# taz.de -- Debatte Bologna-Reform: Die Bachelorlüge | |
> Noch immer ist der Bachelor verhasst. Dabei bietet die Bologna-Reform die | |
> große Chance, die Hochschulen gerechter zu machen. | |
Bild: Master als „Privileg einer relativ kleinen Schicht“? Von wegen. | |
Seltsam. Noch immer werden die gestuften Abschlüsse Bachelor und Master | |
nicht akzeptiert. Nach mehr als zehn Jahren geht das Wehklagen nahezu | |
unvermindert weiter. Ganz vorne in die Front der Bologna-Kritiker reihte | |
sich unlängst der Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, ein: | |
Ein Bachelor in Physik, schimpfte er, sei für ihn nie im Leben ein | |
Physiker. | |
Derzeit prüft eine Arbeitsgruppe der Hochschulrektoren, was die | |
Studienreform gebracht hat. Nicht nur die Bachelor-Absolventen in Physik | |
hoffen auf ihre Ehrenrettung. | |
Dass die Kritik so sehr verfängt, liegt vielleicht an der Begleitmusik, die | |
die Studienreform immerzu als Teil eines neoliberalen Umbaus der Hochschule | |
beklagte, als Ausverkauf alter, hehrer Bildungsideale. Die neuen Abschlüsse | |
wurden von Anfang an nie mit ihrem stärksten Argument verkauft: Sie bergen | |
das Potenzial, die Hochschulen gerechter zu machen und durch ein | |
strukturiertes und berechenbareres Studium auch all diejenigen anzulocken, | |
die bisher zurückschreckten. | |
## Struktur für Bildungsaufsteiger | |
Als die europäischen Hochschulminister 1998 in Bologna den Startschuss zur | |
Studienreform gaben, hatten sie andere Ziele vor Augen: europaweit | |
vergleichbare Abschlüsse und eine größere internationale Mobilität der | |
Studierenden. Also Anliegen, die ehrenwert sind, aber eher in die | |
Luxuskategorie fallen. Bologna zu nutzen, um die Hochschulen zu öffnen, | |
dieser Gedanke spielte nie die Rolle, die er verdient, bis heute nicht. | |
Von 100 Akademikerkindern schaffen es 71 an die Hochschule. Von 100 | |
Kindern, deren Eltern nie studiert haben, werden gerade einmal 23 später | |
einen Hörsaal von innen sehen. Weil die Hochschulen ganz am Ende einer | |
langen Kette des Aussiebens und Abschulens stehen, sind sie nicht die | |
ersten Verdächtigen, wenn es darum geht, gleiche Bildungschancen zu | |
verwirklichen. Damit entlässt man sie allerdings vorschnell aus der | |
Verantwortung. Denn selbst die Nichtakademikerkinder, die sich bis zum | |
Abitur durchboxen, nehmen anschließend viel seltener ein Studium auf als | |
die Töchter und Söhne von Ärzten, Professoren und Anwälten. | |
Wer keine studierten Eltern hat, als Vorbild oder Mutmacher, dem erscheint | |
das Studium leicht als lang, zäh und ungewiss – und der unterschätzt | |
darüber den Nutzen, der am Ende steht. Die alten Magister- und | |
Diplomstudiengänge mussten in dieser Hinsicht wahre Schreckgespenster für | |
Abiturienten aus nichtakademischen Elternhäusern sein. | |
Ein über Jahre in größtmöglicher Anonymität und mit marginalem | |
Professorenkontakt dahinwaberndes Selbstlernprogramm – mit nichts kann eine | |
Universität den Sohn der Verkäuferin und die Tochter des Bäckers besser | |
draußen halten. Wer akademische Welt nicht aus den Erzählungen vom | |
Küchentisch kennt, der wird darin eher eine Versumpfungsgefahr erkennen und | |
keine Freiheit, die beglückende Bildungserlebnisse bereithält. Die | |
Banklehre erscheint da als der sicherere Weg in die Zukunft. Auch mit | |
