# taz.de -- Autorin Hami Nguyen über Rassismus: „Es fängt mit Sichtbarkeit … | |
> Nguyen fordert in ihrem Debüt eine Auseinandersetzung mit | |
> anti-asiatischem Rassismus. Dieser würde wenig beachtet, auch wegen | |
> positiver Stereotype. | |
Bild: Autorin Hami Nguyen: „Der Mythos der Vorzeigeminderheit hat uns nicht g… | |
taz: Seit Black Lives Matter debattieren wir vermehrt über Rassismus. Wieso | |
müssen wir jetzt gezielt über [1][anti-asiatischen Rassismus] sprechen, | |
Frau Nguyen? | |
Hami Nguyen: Warum anti-asiatischer Rassismus wenig Beachtung findet, ist | |
ein Teil dieser Rassismusform: Unsichtbarkeit. Menschen, die vermeintlich | |
ost- und südostasiatische Wurzeln haben, gelten als angepasst, fleißig und | |
gut integriert. Diese rassistischen Stereotypen tragen dazu bei, dass | |
Nichtbetroffene denken, dass diese Menschen keine Probleme hätten, weil | |
ihnen oft nur positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Dennoch gibt es | |
Klischees über vermeintlich eklige Essgewohnheiten und unzivilisierte | |
Praktiken. Die Coronapandemie hat diese Klischees potenziert. Der Mythos | |
der Vorzeigeminderheit hat uns nicht geholfen. Wir haben trotzdem | |
rassistische Gewalt erlebt, wie man in Rostock-Lichterhagen und Hoyerswerda | |
gesehen hat. | |
Im August 1992 griffen mehrere Neonazis unter dem Beifall von bis zu 3.000 | |
Zuschauer*innen das „Sonnenblumenhaus“ in [2][Rostock-Lichtenhagen] an. | |
Es wurde von ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen | |
bewohnt. Dieser Pogrom stehe symbolisch für die fehlende historische | |
Einbettung von anti-asiatischem Rassismus. Warum? | |
Wenn man gerade zu der Zeit auf die Diskurse rund um die Pogrome schaut, | |
dann sehen wir, dass Politiker*innen nur die Täter*innen in den | |
Vordergrund gerückt haben. Sie wurden als arme, wütende junge Menschen | |
dargestellt, die keine Zukunftsperspektive hatten. Dabei waren sie auch | |
waschechte Neonazis. Die meisten der betroffenen Personen, die die | |
Anschläge erlebt haben, wurden abgeschoben. Die Betroffenenperspektive war | |
einfach nicht relevant in diesem Zusammenhang. Wir erleben auch bei anderen | |
rassistischen Anschlägen, dass immer nur von Einzelfällen gesprochen wird. | |
Das wurde auch, wenn es um rassistische Gewalt gegen Menschen mit ost- und | |
südostasiatischen Wurzeln geht, nicht gebrochen. | |
Die Bezeichnung „anti-asiatischer Rassismus“ wird oft von Menschen mit | |
süd-/ostasiatischen Bezügen kritisiert. Warum haben Sie sich trotzdem für | |
diese Bezeichnung im Untertitel entschieden? | |
Über mich sage ich nicht „Ich bin Asiatin“ oder „Ich bin asiatisch.“ I… | |
nutze diese Formulierung ausschließlich im Zusammenhang mit | |
anti-asiatischem Rassismus. Das ist unsere Lebensrealität und beschreibt | |
diese Diskriminierungsform am besten. Hätte ich die Begriffe | |
anti-ostasiatischen oder anti-südostasiatischen Rassismus verwendet, würde | |
das signalisieren, dass die, die uns rassifizieren, den Unterschied | |
zwischen Ost- und Südostasiat*innen kennen würden. Das stimmt nicht, | |
denn wenn ich rassistisch diskriminiert werde, dann bin ich die „Asiatin“. | |
Mit dem Begriff „asiatisch“ ist gar nicht die geografische Lage gemeint, | |
sondern die politische und soziokulturelle Kategorie. | |
Waren Sie in der Schule auch immer nur „die Asiatin“? | |
