# taz.de -- Biomasse-Plantagen: Lauter Bäume und doch kein Wald | |
> Vattenfall pflanzt im Umland Pappeln an – geschreddert werden sie in | |
> Berlin zu Öko-Energie. Die Idee ist gut, aber immer noch ein winziges | |
> Pflänzchen. | |
Bild: Glienick bei Zossen: Der Holzernter saugt die Pappeln ein, als wären es … | |
Wenn es einen echten Hotspot gibt im Märkischen Viertel, der | |
Reinickendorfer Trabantenstadt, dann befindet er sich zweifelsohne hier: | |
Ein kleines Fenster hinter einer schweren Luke gibt den Blick frei auf ein | |
1.000 Grad heißes Glutmeer, aus dem feurige Fontänen steigen. Einen Moment | |
lang lässt Marc Koch, Betriebsleiter des Vattenfall-Heizkraftwerks an der | |
Wallenroder Straße, den Besucher das Inferno bestaunen, dann geht es | |
weiter, treppauf, treppab, vorbei am Pumpsystem für die Fernwärme, der | |
Turbine zur Stromerzeugung und der Rauchreinigungsanlage – bis ins | |
Hackschnitzellager. | |
Was sich in dieser Betongruft häuft, sieht aus wie das, was Hobbygärtner | |
aus dem Schredder leeren, wenn sie Äste und Sträucher darin zerkleinert | |
haben, nur etwas gröber und in gewaltigen Mengen. Es riecht angenehm | |
harzig, während ein riesiger Greifer an Schienen über die Berge gleitet und | |
Ladung für Ladung in den Förderschacht fallen lässt. „70.000 Tonnen | |
Holzhackschnitzel können wir hier im Jahr verfeuern“, erklärt Koch, | |
„beheizt werden damit rund 30.000 Haushalte, bis rüber zum Paracelsusbad.“ | |
Eingespart werden damit gegenüber der Verwendung fossiler Brennstoffe jedes | |
Jahr 26.000 Tonnen Kohlendioxid. | |
Im Vergleich zu den großen, mit Kohle oder Gas betriebenen Anlagen von | |
Vattenfall ist das Biomassekraftwerk im Märkischen Viertel ein Zwerg. Seine | |
Leistung beträgt gerade mal 5 Megawatt (MW) elektrischer und 18 MW | |
thermischer Energie, also Fernwärme. Dagegen erzeugen etwa die mit | |
Steinkohle betriebenen Blöcke Reuter und Reuter West in Siemensstadt | |
zusammen gut 750 MW Strom und etwas mehr als 1.000 MW Wärme. Auf die | |
Gesamtleistung aller Berliner Vattenfall-Kraftwerke bezogen, liefert Kochs | |
Kessel deutlich weniger als 1 Prozent. Trotzdem ist er etwas Besonderes: Er | |
verbrennt einen nachwachsenden Rohstoff – und der größere Teil davon wird | |
quasi gleich um die Ecke angebaut. | |
Glienick, ein kleiner Ortsteil von Zossen im Süden von Berlin: An diesem | |
Februartag ist es um den Nullpunkt kalt, gegen Mittag reißen die Wolken | |
auf. Die Sonne scheint auf graubraune Stoppelfelder, dunkelgrüne | |
Kiefernwälder und eine lange Reihe Windräder am Horizont. Perfektes | |
Erntewetter. | |
Jan Grundmann steht am Rand einer Fläche, die mit unzähligen kahlen | |
Bäumchen in langen Reihen bewachsen ist. „Die hier vorne sehen nicht ganz | |
so gut aus, die sind für vier Jahre zu dünn“, sagt der Agrarbiologe, | |
„vielleicht liegt hier eine Sandlinse im Boden, die das Wachstum | |
beeinträchtigt.“ Insgesamt habe sich der Plantagenbestand aber prächtig | |
entwickelt. | |
## 10.000 Pappeln pro Hektar | |
Denn das, was hier heute geerntet wird, ist kein Wald, auch wenn es aus | |
lauter Bäumen besteht. Es handelt sich um eine KUP, eine | |
Kurzumtriebsplantage. Die Pappeln, die hier dicht an dicht wachsen, wurden | |
2014 in Form von 20 Zentimeter langen Stecklingen gesetzt, 10.000 pro | |
Hektar, macht auf diesem Feld rund 70.000 Stück. Jetzt sind sie zwischen | |
drei und fünf Meter hoch, die dickeren Stämme kann man gerade noch mit | |
beiden Händen umfassen. | |
Die Pflanzen der Plantage gehören der energy crops GmbH, einer | |
hundertprozentigen Vattenfall-Tochter, die auf Brandenburger und polnischen | |
Äckern Biomasse in Form von Holzhackschnitzeln erzeugt. Jan Grundmann ist | |
ihr Geschäftsführer, er führt den Gast von der Presse durch die engen | |
Baumreihen, um ihm den Erntevorgang vorzuführen. „Die Äcker gehören uns | |
nicht“, erklärt er, „wir führen hier einen Vertragsanbau durch.“ Soll | |
heißen: Die energy crops GmbH lässt die Bäumchen von spezialisierten Firmen | |
setzen und nach drei bis vier Jahren ernten, die Landwirte, auf deren | |
Flächen das geschieht, pflegen den Bewuchs und erhalten dafür ein | |
geregeltes Entgelt. | |
Und da ist er, der Holzernter: eine Maschine mit leuchtend rotem | |
Stahlgebiss, in dem sich zwei Kreissägen und ein Schredderwerk aus | |
gezähnten Walzen drehen. Etwas schneller als mit Schrittgeschwindigkeit | |
steuert der Fahrer den Ernter über die Baumreihe, ein Schwenkarm drückt die | |
Pappeln nach unten, die Sägen rasieren sie zwei Handbreit über der Erde ab, | |
