# taz.de -- Buch zu den wahren Ursachen des Brexits: Wo du herkommst | |
> Nele Pollatschek sucht in „Dear Oxbridge. Liebesbief an England“ | |
> Antworten auf die Frage, wie es so weit kommen konnte mit den Briten und | |
> ihrem Brexit. | |
Bild: Christ Church College in Oxford, hier hat sich seit Jahrzehnten kaum etwa… | |
Eines Tages wacht sie auf und ist praktisch schuldenfrei. Und das nur, weil | |
die Briten beim Referendum am 23. Juni 2016 mehrheitlich für den Austritt | |
aus der EU votierten. Mit dem Pfund kollabiert auch die Summe an | |
Studiengebühren, die sie entrichten muss. Die, der dieses Schuldenwunder | |
geschah, heißt Nele Pollatschek. Sie ist nicht nur Autorin eines | |
wundervollen Romanes über eine meschugge Familie, sondern hat auch an jenem | |
Ort studiert, der seit Jahrhunderten Chiffre für die Elitenausbildung ist: | |
in Oxford. | |
Nun hat sie ein Buch geschrieben, über ihr Studium an diesem | |
verheißungsvollen Ort, über das akademische System, aber vor allem über die | |
Konsequenzen, die die Elitenausbildung in Oxford und Cambridge für die | |
gesamte britische Gesellschaft hat. Dear Oxbridge heißt es und ist, so sagt | |
bereits der Untertitel, auch ein Liebesbrief an das wunderbar verschrobene | |
Land. | |
Nur weil Pollatschek vom Brexit profitiert, heißt das noch lange nicht, | |
dass sie sich darüber freut. Natürlich denkt sie an die zahlreichen | |
ausländischen Studenten, Dozenten und Angestellten des Campus, deren | |
Zukunft nach dem Brexit unklar ist. Und dann sind da noch die Briten, die | |
sehenden Auges auf ein Desaster zusteuern, das selbst die Brexiteers in | |
seinen Auswirkungen mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. Aber den hat man | |
ja auch überstanden. Mit stiff upper lip und lautlosem Erdulden. Mustn’t | |
complain, wie die Briten gerne murmeln. | |
Nur, wer hat dieses Elend verschuldet? Es dämmert Pollatschek, dass der | |
Sehnsuchtsort, der ihre Schuldenlast erzeugte, zugleich der Ursprung der | |
Brexit-Querelen ist. Denn praktisch alle, die die Geschicke des Landes | |
lenken, erhielten ihre Ausbildung in Oxford oder Cambridge. Das gilt für | |
Theresa May, David Cameron und natürlich Boris Johnson. Ausgerechnet der | |
Ort, der Pollatschek eine ausgezeichnete akademische Ausbildung | |
ermöglichte, ihr vor allem für seine „kindness“ in Erinnerung geblieben | |
ist, bringt seit Generationen eine Politikerkaste hervor, bei der man nicht | |
als Erstes an Freundlichkeit oder Höflichkeit denkt. | |
## Nobel ausgebildet | |
Das hat Gründe. Überproportional viele Oxbridge-Studenten wurden an noblen | |
Privatschulen wie Eton ausgebildet. Dort werden sie von klein auf für die | |
Anforderungen des Studiums an den Eliteuniversitäten geschult. Der Drill | |
trägt Früchte. | |
Schon während des Studiums knüpfen die Studenten beste Kontakte in Politik | |
und Wirtschaft. Das sichert gute Beziehungen und noch bessere Jobs nach dem | |
Abschluss. Wer wie Pollatschek aus der Mittelschicht, gar aus einer | |
Arbeiterfamilie stammt, der verliert auch während des Studiums nicht aus | |
dem Blick, wie ungeheuer privilegiert dieser Ort ist. | |
Pollatschek beschreibt Tafeln mit edlen Menüs, die kostenlos oder zu | |
kleinem Preis serviert werden. Für die Studenten der Oberschicht aber sind | |
die Privilegien so stark mit der eigenen Identität verwachsen, dass sie | |
unhinterfragbar werden. Das erfolgreiche Studium ist ihnen Beweis ihrer | |
Leistungsfähigkeit, aber diese hat Voraussetzungen, die außerhalb des | |
Individuums liegen. Das übersehen sie, wenn sie vom Leistungsgedanken | |
predigen. | |
„Dear Oxbridge“ erzählt von einem System, das brillante Denker und | |
empathielose Politiker hervorbringt. Es erzählt aber auch von den herrlich | |
verschrobenen Inselbewohnern, ihren fragwürdigen Sanitärinstallationen und | |
dem Ort auf der Welt, an dem man wirklich gut fluchen lernt. | |
1 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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