# taz.de -- Digitaler Identitätsklau: Sie haben mich gehackt! | |
> Horror 2.0: Keinen Zugriff aufs E-Mail-Konto, Facebook-Zugang weg, | |
> falsche Bettelmail an alle: Wie Unbekannte meine digitale Identität | |
> kaperten. Ein Protokoll. | |
Bild: Mein Netzleben hinter Schloss und Riegel? Ein Wunschtraum! | |
11.45 Uhr: Es beginnt mit einem etwas verstörten, aber doch amüsierten | |
Hinweis der Kollegin. "Schau mal, hab ich gerade von dir bekommen." Der | |
Blick auf ihren Bildschirm: Eine Mail auf Englisch, gesendet von meinem | |
E-Mail-Konto. "Betreff: Emergency". Ich sei in Spanien ausgeraubt worden, | |
alles weg. Handy, Geld, Kreditkarten. Ziemlich schlimm das alles. Nun | |
bräuchte ich dringend Geld - am besten über Western Union. Schließlich | |
müsste ich ja wieder nach Hause. Eine Telefonnummer steht auch dabei. | |
11.46 Uhr: Ich bin belustigt - und denke noch: blöder Scherz, wer denkt | |
sich so was aus und glaubt auch noch, dass das jemand ernst nimmt? | |
11.47 Uhr: Es gibt tatsächlich Menschen, die das ernst nehmen. Zurück an | |
meinem eigenen Schreibtisch, blinkt das Telefon, ich habe sieben SMS, sechs | |
Anrufe in Abwesenheit und fünf Nachrichten auf der Mailbox. | |
11.48 Uhr: Ich versuche, mich in mein E-Mail-Konto einzuloggen. Geht nicht. | |
Das Passwort stimmt nicht. Zweiter Versuch - ohne Erfolg. | |
11.49 Uhr: Ein ehemaliger Kollege ruft an. Ob es mir gut gehe? Er habe da | |
so eine Mail bekommen - und wollte mal nachfragen, ob ich tatsächlich Geld | |
bräuchte. Brauche ich nicht, danke der Nachfrage. Was ich brauche, ist | |
Zugang zu meinem E-Mail-Konto. | |
11.49 Uhr: Eine SMS von meinem Bruder. "Schwesterherz, was is da los?" | |
11.51 Uhr: Die Mailbox piept. Sieben neue Nachrichten, Freunde, Kollegen, | |
ein entfernter Verwandter. Ich realisiere: Diese Mail ging an alle | |
Menschen, denen ich jemals von meinem Konto aus eine Mail geschrieben habe. | |
Berufliche Kontakte, Exfreunde, völlig Fremde, die in einem Verteiler | |
landen, wenn es darum geht, ein gemeinschaftliches Hochzeitsgeschenk zu | |
organisieren. Horror! | |
11.54 Uhr: Ich rufe die Telefonnummer an, die in der Fake-Mail steht. Sie | |
hat eine spanische Vorwahl. Kein Anschluss unter dieser Nummer. | |
11.58 Uhr: Noch immer komme ich nicht an meine E-Mails. Mein Mailanbieter | |
hat keine Telefonnummer, die man in einem solchen Fall anrufen kann. Nur | |
ein Formular zur Kontowiederherstellung. Meine Mails werden auf ein anderes | |
Konto umgeleitet, steht da auf dem Bildschirm. Ich habe nie eine | |
Weiterleitung eingerichtet. Ich sperre das Konto, melde einen Missbrauch. | |
12.01 Uhr: Meine Mutter ruft an. Mein Taufpate habe auf ihren | |
Anrufbeantworter gesprochen und wolle wissen, ob ich gesund sei. "Kind, was | |
machst du für Sachen." | |
12.05 Uhr: Das Handy klingelt schon wieder. Ich gehe dran: "Nein, ich bin | |
nicht in Spanien ausgeraubt worden, mir geht es gut." Meine Kollegen im | |
Zimmer finden das alles sehr amüsant - ich zu diesem Zeitpunkt weniger. | |
12.11 Uhr: Ich fülle das Formular zur Kontowiederherstellung aus. Viele | |
Fragen, ich soll sie möglichst im Detail beantworten. Eine andere | |
Möglichkeit, mich zu identifizieren, gibt es nicht. Wann wurde das Konto | |
eröffnet? Tag? Monat? Jahr? Wann habe ich mich das letzte Mal erfolgreich | |
eingeloggt? Uhrzeit? Welche Anwendungen nutze ich - und seit wann genau? | |
Welchen fünf Kontakten habe ich zuletzt eine Mail geschrieben? Was weiß ich | |
denn?! | |
12.18 Uhr: Eine SMS vom Politikchef einer großen Tageszeitung, bei dem ich | |
vor einem Jahr ein Vorstellungsgespräch hatte. Er habe eine verstörende | |
Mail von mir erhalten und wolle mich auf einen offensichtlichen | |
Hackerangriff aufmerksam machen. Ich bedanke mich artig für den Hinweis - | |
und möchte vor Scham unter den Tisch kriechen. | |
12.25 Uhr: Ich versuche, mich in mein Facebook-Profil einzuloggen, um | |
wenigstens auf diesem Weg meinen Freunden zu sagen, dass offenbar jemand | |
mein Konto gehackt und eine absurde Mail verschickt hat. Facebook sagt mir, | |
ich hätte um 11.34 Uhr mein Passwort geändert. Habe ich nicht. | |
12.30 Uhr: Die E-Mail-Adresse, die bei Facebook hinterlegt ist, ist die, | |
auf die ich nicht mehr zugreifen kann. Der Link, um das Passwort | |
zurückzusetzen und zu ändern, erreicht mich deshalb nicht. Ich muss mich | |