und der Schredder saugt die Stämme ein, als wären es Strohhalme. Aus einem | |
Rüssel schleudert die Maschine die Schnitzel neben sich, wo sie auf einem | |
Anhänger landen – nach kurzer Zeit ist dieser voll und wird zu einem nahe | |
gelegenen Lagerplatz gefahren, während ein zweites Gespann übernimmt. Aus | |
den Stümpfen, die zurückbleiben, wird es schon im Frühjahr wieder sprießen | |
– die nächste Generation Energieholz. | |
1.630 Hektar bewirtschaftet die energy crops GmbH in Brandenburg, weitere | |
430 Hektar in Polen über ihre Tochter energy crops Polska. Auf einer | |
Landkarte, die Jan Grundmann vorbereitet hat, sind die Plantagen als grüne | |
Sprenkel rings um Berlin markiert, wo Marc Koch und sein Team die Erträge | |
benutzen, um ihren Kessel anzuheizen. | |
Für Grundmann ist das Prinzip der Kurzumtriebsplantage wirtschaftlich und | |
ökologisch betrachtet absolut sinnvoll. Der erneuerbare Energieträger Holz, | |
erklärt er, benötige viel weniger Primärenergie als etwa Mais zur | |
Herstellung von Biogas oder von Raps, aus dem Biodiesel erzeugt wird: Rund | |
1,6 Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen würden jährlich beim Anbau von | |
einem Hektar Raps emittiert, bei KUP-Holz seien es gerade mal 0,2 Tonnen. | |
Das liege daran, dass die Bäumchen auch auf schlechteren Böden ohne Düngung | |
gedeihen und ausgesprochen pflegeleicht sind. Wenn die Hackschnitzel | |
anschließend keine allzu weiten Transportwege zurücklegen, stimme die | |
Klimabilanz. Weitere Profiteure seien neben dem Klimaschutz die Landwirte, | |
die brachliegende Flächen profitabel und berechenbar nutzen könnten. Und | |
der Wald als Energiequelle werde geschont. | |
Aber kann es im Sinne des Naturschutzes sein, Abertausende Bäume in | |
Monokulturen anzupflanzen, um sie nach ein paar Jahren wieder zu | |
zerhäckseln? Durchaus, finden Experten – wenn gewisse Standards eingehalten | |
werden. Der Naturschutzschutzbund Nabu sieht in den Kurzumtriebsplantagen | |
ein Potenzial zur Strukturierung der Landschaft und zur Verringerung der | |
Erosion, vor allem wenn sie nicht kompakt, sondern streifenförmig | |
aufgelockert angelegt werden. Dann fühlten sich an den Rändern und auch | |
mittendrin Blühpflanzen und Wildtiere wohl. Positiv bewertet man beim Nabu | |
ohnehin, dass die KUP im Gegensatz zu konventionellen einjährigen | |
Ackerkulturen nur zu Beginn eine Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln | |
benötigen und dann mehrere Jahrzehnte ohne solche Gifte auskommen. | |
Die Plantagen von energy crops werden allerdings nur für 20 Jahre unter | |
Vertrag genommen. Dann soll entschieden werden, ob eine Verlängerung | |
gewünscht ist oder ob auf dem Acker wieder für Feldfrüchte genutzt werden | |
soll. In diesem Fall wird eine Forstfräse über das Feld geschickt, die die | |
Wurzelstöcke im Boden zerkleinert. Noch ist das alles in Brandenburg nur | |
Theorie, schließlich hat die energy crops GmbH ihre Tätigkeit erst im Jahre | |
2010 aufgenommen. | |
## Vier Jahre bis zur Ernte | |
Dass bislang kaum Landwirte auf eigene Faust Energieholz anbauen, hat laut | |
Jan Grundmann mit den niedrigen Preisen für Öl und Gas zu tun. Aber auch | |
mit der finanziellen Unsicherheit, die es bedeutet, wenn man erst vier | |
Jahre nach dem „Säen“ ernten kann. | |
Ob die energy crops GmbH ihren Anbau ausweiten wird? Außer dem | |
spezialisierten Kraftwerk, das im Rahmen einer „Klimapartnerschaft“ mit der | |
Wohnungsbaugesellschaft Gesobau zustande kam, können die Hackschnitzel auch | |
in Kohlekraftwerken mit verfeuert werden, in Moabit geschieht das schon. | |
„Unser Gesellschafter, die Vattenfall Wärme Berlin AG, hat uns | |
aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, wie wir ihren steigenden | |
Biomassebedarf weiter anteilig absichern können“, sagt Grundmann. Die | |
energy crops GmbH werde also auch künftig Energieholzflächen anlegen – „in | |
welchem Umfang, hängt von den konkret festgelegten Maßnahmen ab“. | |
Im Märkischen Viertel steht Marc Koch vor einem offenen Container, in den | |
schwarzgraue Flocken rieseln. „Bei der Verbrennung von Holz bleiben größere | |
Mengen an mineralischen Schlacken übrig“, erläutert der Kraftwerksleiter, | |
„seit letztem Dezember führen wir die einer Nachnutzung zu.“ Was mit der | |
Restasche geschieht, könnte auch noch den letzten Ökoskeptiker überzeugen: | |
Sie wird zu einem Substrat für Gründächer verarbeitet. | |
5 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
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