zählen können und etwas rechnen? | |
Das erscheint mir als ganz wesentliches Element. Kürzlich habe ich eine | |
zweiteilige TV-Serie auf Arte gesehen: über kluge Vögel und Vögel als | |
Werkzeugmacher. Was da mit Begeisterung über Vögel erzählt und anschaulich | |
gezeigt wurde, demonstriert eine erstaunliche Nähe zwischen spezifischen | |
Tieren, zwischen Rabenvögeln, Affen - und Menschen. | |
Dafür mutiert im Gegenzug dann der Forscher zum Monster, der in effigie | |
gehängt oder als "Makaken-Mengele" diffamiert werden darf? | |
Dass die Debatten so emotional ausgetragen werden, finde ich irritierend | |
und beunruhigend. Hier werden offenbar ganz andere Probleme stellvertretend | |
mitbearbeitet. Wenn der Bremer Hirnforscher Andreas Kreiter als | |
"Makaken-Mengele" beschimpft wird, so wird implizit eine Auseinandersetzung | |
mit den Mentalitäten der NS-Medizin geführt: Gefragt wird nach jenen | |
wissenschaftlichen Haltungen, die womöglich den Zusammenbruch des | |
Nazi-Regimes überlebt haben. | |
Aber ist das nicht typisch? | |
Der emotionale und affektive Aufwand, der in solchen Konflikten betrieben | |
wird, hat natürlich Symptomwert. Die Aufregung speist sich auch aus | |
mythischen Potenzialen, Vorstellungen von Doktor Frankenstein oder Doktor | |
Moreau in H. G. Wells berühmtem Roman, der … | |
… auf seiner Insel | |
… Tiere und Menschen miteinander kreuzt, Lebewesen viviseziert, foltert und | |
systematisch züchtet. | |
Gegenstück der tierschützerischen Stilisierung des Neurobiologen als mad | |
scientist ist in Bremen der Versuch, sich im Bild des Bauern zu | |
beschreiben, der keine Kühe, sondern eine Herde von Rhesusaffen im Stall | |
hält. | |
Das ist ein wichtiger Hinweis. Für das öffentliche Bewusstsein -und | |
eigentlich auch für die Wissenschaft - sind die Makaken des Bremer | |
Wissenschaftlers keine Nutztiere. Nutztiere sind für uns Tiere, die wir | |
essen und die wir auch auf eine merkwürdige Weise aus unserer Empathie | |
ausgeschlossen haben: Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine. Auf Affen kann dieser | |
Begriff nicht angewendet werden: Affen sind keine Nutztiere. | |
Warum? | |
Gerade die Affen sind so etwas wie ferne Brüder, die in einer exotischen, | |
vielleicht sogar ersehnten Wildnis leben und die zu Unrecht eingesperrt, | |
versklavt und gefoltert werden - wie ehemals zahllose Afrikanerinnen und | |
Afrikaner. | |
Tierfolter wäre dann doch die angemessene Metapher? | |
So weit würde ich nicht gehen. Ich finde es aber wichtig, diesen Aspekt zu | |
bedenken, weil ich auch dafür eintrete, etwa das Folterverbot so scharf wie | |
möglich zu fassen. Gerade wenn großer Wert darauf gelegt wird, das Verbot | |
der Folter nicht zu relativieren, kann es nicht schaden, auch die Folter | |
von Tieren energisch zu verurteilen. | |
Und Jeremy Benthams kurz nach Verbot der Sklaverei in Frankreich verkündete | |
Vision, dass jetzt die unterdrückte Tierheit befreit und emanzipiert werden | |
muss, wird mehrheitsfähig? | |
Wir tendieren dazu, ihr allmählich zuzustimmen - und uns selbst als Erben | |
und Geschwister der Tiere zu sehen. An diesem Punkt bin ich selbst immer | |
ein bisschen ambivalent, weil ich natürlich die historischen Argumente | |
kenne: den Hinweis etwa, dass Tiere erst geliebt wurden, als sie nicht mehr | |
gebraucht wurden. Und dennoch finde ich diese Liebe richtig. Je inklusiver | |
wir die Menschenrechte lesen und interpretieren, desto ernster nehmen wir | |
sie. Menschenrechte für bestimmte Tiere nutzen auch den Menschen. | |
