# taz.de -- Auszug aus „Wir sind der Verein“: Nach dem HSV kommt die Liebe | |
> Als der Hamburger SV seine Profiabteilung ausgliederte, gründete sich der | |
> HFC Falke: ein von Fans geführter Verein im Ligabetrieb. | |
Bild: Das Leben findet auf dem Spielfeld statt – und drumherum | |
Der Ball fliegt mit Wucht über die Seitenlinie. Ein dumpfer Sound, und er | |
prallt in eine kleine Gruppe von Fans, die am Geländer zusammensteht, den | |
Blick aufs Spielfeld, das Gesprächsthema irgendwo anders, bei Hannover 96. | |
Bier spritzt aus den Bechern über Gesichter und Trikots. „Nach dem Spiel | |
gibst du uns einen aus“, brüllt einer aus der Gruppe in Richtung Spielfeld. | |
Er kriegt seine Lacher, der Spieler trabt verschüchtert zurück zur | |
Mittellinie. Der Ball trudelt unkontrolliert irgendwo hinters Geländer, und | |
irgendwer geht neues Bier holen, der Kick und das Leben gehen weiter. Ja, | |
das hier ist ganz unten, fast zumindest, Hamburger Bezirksliga Nord. Die | |
Gruppe, die in Alltagsklamotten am Zaun steht und dem Wind trotzt, schaut | |
auf einen Sportplatz, der an die eigenen Jugendspiele erinnert. Ein | |
Amateursportplatz-Allerweltsgelände, ein Platz mit selbst gezogenen | |
Kreidelinien und schlecht layouteten Werbebannern der benachbarten | |
Autowerkstätten am Gitter, ein Vereinsheim mit Bierbude, danach geht die | |
Siedlung weiter. Ein paar Meter hinter dem Sportplatz kann man unter Bäumen | |
durch Nebenstraßen spazieren und nicht mitbekommen, dass nebenan gerade 300 | |
Menschen ein Fußballspiel besuchen. Denn 300 sind an diesem Sonntagmorgen | |
gekommen, zu einem Siebtligaspiel. Sie sind gekommen mit dem Trauma einer | |
enttäuschten Liebe und dem Traum, dass es so etwas wie neue Lieben und | |
zweite Chancen gibt. Sie wollen für etwas kämpfen, nicht gegen etwas. | |
Es ist August 2017, der zweite Spieltag der neuen Saison in der Hamburger | |
Bezirksliga Nord. Der Fanverein HFC Falke spielt auswärts gegen den SV | |
Uhlenhorst. Hamburger Bezirksliga, Siebte Liga, das hier ist der FKK-Strand | |
unter den Fußballligen: Hier gibt es keine Geheimnisse. Jedes Wort auf dem | |
Spielfeld trägt über den ganzen Platz, jedes Wort aus der Kurve trägt zu | |
den Spielern, man sollte wissen, was man sagt: Hinterher sieht man sich am | |
Vereinsheim wieder. Die Jungs in der Kurve, die sich für die Sprüche | |
zuständig fühlen und eine große Klappe haben, prollen also mit angezogener | |
Handbremse: „Arschloch, Wichser, Hurensohn“ gibt es nicht in Uhlenhorst. | |
Sie schreien also „Mach nicht den Timo Werner“, oder „Schiri, du hast doch | |
schon ’ne Brille“, so auf dem Niveau. Ein bisschen frech, ein bisschen | |
höflich. Wieder fliegt der Ball in die Gruppe, knapp am Bier vorbei. Sie | |
lachen. Der Gegner SV Uhlenhorst-Adler ist offenkundig überfordert mit der | |
Anwesenheit von Fans. Für die Freizeitkicker ist es eine Stresssituation, | |
nur der dickbäuchige Schiri, den das alles nicht anficht, signalisiert | |
Einwurf, Einwurf für den HFC Falke. Falke ist besser, sie hoffen auf einen | |
Auswärtssieg. Völlig egal natürlich eigentlich, ob auswärts oder nicht. In | |
der Bezirksliga fährt man nach auswärts mit der Straßenbahn. Ein scharfer | |
Wind erinnert daran, dass das hier Hamburg ist, auch bei Sonnenschein im | |
August. Später wird es regnen. Der Sportplatz des SV Uhlenhorst, der in | |