Top-Abitur. | |
## Und die Bildungsfernen? | |
Die Bologna-Reform hat das Studieren nun in überschaubare Strecken | |
portioniert; einen Bachelor zu machen dauert kaum länger als eine | |
Berufsausbildung, ein Hochschulabschluss wird greifbarer für diejenigen, | |
denen er vorher fern erschien. | |
Zugegebenermaßen weiß man leider kaum, ob Bologna diese ihre größten | |
Versprechen bisher zu erfüllen vermochte. Eine Studie des HIS-Institut für | |
Hochschulforschung zeigt, dass sich allenfalls an den Fachhochschulen eine | |
Tendenz abzeichnet, wonach in den Bachelor-Studiengängen mehr | |
Bildungsaufsteiger immatrikuliert sind als in den traditionellen Angeboten. | |
Und eine Studie der Uni Göttingen konnte keine gestiegene Studierfreude der | |
Bildungsfernen seit der Bologna-Umstellung ausmachen. | |
Weil es kaum Forschung gibt, lässt sich über die Hintergründe nur | |
spekulieren: Mit einem kürzeren und strukturierteren Studium mag Bologna | |
zwar für Abiturienten aus Nichtakademikerfamilien die Schwelle zur Aufnahme | |
eines Studiums gesenkt haben. Aber vor einem Abschluss, der auf dem | |
Arbeitsmarkt als nicht etabliert gilt, könnten wiederum gerade die | |
besonders pragmatisch denkenden Bildungsaufsteiger zurückschrecken. Das | |
alte Studium lang und ungewiss, das neue kurz und aussichtlos – dieser | |
Eindruck hat sich womöglich eingestellt. | |
Dabei ist das eindeutig ein Zerrbild. Bachelor-Absolventen haben gute | |
Chancen auf dem Arbeitsmarkt – wie übrigens Akademiker im Allgemeinen. | |
Manche Bachelor-Absolventen, so eine Auswertung der gewerkschaftsnahen | |
Hans-Böckler-Stiftung, verdienen sogar deutlich besser als | |
Hochschulabgänger mit traditionellen Abschlüssen. Aber bei den | |
Entscheidungen über den Lebensweg verlässt man sich nun einmal weniger auf | |
Statistiken als auf persönliche Eindrücke und gefühlte Wahrheiten. | |
## Der Master für alle | |
Hier könnte die Politik nachhelfen. Sie könnte ein klares Signal setzen und | |
jedem Bachelor-Absolventen einen Masterstudienplatz in seinem Fach | |
zusichern. Die überwiegende Mehrheit der Bachelor-Absolventen strebt | |
bereits jetzt einen Master an – übrigens den Unkenrufen zum Trotz in aller | |
Regel ohne größere Probleme. Warum also keine Garantie für einen | |
Masterplatz? | |
Damit könnte gerade denen, für die Studieren keine Selbstverständlichkeit | |
ist und denen der Bachelor noch als unsichere Qualifikation erscheint, die | |
Entscheidung erleichtert werden. Berufserfahrungen, die man nach dem ersten | |
Abschluss sammelt, sollten außerdem im Masterstudium angerechnet werden – | |
damit sich auch später noch die Rückkehr an die Uni lohnt. Auch das kann | |
helfen, das Vertrauen der Schulabgänger aus nichtakademischen Familien in | |
das Studium zu stärken. | |
Denn Bologna darf sich nicht von der Zwei-Stufen- in die | |
Zwei-Klassen-Bildung verwandeln. Genau die hatte einst der | |
Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratungsgremium der Politik in | |
Hochschulfragen, vor Augen, als er bereits 1966 die Zerlegung des Studiums | |
in zwei Abschnitte vorschlug. Der letztere sollte dabei „das Privileg einer | |
relativ kleinen Schicht“ bleiben. Der Vorschlag scheiterte. Zu Recht. | |
13 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernd Kramer | |
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