Positiver Rassismus ist eine Rassismusform, welche vermeintlich positive | |
Zuschreibungen aufgrund äußerer Merkmale erklärt. Ich sehe ostasiatisch aus | |
und deswegen schreibt man mir zu, ich sei gut in Mathe und immer höflich | |
und unauffällig. Das ist eine Erwartungshaltung, die an mich gestellt | |
wurde, und wenn ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte, dann wäre ich | |
als „Sonderling“ herausgefallen. Ich musste mich eigentlich nur „normal“ | |
verhalten, wie alle anderen Schüler*innen und auch mal widersprechen. | |
Das wurde bei mir direkt als besorgniserregende Rebellion gewertet. Ich | |
habe mich meine ganze Schulzeit über unsicher gefühlt. Ich wusste nie, wer | |
ich war und was mir wirklich gefiel oder wo meine Interessen wirklich | |
lagen, weil ich immer Fremdzuschreibungen ausgesetzt war. | |
Warum war Ihnen wichtig, ein Kapitel dem Thema Hypersexualisierung und | |
Fetischisierung asiatisch gelesener Frauen zu widmen? | |
Dieses Thema ist ein sehr wichtiger Pfeiler des anti-asiatischen Rassismus | |
und ich habe damit persönlich mehrere Erfahrungen machen müssen. | |
Beispielsweise rief ein Mann im Restaurant meiner Mutter an, sagte „Ficki | |
Ficki“ und legte auf. Die Verbindung zwischen ost- und südostasiatischen | |
Frauen in der Sex-Kauf-Industrie ist eng verwoben. Das spiegelt sich auch | |
in der Popkultur wider. Wenn man an Takako Chigusa aus Kill Bill denkt, ist | |
sie eine hypersexualisiert dargestellte eiskalte Killerin in Schuluniform. | |
Man spricht dann von dem Bild der „Drachenlady“. Unterwürfige, sexwillige | |
Frauen prägen das Stereotyp der sogenannten „Lotusblume“. | |
Warum kann [3][anti-asiatischer Rassismus] nicht ohne die Rolle Chinas | |
beschrieben werden? | |
Das ist ein guter Bogen zu der Frage, warum ich den Begriff | |
anti-asiatischen Rassismus verwende. Wir werden homogenisiert. Für die | |
weiße Dominanzgesellschaft sind wir alle gleich. Als Kind wurde ich immer | |
als Chinesin bezeichnet. Man kann uns nicht auseinanderhalten. Und deswegen | |
hat der Diskurs um China auch immer einen Einfluss auf mich. Auch wenn ich | |
keine Chinesin bin, wurde ich in der Pandemie rassistisch angegriffen. | |
Niemand hat sich in der Straßenbahn neben mich gesetzt, weil sie Angst vor | |
dem „Chinavirus“ hatten. Das ist die Lebensrealität vieler, denen | |
zugeschrieben wird, dass sie aus China seien. | |
Was muss geschehen und geschieht schon, damit „asiatische“ Perspektiven und | |
Erfahrungen gehört und anerkannt werden? | |
Ich wünsche mir, dass anti-asiatischer Rassismus überhaupt in Diskursen | |
erwähnt wird. Oftmals ist es so, dass diese spezifische Form in | |
Rassismusdebatten vollkommen ausgeklammert wird, als ob sie nicht existent | |
wäre. Ich glaube, es fängt mit Sichtbarkeit an. Dann kommt die Aufarbeitung | |
historischer Ereignisse dazu. Die Geschichte vietnamesischen | |
Einwander*innen ist für die deutsche Geschichte sehr wichtig, darüber | |
muss gesprochen werden. Ich wünsche mir, dass diese Verharmlosung ein Ende | |
hat und dass dieser Mythos der Vorzeigeminderheit aufgearbeitet wird. Ich | |
möchte über meine Diskriminierungserfahrungen reden, ohne andere | |
Rassismusformen dabei abzuwerten. | |
8 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Vivien Mirzai | |
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