# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Ultrareaktionäre Bestandswahrung | |
> Die Vereine lassen sich bei der 50+1-Debatte vom Kleinmut der | |
> Choreo-Bürschchen anstecken. Oder ist doch alles ganz anders? | |
Bild: 50+1? Manchmal reichen auch 5+1 Leute für eine Ultra-Choreografie | |
Der Fan ist ein Konservativer. Ach was, er ist ein Reaktionär. Seine | |
Gedanken kreisen um das Vergangene wie ein Sputnik um die Erde. Es geht dem | |
Fan um Bestandswahrung. Hools glorifizieren die Männlichkeitsrituale der | |
80er und 90er, in denen blaue Augen, geklaute Fahnen und saudumme Sprüche | |
zu den Insignien einer nicht selten marodierenden Szene gehörten. | |
Ihre Söhne, die Ultras, haben das Gewaltpotenzial sublimiert. Sie sind nur | |
noch die Choreo-Bürschchen in der Kurve, die Schaufensterdekorateure des | |
Fußballsamstags. Sie machen das Stadion so hübsch wie Mutti daheim das | |
Wohnzimmer. Und wenn sie merken, wie piefig das Ganze ist, zünden sie einen | |
Böller. | |
So gern würden sie an den Gründungsmythos der Ultras in Italien glauben, | |
die sich für eine Avantgarde hielten, für eine Jugendbewegung mit besonders | |
viel Schmackes. Aber die Ultras haben sich nicht nur in teilweise bizarrer | |
Weise abgeschottet, die Kollektivautisten haben auch keine andere Botschaft | |
mehr als diese: Wir lieben den Fußball, wie er einmal war. | |
Was nichts anderes heißen soll als: Wir lieben uns und unsere Rituale. Ums | |
politische Restprogramm haben sich eh andere in den vergangenen Jahren | |
gekümmert, die Deutsche Fußball-Liga und der Fußball-Bund mit | |
Antidiskrimierungskampagnen und Antirassismusaufstellern. | |
## „We try. We fail. We win“ | |
Wozu braucht es die Ultras also noch? Sie sind nach wie vor gefragt als | |
Kartenkäufer, Stadionbehübscher – und als Dauernörgler. In den vergangenen | |
Tagen waren es die Fans von Hertha BSC Berlin, die sich mit dem Verein | |
anlegten. Es gibt da einen Marketingmenschen, Paul Keuter, der das | |
Unmögliche versucht, aus der Hertha einen Verein mit dem gewissen Etwas zu | |
formen. Keuter, ein Ex-Twitter-Manager, ist der natürliche Feind der | |
Ultras, weil so einer nichts mehr hasst als den Stillstand. Er ist ein | |
Neoliberaler und somit ein großer Freund der Zukunft. | |
Keuter hat sich gedacht, nicht nur an den Börsen der Welt solle die Zukunft | |
gehandelt werden, sondern auch bei den Blau-Weißen. Deswegen hat er sich | |
markige Sprüche fürs etwas träge Dickschiff ausgedacht: „We try. We fail. | |
We win.“ Oder so knuffige Gratismut-Aktionen wie den Berliner Kniefall zur | |
Unterstützung der „Black Lives Matter“-Bewegung. Jetzt geht die Berliner | |
Hertha zum Slogan „Die Zukunft gehört Berlin“ auf Punktejagd. | |
Die disruptive Krönung in den Augen der Ultras war Keuters Kritik an der | |
50+1-Regel. Er könnte sich vorstellen, dass finanzkräftige Investoren nicht | |
nur die Mehrheit des Kapitals an einem Klub besitzen, sondern auch die | |
Mehrheit der Stimmen. | |
## Ultrakonservativ | |
Die Ultras halten die 50+1-Regel für den heiligen Gral teutonischer | |
Ballschieberei, schon eine Diskussion darüber kommt einem Sakrileg gleich. | |
Kein Wunder, dass die Hertha-Ultras ihre Attacke direkt gegen Keuter | |
richteten: „Keuter, dein Ende naht!“ Ihre Wut ist verständlich, denn die | |
alte Regel gibt (trügerische) Sicherheit vor den Stürmen der | |
Globalisierung, die den Fußball, wie er einmal war, radikal verändert. | |
Sie hat nicht nur eine riesige Kapitalumwälzungsmaschine aus ihm gemacht, | |
die Klubs in England oder Frankreich sind auch oft in der Hand von | |
Milliardären. Diese kommen aus China, den USA oder Malaysia. Ein Graus für | |
die deutsche Ultra-Szene, der schon beim Investment des deutschen | |
Brummimagnaten Kühne beim HSV die Haare zu Berge stehen. | |
Vom Kleinmut und einer Ultra-Nostalgie, die schon mal die Grenze zum | |
Nationalismus überschreitet, haben sich auch die 36 deutschen Profivereine | |
anstecken lassen und im Geist des Protektionismus gegen eine Öffnung für | |
Großinvestoren gestimmt. Das mag gut sein für die Ultras, die sich um ihre | |
Machtclaims in den Kurven sorgen und ums Mitspracherecht. Das kann aber | |
auch schlecht sein, weil sich die deutschen Klubs einen Wettbewerbsnachteil | |
verordnet haben. Sie denken in Ultra-Dimensionen. Ultrakonservativ. | |
7 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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