# taz.de -- 150 Jahre Hobrecht: Das war der Plan! | |
> Vor 150 Jahren wurde der Hobrecht-Plan verabschiedet. Der brachte die | |
> Mietskasernen, aber auch die „Berliner Mischung“. Lange verpönt, wird das | |
> Werk heute gewürdigt. | |
Bild: Der Hobrechtplan ordnete das Wachstum Berlins dort, wo damals nur Felder … | |
Während sich in London dieser Tage die Athleten messen, wird im Osten der | |
Themse-Metropole weitergegrummelt. Schicke, neue Wohnungen sollen nach den | |
Spielen betuchte Bewohner ins Armeleuteviertel locken. Soziale | |
Durchmischung heißt das im traditionell segregierten London. Über diese | |
räumliche Trennung verschiedener Schichten und Milieus, die „durch bewusste | |
ausgesprochene Absicht die Arbeiterbezirke von denen der Mittelklasse | |
überlassenen Stadtteile aufs Schärfste trennt“, hatte sich schon Friedrich | |
Engels mokiert. | |
Gut, dass Berlin da seinen James Hobrecht hatte. Nur fünf Jahre jünger war | |
der 1825 in Memel geborene Ingenieur kein Kritiker der Verhältnisse, | |
sondern ein Praktiker, der sie verbessern wollte. Kein Revolutionär also, | |
sondern ein Reformer. Und weil Reformen von oben zu dieser Zeit en vogue | |
waren, wurde er mit der Ausarbeitung des „Bebauungsplans der Umgebungen | |
Berlins“ beauftragt. Am 2. August 1862, also vor genau 150 Jahren, trat der | |
bald nach seinem Urheber benannte „Hobrecht-Plan“ in Kraft. Auf eine | |
Würdigung wartet er bis heute. | |
Die Ausgangslage ist schnell erzählt. In Berlin mit seiner explodierenden | |
Bevölkerung stank es erbärmlich, Krankheiten grassierten, gerade erst | |
hatten die Märzrevolutionäre das preußische Königshaus in Bedrängnis | |
gebracht. 550.000 Einwohner zählte die Stadt. Dazu kamen die Bewohner in | |
den Nachbarstädten Charlottenburg, Rixdorf, Lichtenberg und den Vororten, | |
die erst 1920 in die Gemeinde Groß-Berlin aufgenommen wurden. | |
Das Abwasser floss noch immer durch Rinnsteine. An den Rändern der Stadt, | |
die damals im Norden bis zur Torstraße, im Osten bis zur Oberbaumbrücke, im | |
Süden bis zum Halleschen Tor und im Westen bis zum Brandenburger Tor | |
reichte (dunkel schraffiert im Plan), campierten die Armen und | |
Arbeitssuchenden unter Bretterverschlägen. | |
Hobrecht sollte nun zeigen, wohin und wie Berlin wachsen sollte. Die | |
Antwort des Bauingenieurs, der 1858 Regierungsbaumeister der Baupolizei | |
geworden war, war für damalige Verhältnisse erschreckend überdimensioniert. | |
Warum so breite Straßen, wo es damals noch keine Autos gab? Warum bis über | |
die Bornholmer Straße hinaus in Richtung Pankow und Schloss Schönhausen, wo | |
doch dort nur Schafe weideten? Heute wissen wir, dass Hobrecht kein | |
größenwahnsinniger, sondern ein vorausschauender Planer war. | |
Redet man 150 Jahre später über den Hobrecht-Plan, ist freilich weniger von | |
der Kanalisation die Rede, die er entwarf und deren Bau 1873 begann. Bis | |
heute gilt der Ostpreuße als Wegbereiter der Mietskasernenstadt, der „vier | |
Millionen künftiger Berliner zum Wohnen in Behausungen verdammte, wie sie | |
sich weder der dümmste Teufel noch der fleißigste Geheimrat oder | |
Bauspekulant übler auszudenken vermochte“. So formulierte es der | |
Architekturkritiker Werner Hegemann 1930 in seinem Werk „Das steinerne | |
Berlin“. Nach dem Zweiten Weltkrieg mündete die Kritik in | |
Kahlschlagsanierungen wie in Gesundbrunnen – aber auch in der Rettung der | |
Gründerzeitquartiere durch Hausbesetzer und Bürgerinitiativen. | |
„Angesichts der Bedeutung des Hobrecht-Plans ist es erstaunlich, wie | |
dürftig die Forschungslage ist“, sagt Sylvia Butenschön vom Institut für | |
Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Gleich drei Abteilungen des | |
Instituts haben deshalb einen Forschungsantrag gestellt. Die Aktualität des | |
Planwerks soll ebenso in Augenschein genommen werden wie die Frage nach | |
seinem Denkmalwert. „Nach der langen Tradition der Kritik ist es an der | |
Zeit für eine positive Würdigung“, meint Butenschön. | |
Hobrecht selbst hat bereits die Fährte für eine solche Würdigung gelegt, | |
wenn auch etwas naiv. Im Nacheinander von Vorder- und Hinterhaus, so sein | |
Credo, sollten sich die Milieus mischen – und nicht bekämpfen: „In der | |
Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule | |
über den selben Hausflur wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns auf dem | |
Wege nach dem Gymnasium.“ Soziale Mischung ist bis heute ein Leitbild der | |
Stadtplanung geblieben. | |
Auch für eine andere Mischung hat der Plan gesorgt. Wohnen und arbeiten | |
sollten nicht mehr getrennt sein, sondern auf ein und demselben Grundstück | |
stattfinden. Mietskaserne und Fabriketage: Das war nicht nur eine | |
Erleichterung für die Arbeiter, es war auch die Vorwegnahme einer Stadt der | |
kurzen Wege – und vielleicht die Blaupause für das heutige Berlin der | |
kreativen Klasse. | |
Der dritte Punkt, den es zu würdigen gilt, sind die Plätze. „Die | |
öffentlichen Plätze“, so Hobrecht, „sind möglichst gleichmäßig zu | |
vertheilen; sie liegen entweder wie die Bauviertel zwischen den Straßen, | |
oder da, wo die Hauptstraßen zusammentreffen.“ Ohne ihn gäbe es weder | |
Reuter- noch Kollwitzplatz. | |
Kein Zweifel: Der Hobrecht-Plan war ein Wachstumsplan, der die Profitgier | |
der Bauspekulanten nicht verhinderte. Für die typisch berlinische Bebauung | |
mit mehreren Hinterhöfen aber war er nicht verantwortlich. Das wirklich | |
„steinerne Berlin“ ermöglichte die Baupolizeiordnung von 1853. Ihr zufolge | |
durfte ein Grundstück auf seiner ganzen Tiefe bebaut werden, Hauptsache, | |
eine Feuerwehrspritze konnte in den Höfen wenden. | |
Hobrechts Leistung ist es, das Wachstum Berlins über die kommunalen Grenzen | |
hinweg verteilt – und der neuen Metropole ein Gesicht gegeben zu haben, das | |
heute zur „Marke“ geworden ist. Denn auch die vielen Kieze gehen auf den | |
Plan zurück. Hobrecht vermied es, die Stadt aufs Zentrum auszurichten. | |
Stattdessen sollten die Ausfall- und Verbindungsstraßen selbst | |
Zentrumsfunktionen wahrnehmen. | |
So betrachten wir die Olympischen Spiele gern mit der beruhigenden | |
Gewissheit: Berlin ist nicht London. Danke, James. | |
29 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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