# taz.de -- Black-Lives-Matter-Demos: „Wir sind Deutschland“ | |
> Auch an diesem Wochenende soll es wieder Antirassismus-Demos geben. Drei | |
> Organisator*innen aus Bremen, Leipzig und München erzählen. | |
Bild: Etwa 15.000 Menschen demonstrieren bei der Silent Demo in Berlin am 6. Ju… | |
## „Es weht ein anderer Wind“ | |
Seit Oktober studiere ich Global Studies in Leipzig, seit vier Jahren gebe | |
ich rassismuskritische Workshops. Ich bin Teil des Organisationsteams des | |
Black-Lives-Matter-Protests am vergangenen Sonntag. Entstanden ist die Idee | |
für die Demo in einer Telegram-Gruppe für die BIPOC-Community in Leipzig | |
nur eine Woche zuvor. Zunächst waren wir nur vier Leute, mittlerweile sind | |
wir fast 60. | |
Wir sind ein Bündnis von Menschen aus verschiedenen Gruppen, die sich für | |
diese Demo zusammengetan haben. Wir haben gesagt: Okay, jetzt ist es an der | |
Zeit, dass wir auf die Straße gehen, damit Menschen uns zuhören. | |
Insbesondere in Leipzig wollen wir uns sichtbar machen. Hier in der Stadt | |
gibt es sehr viel politisches Engagement und viele Netzwerke, auf die wir | |
zurückgreifen konnten. Aber gleichzeitig ist es immer noch eine Stadt im | |
Osten, in der wir als Schwarze Menschen sehr unterrepräsentiert sind. | |
Uns war es wichtig, dass es an diesem Tag um Black People geht und wir als | |
BIPOC-Community in Solidarität mit diesen auf die Straße gehen. Das ging | |
dann alles recht schnell. Mitte der Woche hieß es, dass das Ordnungsamt mit | |
1.000 Menschen rechnet, an dem Tag selbst waren es dann über 15.000. Ich | |
glaube, uns ist allen erst nach der Demo bewusst geworden, was wir da | |
eigentlich gemacht haben. | |
Ursprünglich wollte ich gar keine Rede halten, aber ich war so überwältigt, | |
dass ich es gemeinsam mit meiner Schwester doch gemacht habe. Das hat sich | |
durch die ganze Organisation gezogen: Dass es vor allem für Schwarze | |
Menschen ein riesiger Tag war. Für viele, ich selbst inklusive als Schwarze | |
Deutsche, war es der erste Tag, an dem wir sagen konnten: Wir sind | |
Deutschland. | |
Meine Forderung in der Rede war, dass weiße Menschen sich weiter mit | |
Rassismus beschäftigen. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, können | |
sich das nicht aussuchen. Unser Appell ist, den Ball in das andere Feld zu | |
spielen und zu sagen: Ihr müsst jetzt die Entscheidung treffen, denn wir | |
können den Rassismus ohne euch nicht stoppen. Wir haben schon so viel | |
geweint, unsere Erfahrungen geteilt. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand | |
Mitleid für die traumatischen Erfahrungen zeigt oder sagt: „Ich bin Teil | |
des Problems und muss jetzt ein eigenes rassismuskritisches Bewusstsein | |
schaffen.“ | |
Das ist eine große Forderung von uns: Es geht nicht nur um die Demo, es | |
geht um einen Prozess. Es weht ein anderer Wind, in dem auch weiße Menschen | |
in die Pflicht genommen werden, sich weiterzubilden. Protokoll: Sarah | |
Ulrich | |
## „Die Luft hat förmlich gebrannt“ | |
Bei der Silent Demo in München mit 25.000 Teilnehmern durfte ich die | |
Eröffnungsrede halten. Ich war überwältigt von den Menschen, es war eine | |
Welle von großen Gefühlen und Zusammenhalt, die Luft hat förmlich gebrannt. | |
Es ist unglaublich, dass so viele für die Black Community zum Königsplatz | |
gekommen sind. | |
Zum Team der Silent Demo bin ich über die Afrojugend München gestoßen, bei | |
der ich seit einigen Jahren Mitglied bin. Bei einem kleineren Trauermarsch | |
für George Floyd haben wir linke Gruppen kennengelernt und uns für die | |
Organisation der Demo zusammengeschlossen. Das geschah innerhalb weniger | |
Tage. | |
Geboren wurde ich in Frankfurt am Main, mit zehn Jahren bin ich mit meiner | |
Familie nach München gezogen. Nach dem Gymnasium habe ich in der | |
Gastronomie und im Vertrieb gearbeitet, jetzt bin ich Junior Sales Manager | |
in der Personalberatung und vermittle Fachkräfte für Augenärzte. | |
Politisch bin ich schon immer stark interessiert. Man möchte ja seine | |
eigenen Wurzeln erkunden, deshalb befasse ich mich viel mit Kolonialismus, | |
Kapitalismus und Afrika. Der Alltagsrassismus hier fängt in der U-Bahn an, | |
wenn sich Leute von einem wegsetzen. Natürlich gibt es in München und in | |
Deutschland auch strukturellen Rassismus. Schwarze Menschen werden etwa | |
viel häufiger von der Polizei kontrolliert oder unangemessen lange | |
festgehalten, das passiert mir immer wieder. | |
Bei der Demo war ich auch Ansprechpartner für die Polizei, die hat sich | |