einem gutbürgerlichen Viertel liegt, ist so weit weg von Bundesliga, dass | |
er keine Illusionen lässt. Eigentlich, sagt jedes Gefühl, würden hier | |
vielleicht fünf Leute am Geländer stehen. Die 300 Menschen in blauen | |
Fan-Accessoires wirken ein wenig surreal. | |
Tamara Dwenger, übers Geländer gebeugt, sammelt ihre Emotionen. Die | |
Präsidentin und Mitgründerin des HFC Falke hatte vorher angekündigt, dass | |
sie aufs Spielfeld gucken werde, während sie das Interview gibt, mehr eine | |
Feststellung als ein Angebot. Ist halt so. | |
Das neue Leben des HFC Falke und die Wanderung in die Welt der krummen | |
Linien und schlechten Werbeplakate fängt mit einem Tag im Mai an. Am | |
legendär schwarzen 25. Mai 2014, der sie nicht loslässt. Rund 10.000 | |
Menschen marschieren damals ins Stadion des Hamburger SV, um über die | |
Zukunft des Vereins abzustimmen. Auch Tamara Dwenger geht hin. Aber sie | |
kommt mit dem Gefühl, eigentlich schon verloren zu haben. Die Lage im | |
Verein ist chaotisch, die Stimmung gereizt, der Klub steht mit dem Rücken | |
zu Wand. Der HSV ist einer der wenigen Klubs in der deutschen Bundesliga, | |
die zu dieser Zeit noch als eingetragener Verein ins Rennen gehen. Aber er | |
hat die bis dato schlechteste Spielzeit der Vereinsgeschichte hinter sich. | |
Sie sind dem Abstieg knapp entgangen, nie wieder, nie wieder Abstiegskampf, | |
das ist die Sehnsucht. Zurück ins europäische Geschäft soll es gehen. Aber | |
mit welchem Geld? Eine einfache Neuerung soll frische Mittel bringen. Das | |
Modell: „HSV Plus“. Die Ausgliederung der Profiabteilung. 87 Prozent der | |
Mitglieder wollen an diesem Tag im Mai „HSV Plus“. | |
Dwenger verlässt an diesem Tag das Stadion, ohne das Ergebnis abzuwarten. | |
Bei ihr ist Philipp Markhardt, HSV-Ultra und Promi-Fan. Markhardt, | |
Kommerzialisierungsgegner und langjähriger Sprecher des Bündnisses Pro | |
Fans, ist gern gesehener Gast in Talkrunden mit seinen markigen Thesen | |
gegen Kommerz und den DFB. Auch Markhardt ist heute Präsidiumsmitglied bei | |
Falke. | |
Sie ziehen in ihre Stammkneipe, Dwenger und Markhardt und ein paar | |
Mitstreiter. Sie ertränken den Frust in Ouzo und fantasieren über | |
Alternativen. „Falke ist eine Kopfgeburt gewesen“, sagt Dwenger. „Wir sa�… | |
damals zusammen, und dann tauchte die Frage auf: Was machen wir denn jetzt? | |
Gründen wir halt einen eigenen Verein.“„Erst mal war die Frage: Finden wir | |
es auch noch gut, das zu machen, wenn wir wieder nüchtern sind?“, wirft | |
Markhardt ein. „Zwei, drei Tage später konnten wir dann darüber befinden.“ | |
Und am 19. Juni 2014, diesmal nüchtern, gründen sie den HFC Falke, dessen | |
Name sich zusammensetzt aus dem HFC und Falke 06, zwei Vorläuferklubs des | |
HSV. Das Motto stammt vom dritten Vorläuferverein, Germania: „Dankbar | |
rückwärts, mutig vorwärts.“ Wie erfunden für einen Fanverein, der | |
freiwillig in den tiefsten Amateurfußball geht, weil ihm das als | |
Fortschritt erscheint. | |
Der Fanverein der Enttäuschten und Entfremdeten Hamburger Fans ist ein | |
Pflänzchen von Sturköpfen. Sie wollen alles richtig machen, hundert Prozent | |
anständig und idealistisch, und ja ohne Kommerz. Ist das weltfremd? Geht | |
das gut? Kommt das an? Der HFC Falke, der geboren ist auch aus Trotz, ist | |
nicht auf der Suche nach Mitgliedern. Hierher soll kommen, wer es gut | |
