# taz.de -- Datenschützer über Post-Privacy: "Das kann nach hinten losgehen" | |
> Jeder soll im Netz seine Privatsphäre öffnen, fordern die | |
> Post-Privacy-Verfechter. Das Problem: "In 20 Jahren können dich deine | |
> Statements einholen", sagt Datenschützer Ralf Meschke. | |
Bild: Ausgeleuchtet vom Netz | |
taz: Die aufkommende Post-Privacy-Bewegung fordert hundertprozentige | |
Transparenz im Internet. Jeder soll "nackt" sein. Wenn sich heute die | |
meisten Leute ganz ungeniert in der Öffentlichkeit geben, wieso sollten sie | |
dann im Netz ihre Privatsphäre schützen? | |
Ralf Meschke: Niemand muss seine Privatsphäre schützen. Wenn jemand sich | |
unbedingt darstellen möchte, kann er das ja tun. Es ist aber nichts, was | |
ich empfehlen würde. Das kann nämlich nach hinten losgehen: Der Arbeitgeber | |
bekommt Dinge mit, die ihn nichts angehen – oder man zieht in drei Jahren | |
auf ein Dorf, in dem manche Leute ein Gedankengut von 1920 haben. Menschen | |
werden dort mit anderen Problemen konfrontiert als in der Großstadt. | |
Lebt man in der Großstadt besonders gefährlich? Ist Berlin die Hauptstadt | |
des Internets? | |
Nö. Ich glaube, dass Berlin eine kulturelle Hauptstadt ist. Das macht | |
Berlin besonders und kaum vergleichbar. Die Menschen sind multikulti und | |
sehr offen. Hier konnte sich sogar der Bürgermeister outen, homosexuell zu | |
sein. | |
Er hat damit das getan, was Post-Privacy-Aktivisten propagieren. Wowereit | |
hat einen entscheidenden Teil seines Privatlebens preisgegeben, ohne sein | |
Gesicht zu verlieren. | |
Ich finde wichtig, dass diskutiert wird und Vorurteile abgebaut werden, | |
aber solche privaten Äußerungen müssen freiwillig stattfinden. Die | |
Privatsphäre muss geschützt bleiben. | |
Wann darf ich mich online darstellen, wann nicht? | |
Selbstmarketing, zum Beispiel bei Facebook, ist in Ordnung unter der | |
Voraussetzung, dass du aufgeklärt bist. Firmen und Anbieter nutzen Daten zu | |
eigenen Zwecken, sie beeinflussen dich. Von ihnen wirst du nicht | |
ausreichend informiert. Ich sehe dafür den Staat verantwortlich, er muss | |
eine vernünftige Gesetzgebung schaffen, die Anbieter wie Facebook zur rein | |
zweckmäßigen Datenverarbeitung verpflichtet. In der Politik wird viel | |
Augenwischerei betrieben. Die Werbung tut ihr Übriges: Alles ist hip und | |
hübsch, hurra, aber dahinter verbirgt sich ein echtes Problem. | |
Lassen wir uns für dumm verkaufen? | |
Ja. Aber das ändern Fachleute. Die müssten nur mehr an Schulen gehen. Ich | |
denke, dass die Kultusminister die Möglichkeit haben, die Lehrpläne | |
anzupassen. Der Staat ist noch zu langsam für das Internet, das sich in | |
einer irren Geschwindigkeit entwickelt. | |
Kann zu viel Plapperei für mich als Staatsbürger gefährlich werden? | |
Das ist abhängig von dem System, in dem du lebst. In einem totalitären | |
System bekommst du mit öffentlichen Statements zu brenzligen Themen ein | |
echtes Problem, da kannst du richtig bluten. Eine Demokratie lässt dagegen | |
zu, dass Dinge transparenter werden, ohne dass du Angst vor den | |
Konsequenzen haben musst. Es hängt davon ab: In welcher Situation befindest | |
du dich und wie entwickelt sie sich? Und weil wir nicht wissen, wie sich | |
die Lage entwickelt, kann der Schuss nach hinten losgehen. Dann passt denen | |
deine Meinung nicht und du hast ein Problem. | |
Hätte ich während des Dritten Reichs bei Facebook gepostet, dass ich schwul | |
bin, wäre ich in große Schwierigkeiten gekommen. | |
Stimmt. Wir wissen doch, dass wir zu unterschiedlichen Zeiten | |
unterschiedliche Probleme haben können. Da das Internet nichts vergisst, | |
könnten dich deine heutigen Statements vielleicht in 20 Jahren wieder | |
einholen. Und dann? | |
Klingt sehr pessimistisch. | |
Das hat nichts mit Pessimismus zu tun. Das ist realistisch. Wir sehen ja, | |
wie das im arabischen Frühling abgelaufen ist, als die Regierung merkte, | |
dass ihre Bürger aufsässig wurden. Schnell wurde daran gearbeitet, in | |
fremde Privatsphären einzugreifen, um Leute zu maßregeln. Man kann nicht | |
einfach seine Meinung im Netz äußern, weil man nie weiß, wer gerade seine | |
Augen drauf hat. | |
Früher hatten die Menschen Angst, als die Fotokamera auf den Markt gekommen | |
ist. Plötzlich konnte man alles und jeden fotografieren und die Bilder im | |
Bekanntenkreis verbreiten. Werden wir uns in 20 Jahren nicht selbst | |
auslachen, dass wir "damals" so einen Schiss vor der Online-Darstellung | |
hatten? | |
Das ist möglich. Allerdings hat das, was du jetzt Angst nennst, auch seine | |
Berechtigung: Digitale Medien verbreiten sich im Vergleich erheblich | |
schneller und umfassender. Wenn du selbst bei Facebook ein Foto | |
reinstellst, hast du das Motiv ja noch in der Hand. Was aber, wenn jemand | |
anders ein Bild von dir postet? Das kann schneller gehen, als dir lieb ist. | |
Auf einer Party zum Beispiel bewegst du dich in einer sehr lokalen | |
Öffentlichkeit. Wenn ich dort mit Freunden einen über den Durst trinke, ist | |
das was anderes, als wenn sich eine Million Nutzer im Internet über ein | |
Saufbild von mir lustig machen. | |
27 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Helaifi | |
Gustav Beyer | |
## TAGS | |
Post Privacy | |
Schwerpunkt Meta | |
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