Historisch ist das problematisch: Das Tierversuchsverbot war eins der | |
ersten Gesetze des Hitler-Regimes. | |
Die Nazis haben auch die Schaustellung von Krüppeln- den sogenannten | |
erbkranken Menschen - in Freakshows, wie sie damals in ganz Europa | |
verbreitet waren, verboten. Man hat argumentiert, die Ausstellung | |
behinderter Menschen sei nicht humanitär. Man hielt es tatsächlich für | |
humanitärer, sie gleich umzubringen. Dass die Tierschutzbewegungen nicht | |
nur von netten Tierliebhabern unterstützt wurden, sondern eben auch von den | |
Nazis, lässt sich nicht bestreiten. Aber ich würde zögern, daraus | |
weitreichende Schlussfolgerungen abzuleiten. | |
Außer dass die Beziehung von Tier- und Menschenrechten eher dialektisch als | |
harmonisch verläuft? | |
So kann man es ausdrücken. | |
Aber wie ließe sie sich harmonisieren? Wie sähe die vegane neue Welt aus? | |
Die Welt muss nicht veganisch werden. Wer die Beziehungen zwischen Tieren | |
und Menschen neu gestalten will, muss nicht automatisch zum | |
Zwangsneurotiker konvertieren, der Angst hat, einer Fliege etwas zuleide zu | |
tun. Das ist Quatsch, es war ja auch nie so. Die Beziehungen zwischen | |
Menschen und Tieren wurden in so vielen Kulturen anders gestaltet als in | |
unserer gegenwärtigen Welt, und dennoch waren diese Kulturen keineswegs | |
vegan. Nur hat es in ihren Kontexten zu den Pflichten der Jäger gehört, | |
sich bei den erlegten Tieren zu entschuldigen. Man hat Tiere gegessen, aber | |
in einer Haltung des Respekts und im Bewusstsein, umgekehrt auch den Tieren | |
einmal als Nahrung zu dienen. Die Idee, dass der große Metabolismus, der | |
Austausch der Stoffe, in Verbindung steht mit der Idee der "Kette der | |
Wesen", der Vorstellung unserer Verwandtschaft mit allen anderen Lebewesen, | |
wurde in vielen Kulturen praktiziert, und nicht nur in solchen, die wir | |
heute als indigene Stammeskulturen beschreiben. Diesen Austausch gab es | |
auch in der europäischen Geschichte. Er ist uns erst in der Neuzeit | |
verloren gegangen. Eigentlich geht es heute um eine Art von Wiedergewinnung | |
dieser Perspektive. | |
Und wir bewegen uns auf ein Zeitalter der Naturreligion zu? | |
Nein, das glaube ich nicht. Aber in einem nachreligiösen Zeitalter, in dem | |
nicht die eigene Unsterblichkeit und eine umfassende Heilsgeschichte im | |
Mittelpunkt stehen, sucht und findet man eine Art von Trost beim Gedanken | |
an die Verwandtschaften des Lebendigen. Gerade nach dem Verlust der | |
Sinnstiftung durch die Hochreligionen haben diese Trostformen große | |
Bedeutung gewonnen. | |
INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER | |
19 Nov 2008 | |
## TAGS | |
Tierversuche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verzögerte Genehmigung für Tierversuche: Senatorin quält Affenquäler | |
Obwohl die linke Bremer Gesundheitssenatorin Tierversuche an Affen längst | |
hätte genehmigen müssen, verschleppt sie die Entscheidung. | |
AFFEN UND IHRE VERWANDTEN: Kreiter muss zurückstecken | |
Mit harten Bandagen polemisiert der Makaken-Forscher Andreas Kreiter gegen | |
Kritiker. Dabei hält er sich offenbar nicht immer an die Wahrheit: Nun | |
musste er eine Unterlassungs-Erklärung unterschreiben. | |
Der Bremer Streit um die Makaken: Die Stadt der Affen | |
Nach mehr als einem Jahrzehnt Dauerstreit will Bremen seit Jahren laufende | |
Tierversuche beenden. Die Uni und der Neurowissenschaftler Andreas Kreiter | |
haben Klage eingereicht. |