identifizieren - also wieder: Fragen beantworten, Fotos meiner Freunde | |
identifizieren. Das neue Passwort lasse ich mir auf eine andere | |
E-Mail-Adresse schicken. | |
12.36 Uhr: Langsam dämmert es mir: Ich habe für mein E-Mail- und | |
Facebook-Konto dasselbe Passwort. Schön blöd, schon klar, das weiß jedes | |
Kind. Aber wer merkt sich schon 25 verschiedene Passwörter? Ich fange | |
zumindest mal damit an und ändere das Facebook-Passwort, jetzt ist es ganz | |
individuell. | |
12.46 Uhr: Das Handy klingelt. Eine Freundin aus Köln. Sie hat mir auf die | |
Hilfe-ich-wurde-überfallen-Mail geantwortet und eine zweite Mail bekommen. | |
Wieder auf Englisch. Da sei sie dann ins Grübeln gekommen. Ich wundere | |
mich, dass es ernsthaft Menschen gibt, die glauben, ich würde in so einem | |
Notfall eine Mail in gebrochenem Englisch an alle meine Freunde und | |
Bekannten schicken. Die Freundin leitet mir die Mail weiter. Die | |
E-Mail-Adresse des Absenders ist mit meiner fast identisch. In der Mail | |
steht, ich bräuchte 1.200 Euro, um wieder nach Deutschland zu kommen. "Nur | |
ein paar Blocks von hier ist ein Schalter von Western Union, am besten du | |
schickst das Geld direkt dorthin." Dann eine Adresse in Spanien. Immerhin, | |
mein neues Ich ist höflich: "Other than that, how are you?" heißt der | |
letzte Satz. | |
13.12 Uhr: Ich bekomme mein neues Passwort für mein E-Mail-Konto und kann | |
mich wieder anmelden. Nur leider sind alle meine Kontakte weg. Ich werde | |
leicht hysterisch bei dem Gedanken an all die Mailadressen, die ich | |
nirgendwo gesichert habe. Und aus der zweiten Rundmail mit einer Erklärung | |
samt zerknirschter Entschuldigung wird nun also auch nichts. | |
13.14 Uhr: Es melden sich Menschen bei mir, von denen ich eigentlich nichts | |
mehr hören wollte. | |
13.20 Uhr: Inzwischen habe ich auch wieder Zugang zu meinem | |
Facebook-Account. Eine kurze Statusmeldung von mir und die Zahl der Anrufe | |
nimmt merklich ab. Dafür steigt die Zahl amüsierter, mitleidiger, | |
erleichterter und hämischer Kommentare deutlich an. | |
13.34 Uhr: Ein Kollege kommt ins Zimmer. "Du hier und nicht in Madrid?" Ich | |
lache nicht. | |
13.42 Uhr: Mein großer Bruder - ein oft belächelter Computer-Nerd - wird | |
mein Held des Tages: Er schickt mir einen Link, mit dessen Hilfe ich meine | |
Kontakte wiederherstellen kann. Vier Mausklicks und mein Adressbuch ist | |
wieder komplett. | |
13.49 Uhr: Nach einer zweiten Mail an das Hilfe-Center ist auch die | |
Weiterleitung meiner Mails an die Fake-Adresse der Hacker gelöscht. Die | |
erste Mail, die mich erreicht, ist die meiner Mutter. Sie findet, dass | |
1.200 Euro ganz schon viel Geld seien, um von Madrid nach Berlin zu kommen. | |
Darüber kann ich zumindest wieder grinsen. | |
14.01 Uhr: Ich schicke eine Mail an alle meine Kontakte. Betreffzeile: | |
"Kein Notfall - nur Hacker" | |
14.27 Uhr: Die Computer-Expertise meines Bruders reicht mir nicht, ich will | |
wissen, was da los war. Wie kann es sein, dass Fremde an meine Passwörter | |
kommen? Wer steckt dahinter? Ich rufe beim Bundesamt für Sicherheit in der | |
Informationstechnik an. Ein Experte erklärt mir, dass Hacker schon länger | |
mit dieser Masche unterwegs sind. Nicht ohne Erfolg. Es gibt offenbar | |
tatsächlich Leute, die Geld überweisen, sagt der Mann. Er rät mir, meinen | |
Computer komplett überprüfen zu lassen. Wenn die Hacker ein Schadprogramm | |
eingeschleust haben, dann seien sie jetzt im Besitz all meiner Daten und | |
Passwörter, sagt er. Na wunderbar. | |
15.15 Uhr: Ich ändere alle Passwörter, die mir einfallen. Sämtliche | |
Onlineshops, bei denen ich mich jemals angemeldet habe, Buchungswebseiten | |
von Fluganbietern, Online-Banking. | |
15.44 Uhr: Der Sicherheitsexperte hat gesagt, die einzige Chance, den | |
Hackern auf die Schliche zu kommen, sei, vor der Western-Union-Filiale in | |
Madrid einen Polizisten zu stationieren, die Mitarbeiter von Western Union | |
einzuweihen, Geld zu überweisen - und darauf zu warten, dass der Polizist | |
nach einem Zeichen aus der Filiale zuschnappt. Ziemlich viel Aufwand. Ich | |
überlege lange - entscheide mich dann aber dagegen. | |
19 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffi Dobmeier | |
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