# taz.de -- 50 Jahre Literarisches Colloquium Berlin: Wellnesshotel der Literat… | |
> Die Großen wie Grass und Walser kamen ebenso ins Literarische Colloquium | |
> wie viele junge Talente der Literatur. Das Haus feiert 50-jähriges | |
> Bestehen. | |
Bild: 50 Jahre Literatur vom Feinsten: Das ehrwürdige Haus am Berliner Wannsee. | |
Wie unwahrscheinlich dieser Ort im Grunde ist. Manchmal muss man sich noch | |
kneifen, selbst wenn man schon Dutzende Male in die S-Bahn oder in den | |
Regionalexpress gestiegen ist, um die weite Fahrt hinaus zu machen (die | |
dann in der Realität aber gar nicht so weit ist), ganz bis nach Wannsee, | |
dort aus dem schönen Puppenstubenbahnhof zu treten, einmal rechts herum, | |
einmal links herum zu gehen, und dann, Adresse Am Sandwerder 5, vor dem LCB | |
zu stehen. | |
Dieser Vorplatz! Diese herrschaftliche Villa! Und dahinter das Grundstück | |
erst, das zum Wannsee hin abfällt und ein Panorama bietet, als würden | |
Schriftsteller (und Literaturkritiker und Literaturmanager) hierzulande wie | |
Könige behandelt. Oder wenigstens wie selbst zahlende Gäste in einem | |
halbwegs mondänen Wellnesshotel. Denn zwar ist unser Land so reich, dass | |
jedes Golfhotel und jedes Resort mit ähnlichen Dimensionen aufwarten kann. | |
Aber im literarischen Leben ist so viel Großzügigkeit, wie sie diese | |
Immobilie bietet, klar die Ausnahme. | |
Es musste einiges zusammenkommen, damit das Literarische Colloquium Berlin | |
vor 50 Jahren so gegründet werden konnte. Zunächst einmal brauchte es die | |
amerikanische Anschubfinanzierung durch die Ford Foundation, die sich | |
damals im Westberliner Kulturleben stark engagiert. Es war ja noch mitten | |
im Kalten Krieg, die Mauer war noch nicht einmal zwei Jahre alt. Geben | |
musste es auch die Gründerfigur Walter Höllerer, der, umtriebig und gut | |
vernetzt, den neuen Literaturort sofort mit den damaligen Größen des | |
Literaturbetriebs verband. Der Gruppe-47-Impresario Hans Werner Richter, | |
Böll, Grass, Walser, Bachmann, Frisch, Dürenmatt – Höllerer lotste sie alle | |
hinaus an den Wannsee. | |
Hinzukommen musste natürlich die Villa. 1885 wurde sie als Wunschtraum der | |
Gründerzeit von einem Zementfabrikanten gebaut. Dann Verkauf, Enteignung | |
durch die Nazis, nach dem Krieg Nutzung als Offizierskasino durch die | |
Amerikaner, Rückerstattung 1953 an den Eigentümer, der es wieder verkaufte, | |
Nutzung als „Casino-Hotel am Wannsee“, dann 1960 von der Stadt Berlin | |
gekauft und von Walter Höllerer entdeckt. Nachlesen kann man das alles in | |
der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter, deren aktuelle Ausgabe | |
eine Chronik über die 50 bisherigen Jahre des LCB enthält. | |
Als „Arkadien“ bezeichnen die heutigen Mitarbeiter den Ort in dem Bildband, | |
der jetzt zum Jubiläum erscheint – aber zum Glück halten sie sich im Alltag | |
selbst meistens nicht dran. Gegründet wurde das LCB als „ein Ort der | |
Produktion und der künstlerischen Arbeit, ein Kristallisationspunkt | |
internationaler Begegnungen (die DDR und die Länder Mittel- und Osteuropas | |
ausdrücklich mit eingeschlossen), eine Bühne für die Diskussion mit dem | |
Publikum“, so unter „Vorgeschichte“ in dem Fotoband zu lesen. An diesem | |
Programm hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. | |
Für die künstlerische Produktion sorgen allein schon die Stipendiaten, die | |
in der Villa zu Gast sind. Rainald Goetz, Judith Hermann, sehr viele | |
bekannte Namen haben hier an ihren ersten Büchern gefeilt, einer der | |
Königswege in den Literaturbetrieb führt immer noch durch die ruhigen | |
Gästezimmer dieser Villa. Unbesungen dagegen die Dramen derjenigen | |
Autorinnen und Autoren, die als Talente die Zimmer des LCB bewohnten, dort | |
mit ihren Texten rangen und aus denen dann kein bekannter Name im | |
Literaturbetrieb wurde; auch solche stillen, hier stattfindenden Kämpfe | |
können tragisch sein. Für den internationalen Austausch sorgen unter | |
anderem regelmäßig stattfindende Übersetzercolloquien. Und die Bühne für | |
Diskussionen ist weiterhin da; auch wenn es im Alltag, statt auf eine | |
grundlegende Literaturdebatte längst doch eher auf die Vorstellung des | |
neuesten Buches eines Autors hinausläuft – so wie in allen deutschen | |
Literaturhäusern. | |
Heute findet der offizielle Festakt zum Jubiläum statt. | |
Noch-Hanser-Verleger Michael Krüger wird die Festrede halten und dabei | |
sicherlich manche Anekdote aus der LCB-Vergangenheit loswerden. Am 10. | |
August kann das große Publikum dann in einem Sommerfest mitfeiern. Und | |
vielleicht wird der eine oder andere, wenn er unten am See steht und zur | |
Villa hochschaut, sich dann eine Frage stellen: Wovon träumt dieser Ort: | |
wenn es Nacht wird, wenn der See sanft plätschert, wenn die Lesungen zu | |
Ende sind und es sehr still und sehr einsam in der großen Villa werden | |
kann? | |
Er träumt davon, dass es immer genug Menschen geben wird, die das seltsame | |
Amt auf sich nehmen, Schriftsteller zu werden und aus eigenen Sätzen Bücher | |
zu machen. An ihnen herrscht offenbar kein Mangel. Er träumt auch davon, | |
dass es interessant ist, solche Menschen zusammenzubringen. Und er träumt | |
vor allem davon, dass es immer genug Menschen geben wird, die daran als | |
Leser und Lesungsgäste teilhaben möchten. Es ist gut, dass es so einen | |
eindrucksvollen Ort für diesen schönen Traum weiterhin gibt. | |
23 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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