# taz.de -- Coronaproteste in Hamburg: Kein bisschen Frieden | |
> In Hamburg brachte die Sorge vor Impfungen am Wochenende mehrere tausend | |
> Menschen auf die Straße. Der Senat verhängte eine Maskenpflicht für | |
> Demos. | |
Bild: Mit Aluhut und Holzkreuz: Teilnehmer der Hamburger Coronademo am Samstag | |
HAMBURG taz | Ohne Maske und Abstand: Am Samstag waren in Hamburg wieder | |
Querdenker:innen und Coronaleugner:innen [1][auf den Straßen]. | |
Das organisierte Auftreten ohne die allgemein gültigen Maßnahmen gegen die | |
Pandemie ist längst ein symbolischer Akt. Hoch politisch, hoch emotional | |
war dann auch die Atmosphäre. Wer eine Maske trug, outete sich sogleich, | |
kein:e vermeintliche:r Freiheits- und Grundrechteverteidiger:in | |
zu sein – also nicht zum gebotenen Widerstand zu gehören. | |
Die Demonstration könnte die letzte offiziell angemeldeten Aktion dieser | |
Form gewesen sein. Der Hamburger Senat hat am Dienstag die Maskenpflicht | |
bei Demos beschlossen. Weitere Maßnahmen für Versammlungen werden | |
überprüft. | |
Die Auflagen dürfte das schon bestehende Narrativ der angeblich bestehenden | |
Diktatur befeuern. „Fällt der Maulkorb, fällt das verfassungsfeindliche | |
Corona-Regime!“ stand am Samstag auf einem der vielen selbstgemalten | |
Protestschilder. Ein älterer Herr, gediegen gekleidet mit Hut, hatte sich | |
das Schild auf den Rücken geschnallt. Schlichter Gekleidete, aber auch | |
alternativ Ausstaffierte waren zu der Demonstration gekommen. Die | |
Veranstaltenden sprachen von 13.000 Protestierenden, die Polizei von 8.000 | |
Teilnehmenden. | |
Zum Auftakt schimpfte ein Redner vor der Kunsthalle in der Innenstadt über | |
einen der Lautsprecherwagen gegen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) | |
„und wie die alle heißen“. Er drohte: „Sie alle werden zur Rechenschaft | |
gezogen!“ | |
## Nicht der erste Vergleich mit dem Nationalsozialismus | |
Auf einem anderen Schild steht „Nürnberg“. Vielleicht eine Andeutung, dass | |
man sich ein Gerichtsverfahren gegen die für die Maßnahmen Verantwortlichen | |
vorstellt. Die Botschaft ist zugleich eine Gleichsetzung von der | |
Bundesrepublik mit dem Dritten Reich. Von 1945 bis 1949 standen in Nürnberg | |
einige Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. | |
Redende der Bewegung verglichen die Bundesrepublik schon öfter mit dem | |
Nationalsozialismus. An der Alster ragte aus der großen Masse auch ein | |
kleines Schild heraus: „Nein zum Corona-Faschismus“. | |
In vielen Städten im Norden – Hannover und Lüneburg, Kiel und Flensburg, | |
Bremen und Bremerhaven – fanden in den vergangenen Tagen Proteste statt. | |
Der Höhepunkt der Demonstrationen schien eigentlich vorbei. [2][Doch der | |
Schein trog], denn die Bewegung war nie weg; sie hat sich zudem | |
radikalisiert. Nicht, weil Rechtsextreme sich von Beginn mit einreihten, | |
sondern aus ihren eigenen Positionen heraus: Das Masketragen wurde schon | |
als Bevormundung stigmatisiert, die Impfmöglichkeit wird mittlerweile als | |
Angriff auf den eigenen Körper angefeindet. Die Abwehr mit allen Mitteln | |
scheint geboten – wenn die Einträge [3][in den Telegram-Kanälen] der | |
Bewegung ernst genommen werden. | |
Im deutschsprachigen Raum herrscht seit Beginn der Möglichkeit zur Impfung | |
Anfang des 19. Jahrhunderts eine Skepsis. Vor allem aus dem bürgerlichen | |
Milieu wurde damals das Impfen als Eingriff auf den eigenen Körper gesehen, | |
welcher der Natur, Schöpfung oder Spiritualität zuwiderlaufe. So | |
unterschiedlich die Begründungen für die Skepsis waren, so gemein haben sie | |
die Annahme, dass die Immunisierung die Selbstheilung des Körpers | |
verhindere. Diese Naturheilung wird bis heute als alternative Medizin gegen | |
die sogenannte Schulmedizin gestellt. | |
In der Debatte um die Impfkritik wird auf die deutsche Romantik verwiesen, | |
die einen Kult um Natur und Gefühl betrieb. Die sich anbahnende Moderne, | |
mit Vernunft und Logik die Welt zu beherrschen, wurde beklagt. | |
„Entzauberung“ nennt der Soziologe Max Weber das 1919 in [4][„Wissenschaft | |
als Beruf“]. Er warnte vor dem antirationalistischen Wunsch, durch ein | |
Zurück „zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt“den | |
Intellektualismus zu überwinden. | |
## Lieder von Hannes Warder und Nicole | |
In der berechtigen Kritik an der Moderne wegen der Entfremdung des Menschen | |
von sich, seinen Mitmenschen und der Natur werden aber kaum | |
gesellschaftlichen Bedingungen, die auch schon im 19. Jahrhundert zu | |
Umwelt- und Naturzerstörung führten, angeprangert. Statt kritischer | |
Aufklärung erfolgte eine unkritische Sehnsucht nach einer anfänglichen | |
un-entfremdeten Urgemeinschaft. Diese Annahme einer geschlossenen | |
Gemeinschaft ist alleine schon eine Ambivalenz zu rechtem Denken. Diese | |
Verzauberung der Welt bedingt Irrationalismus und Esoterik und geht mit | |
einer Wissenschaftskritik einher, die zu Wissenschaftsfeindlichkeit oder | |
Verschwörungsnarrativen führen kann. | |
Am Samstag blieb die Kritik am Impfen nicht bloß das dominante Thema, die | |
gegenwärtigen Narrative über „Gates“ & Co. waren ebenso virulent. Die | |
Diversität der Teilnehmenden wurde auch sicht- und hörbar: Über ein | |
Megaphon schallte „Die Internationale“ in der Interpretation von Hannes | |
Wader, über einen anderen Lautsprecher „Ein bisschen Frieden“ von Nicole. | |
14 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gewaltsamer-Protest-von-Querdenkenden/!5814601 | |
[2] /Coronaproteste-in-Brandenburg-und-Berlin/!5822395 | |
[3] /Deutsche-Politik-attackiert-Telegram/!5819085 | |
[4] http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Wissenschaftslehr… | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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