sehr kooperativ verhalten und uns auch wohlwollend gewähren lassen. Doch | |
wie viele Polizisten sind Afrodeutsche? Eben – da stimmt vieles nicht in | |
unserer Gesellschaft. Jetzt hält unser Team weiterhin regelmäßig Meetings | |
ab und wir versuchen, größer zu werden und andere Afro-Gruppen einzubinden. | |
So sind wir in Kontakt mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland | |
(ISD) und dem Arbeitskreis Panafrikanismus München. | |
Wir arbeiten gerade an konkreten Forderungen, etwa der Abschaffung von | |
Racial Profiling bei der Polizei. Wir wollen als Afrodeutsche in der Stadt | |
München mehr Gehör finden und aktiv am politischen Leben teilnehmen. Jetzt | |
nach der Demo hat uns erstmals die städtische Fachstelle für Demokratie | |
geschrieben und uns zu einem Gespräch eingeladen. | |
Angola sehe ich als meine zweite Heimat an, meine Eltern sind von dort | |
während des Bürgerkriegs Mitte der 80er nach Deutschland geflohen. | |
Verschiedene Kulturen sind eine Bereicherung für einen selbst, für München | |
und für Deutschland. Das sehen meine Eltern und meine neun Geschwister | |
genauso. Wir wollen nicht von Rassismus und Rassisten in eine Opferrolle | |
gedrängt werden, da muss man rigoros dagegenhalten. Protokoll: Patrick | |
Guyton | |
## „Mehr als nur ein Instagram-Trend“ | |
Obwohl ich in Hannover wohne, schlägt mein Herz noch in Bremen, dort bin | |
ich aufgewachsen. Nach dem Tod von George Floyd wollte ich unbedingt zur | |
Black-Lives-Matter-Demo nach Bremen fahren, um die Community dort zu | |
unterstützen. Ich habe etliche Leute gefragt, ob wir zusammen hingehen | |
wollen, aber alle haben abgesagt, teilweise mit absurden Begründungen wie: | |
„Ich bin zum Keksebacken verabredet.“ Ich war schockiert und traurig, | |
schließlich sind das meine Freunde. Erst in Bremen fand ich Anschluss an | |
eine Frau, die ich nur flüchtig kannte. | |
Im Zug dorthin gab es eine komische Situation. Man kann sich ja wegen | |
Corona nicht zu fremden Menschen in einen Vierer setzen. Da saß also ein | |
Mann alleine, eine Familie stieg ein und wollte gern zusammensitzen, aber | |
dann hätte der Mann sich wegsetzen müssen. Er meinte: „Nö, dann muss ich ja | |
rückwärts fahren.“ Da habe ich gedacht, es geht nicht nur um Rassismus, | |
sondern auch generell um Egoismus. Wie kann es sein, dass Menschen so | |
rücksichtslos sind? Diese Gedanken habe ich sofort aufgeschrieben, das war | |
der Beginn meiner Rede. | |
Auf der Demo in Bremen waren auch meine Geschwister, die sind 17 und 19, es | |
war ihre erste Demo. Meine Schwester hat mir dort erzählt, dass die anderen | |
Schüler*innen in der Schule früher zu ihr sagten, wenn sie lange genug ihre | |
Hände wäscht, würden die weiß werden. Da wurde mir klar, dass ich noch nie | |
mit meinen Geschwistern über Rassismus gesprochen habe. So emotionsgeflutet | |
stand ich auf der Demo und wollte sofort auf die Bühne und alles erzählen, | |
aber ich dachte, das ist zu impulsiv, und habe mich zurückgehalten. | |
Als ich zu Hause war, habe ich alles noch mal sacken lassen und mich dann | |
bei einer Organisatorin der Black-Lives-Matter-Demo gemeldet, die ein paar | |
Tage später in Hannover stattfinden sollte. Dort habe ich dann auch meine | |
Rede gehalten. Die Organisatorin hatte ich mal bei einem Video-Shooting | |
kennengelernt. Ich tanze HipHop, seit ich sechs bin. | |
Bei dem Videodreh habe ich auch die Vorsitzende des Jugendverbands der | |
Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) kennengelernt und gebe | |
HipHop-Kurse für den Verein. In der Coronazeit mussten die ja ausfallen, da | |
habe ich gemerkt, dass der Verein auch sonst sehr wertvolle Arbeit macht, | |
auch gegen Rassismus. Jetzt engagiere ich mich als Teammitglied. Zwei Tage | |
nach der Demo wurden die Scheiben des Vereinshauses eingeschlagen. | |
Von der Bundesregierung wünsche ich mir, dass sie mehr Aufklärungsarbeit an | |
Schulen leistet. Wenn man Ausgrenzung erfährt, hat man damit jahrelang zu | |
kämpfen. Als junges Mädchen habe ich krankhaft versucht, so europäisch wie | |
möglich auszusehen und nicht mit Afrolocken in die Schule zu gehen. Erst im | |
Laufe der Zeit lernt man seine individuellen Besonderheiten zu lieben. Da | |
würde ich mir mehr Feinfühligkeit von der Gesellschaft wünschen. Und die | |
Black-Lives-Matter-Bewegung muss ernst genommen werden. Es darf kein | |
Instagram-Trend bleiben. Protokoll: Katharina Schipkowski | |
13 Jun 2020 | |
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