findet; wer nicht, der eben nicht. | |
Heute zahlen rund 400 Mitglieder ihren Beitrag, zwischen fünf und zwanzig | |
Euro je nach Wunsch und Portemonnaie. Und die Frau, die endlich etwas tun | |
wollte, woran sie glaubte, ist Präsidentin eines Siebtligisten mit Ambition | |
nach oben. Das langfristige Ziel ist die Oberliga. „Falke ist, gerade in | |
dieser emotionalen Tiefphase mit dem HSV, einfach so da gewesen“, sagt | |
Tamara Dwenger. „Ich habe nie darüber nachgedacht. Wir haben gesagt, wir | |
machen das. Und dann kannst du ein halbes Jahr später nicht mehr Nein | |
sagen.“ | |
Noch ist der HFC Falke nicht alt genug, um sagen zu können, ob das auf | |
Dauer funktioniert. Stimmen von außen, die zweifeln, gibt es, wie immer. | |
Tamara Dwenger nimmt das mit einem gewissen Sarkasmus: All die Leute, die | |
bei jeder Krise sofort erklärten, sie hätten es doch gleich gewusst. | |
„Fanvereine können den Fußball besser machen“, sagt sie sehr bestimmt. Au… | |
sie wollen das für sich nutzen, was die zweite oder vielleicht dritte Welle | |
von Fanvereinen lernen kann: die Erfahrung des Scheiterns. „Wir haben den | |
Vor- oder Nachteil, dass es schon ein paar andere Vereine gab, die das vor | |
uns gemacht haben. Man kann da schon hingucken und überlegen, warum gewisse | |
Dinge nicht funktioniert haben.“ Vor allem die Sache mit der Basis. 20 bis | |
25 Prozent, schätzt Tamara Dwenger, zählten zum harten Kern der Aktiven | |
beim HFC Falke. Eine Quote, die höher ist als bei anderen Fanvereinen. Ein | |
bemerkenswertes Engagement. „Man muss den Leuten immer wieder mitteilen: Es | |
funktioniert nicht ohne euch.“ Sie tut das auf ihre direkte, pragmatische | |
Weise. Wer was machen will, soll was vorschlagen, und dann passt es schon. | |
Wer nichts machen will, soll auch nicht meckern. Und hinterherlaufen muss | |
sie den Leuten sowieso. Sie nennt Falke ihren zweiten Job, neben den 60 bis | |
80 Stunden, die sie in ihren Hauptberuf investiert. Sie hat nicht damit | |
gerechnet, dass es so viel Arbeit sein würde, aber sie findet es in | |
Ordnung. Ihr Freund sagt dann manchmal: „Ich würde auch gern wieder eine | |
Freundin zu Hause haben.“ Sie lässt den Kommentar am Rande des Platzes so | |
stehen, so ist es eben; Sie weiß, dass sie hier nicht fehlen darf. Einmal, | |
in der ersten Saison, findet sich niemand, der den Merch-Stand machen will. | |
„Da haben wir nicht lange rumlamentiert, dann bleibt das Ding halt zu. Und | |
auf einmal gab es dann doch zwei Leute, die es machen wollten.“ Jetzt hat | |
sich ein Team gebildet, das den Stand regelmäßig organisiert. Der HFC Falke | |
findet seine Lösungen. | |
In der Hinrunde 2017/18 steht der HFC Falke gut da in der Bezirksliga Nord, | |
und es ist ja weiter nur Bezirksliga. Alles deutet darauf hin, dass der Weg | |
weiter nach oben geht. Auch der HFC Falke braucht, bei allen Träumen und | |
Sozialprojekten, ein bisschen sportlichen Erfolg. In der letzten Saison hat | |
die Zuschauerzahl stagniert; im ersten Jahr hatten sie manchmal doppelt so | |
viel Publikum wie jetzt. | |
„Für mich ist das Wichtigste, dass der Verein unabhängig bleibt“, sagt | |
Dwenger. „Wir wollen hier immer jemanden haben, der weiß, wo dieser Verein | |
herkommt. Auch in hundert Jahren noch.“ | |
4 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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