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# taz.de -- Debatte Krieg in Syrien: Macht und Minderheiten
> Der Assad-Clan schlägt Kapital aus der Multireligiosität des Landes und
> hält Minderheiten in fataler Abhängigkeit. Eine Zwischenbilanz.
Bild: Weiß sich zu vermarkten: Assad in Damaskus, Anfang Mai 2015
Je stärker die konkurrierenden islamistischen Terrormilizen IS und
Al-Nusra-Front werden, je brutaler der Krieg wird, desto erfolgreicher kann
sich das syrische Regime als Schutzmacht vermarkten. Obwohl die von Baschar
al-Assad befehligten Soldaten und Söldner für den überwältigenden Teil der
Hunderttausenden Toten in Syrien verantwortlich sind, hält sich im Westen
hartnäckig die Überzeugung, der Diktator wäre dennoch das geringere Übel –
immerhin schütze er die Minderheiten.
Es ist daher interessant, sich zu vergegenwärtigen, auf welch
unterschiedliche Weise der Westen und das Assad-Regime sich dem
Minderheitenschutz widmen. Die westliche Sorge basiert wesentlich auf der
Überzeugung, dass es notwendig ist, einen Völkermord etwa an Christen oder
Ismaeliten zu verhindern, und trägt dem Umstand Rechnung, dass eine ganze
Gesellschaft vor der Zerreißprobe steht, wenn Minderheiten verfolgt werden.
Assad hingegen behandelt die Minderheitenfrage pragmatisch: Es liegt in
seiner Macht, Minderheiten zu schützen – oder eben nicht. Die im wahrsten
Sinne des Wortes essentiellen Bedürfnisse der zu Beschützenden spielen
dabei für ihn keine Rolle. Was für ihn zählt, ist allein der Machterhalt.
Im August 2014 wurde die Welt von der Belagerung Sindschars und der
Verfolgung der Jesiden durch den IS aufgerüttelt. Im gleichen Moment
verringerte das syrische Regime seine Präsenz im Umland von Salamiyya
massiv – in einer Gegend, in die der IS offen drohte, vorzurücken, und die
als inoffizielle Hauptstadt der ismailitischen Minderheit in Syrien gilt.
Die alarmierten Einwohner von Salamiyya beobachteten, wie Truppen und
schweres Geschütz abgezogen wurden. Das Regime ließ gerade genug Waffen und
Kämpfer zurück, um nicht offen den Eindruck zu erwecken, die Stadt im Stich
zu lassen. Zurück blieben im Wesentlichen regimenahe Milizen, die den Ruf
haben, wenn es hart auf hart kommt, als Erste zu fliehen. Die Bewohner
fühlten sich alles andere als geschützt.
Umgehend ersuchte ein Mitglied des hohen ismailitischen Rats um ein Treffen
mit Präsident Assad an und bat um Verstärkung – ohne Erfolg. „Die Antwort
war: ,Wir haben 24.000 Männer aus Salamiyya zu mobilisieren versucht, damit
sie sich der syrischen Armee anschließen, aber das haben sie verweigert.
Sollen sie doch die Stadt beschützen“. So berichtet es Maher Esber, ein
Aktivist aus Salamiyya.
## Die Miliz rückt näher
Es ist schwierig zu überprüfen, in welchem Umfang das syrische Regime
tatsächlich Truppen aus Salamiyya abgezogen hat. Daran, dass der IS näher
rückt, besteht jedoch kein Zweifel. Im März berichtete die syrische
Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass 70 Regimesoldaten an
Checkpoints nahe Salamiyya getötet worden seien. Das Regime, das
normalerweise über Verluste in den eigenen Reihen schweigt, nannte
ebenfalls diese Zahl. Ein besonders heftiger Angriff auf ein benachbartes
Dorf ereignete sich Ende März 2015. Die Kämpfer kamen in den frühen
Morgenstunden auf Motorrädern und töteten mehr als 30 Bewohner, darunter
Frauen und Kinder.
Mohammad A., ein Aktivist aus Salamiyya, der aus Sicherheitsgründen nicht
mit vollem Namen genannt werden möchte, berichtete uns in einem
Hintergrundgespräch, dass „Soldaten von der 47. Brigade und den Nationalen
Verteidigungskräften“ das Dorf verlassen hätten, kaum dass es angegriffen
wurde, angeblich, um Verstärkung anzufordern. Als andere Bürger jedoch den
sieben Kilometer entfernten Stützpunkt Mansuriya angerufen hätten, sei
keine Verstärkung gekommen. Stattdessen begann ein zielloses Bombardement
des Ortes, das viele zivile Opfer forderte. Diese Darstellung wurde von
einer Reihe anderer Aktivisten aus Salamiyya in den sozialen Medien
untermauert.
Trotz dieser dramatischen Zwischenfälle und obwohl der IS keine Zweifel
daran lässt, in diese Gegend westlich von Hama vordringen zu wollen, hat
das Regime seither nichts unternommen, um hier stärker aufzutreten. Es hat
seine Verantwortung an Milizen unter dem Schirm der Nationalen
Verteidigungskräfte ausgelagert – irreguläre Kämpfer, die zu einer
quasistaatlichen Organisation umetikettiert wurden. Es handelt sich zumeist
um Männer ohne oder nur mit marginaler militärischer Ausbildung. Sie sind
berüchtigt dafür, zu plündern und ihre Mitbürger zu terrorisieren.
## Lücke in der Berichterstattung
Der instrumentelle Umgang mit Minderheiten hat durchaus Tradition. Als 2012
Rebellenangriffe auf die Klöster und Kirchen der berühmten christlichen
Stadt Maalula Schlagzeilen machten, fehlte beim Großteil der
Berichterstattung ein entscheidender Punkt: Das Regime hatte kein Militär
vor der Stadt postiert, um sie vor dem Einfallen der islamistischen
Rebellen zu schützen. Stattdessen positionierte man sich absichtsvoll
zwischen den Gotteshäusern und setzte sie damit Angriffen aus. Umstände,
die nicht zuletzt die im Libanon lebende und arbeitende Journalistin Ana
Maria Luca seinerzeit in einem Artikel über den politischen Missbrauch der
Christen in Syrien sehr gut herausarbeitet hat.
Die Ismailiten sind, nach den Christen, die wohl bekannteste syrische
Minderheit. Dies ist maßgeblich auf ihren prominenten geistlichen Anführer,
den Aga Khan, und das mit seinem Namen assoziierte Entwicklungsnetzwerk
zurückzuführen. In der zynischen Abwägung des Regimes ist seine
internationale Bekanntheit ein Pfund. Um als Beschützer gewürdigt zu
werden, gilt es die Minderheiten regelmäßig daran zu erinnern, welcher
Gefahr sie als Schutzbedürftige ausgesetzt sind – damit sie nicht etwa
gegen das Regime aufbegehren.
Ein verzweifelter Diktator ist zu allem fähig, daran lässt Baschar al-Assad
keinen Zweifel. Minderheiten in Syrien spüren immer mehr, wie sehr sie zum
Spielball eines Regimes geworden sind, das nur noch wenige Teile des Landes
zu kontrollieren imstande ist. Und der Westen spielt mit.
28 May 2015
## AUTOREN
Haid N. Haid
Bente Scheller
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
„Islamischer Staat“ (IS)
Irak
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