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# taz.de -- Frauenmangel bei den Piraten: Problem mit zwei X-Chromosomen
> 14 Männer und eine Frau bilden die Berliner Fraktion der Piraten.
> Öffentlich beklagen sie den Mangel. Intern kommen Initiativen, die Frauen
> stärken wollen, nicht so gut an.
Bild: Männer unter sich: Pressekonferenz der Piratenpartei.
BERLIN taz | Es fällt auf. Egal ob beim Flyerverteilen auf der Straße, bei
der Party am Wahlabend oder in der zukünftigen Fraktion der Piratenpartei
im Berliner Abgeordnetenhaus: Es gibt mehr Männer als Frauen. Mal sind es
deutlich mehr - in der Fraktion wird zwischen 14 Männern nur eine Frau
sitzen -, mal fällt es erst auf den zweiten Blick auf. Wie bei der
Wahlparty, wo der Männerüberschuss vor allem hörbar ist: Die Jubelrufe bei
den Hochrechnungen klingen wie von der Zuschauertribüne im Fußballstadion.
Die Piratenpartei und die Frauen, das ist ein Thema, bei dem die meisten
Mitglieder das Gesicht verziehen. Weil die Frage nach dem Frauenanteil
ständig kommt, aber niemand beispielsweise nach Menschen mit
Migrationshintergrund fragt. Weil man lieber mit Inhalten statt mit
Geschlechterfragen in Verbindung gebracht werden will. Und vielleicht auch,
weil man keine Lösung anbieten kann.
"Eine Quote lehnen wir ab", stellt der Listenerste Andreas Baum am Tag nach
der Wahl klar. Das ist zwar nicht Konsens in der Partei, aber die Meinung
der meisten Piraten. Auch von Frauen selbst. Das Argument, das häufig
kommt: Man wolle keine Quotenfrau sein. Schließlich gehe es nicht darum,
per se Frauen nach vorne zu bringen, sondern gute Leute. Und außerdem sei
man in der Piratenpartei über Geschlechterdifferenzen weitgehend hinaus.
## Geschlecht ist egal
Diese Einstellung zeigt sich auch im Grundsatzprogramm der Partei. "Die
Piratenpartei lehnt die Erfassung des Merkmals ,Geschlecht' durch
staatliche Behörden ab", heißt es dort. Menschen, die sich nicht in eine
der beiden Kategorien einordnen können oder wollen, sollen nicht
diskriminiert werden. In der Praxis führt das dazu, dass niemand zählt, wie
viele der etwas über 1.000 Mitglieder in Berlin Frauen und wie viele Männer
sind. Dass das Verhältnis ausgeglichen wäre, behauptet jedoch niemand. Das
wäre auch sehr unwahrscheinlich: Schließlich werden auch in die
Bezirksparlamente mehr als viermal so viel Piraten mit Männer- wie solche
mit Frauennamen einziehen.
"Uns ist bewusst, dass das ein Problem ist", sagt der zukünftige
Abgeordnete Christopher Lauer über den Frauenanteil. Klar wünsche man sich
mehr Frauen. Das Thema wühlt die Piraten auf. Die sonst so entspannten
Neulinge werden auf einmal laut, versuchen sich zu verteidigen und
gleichzeitig zu rechtfertigen. "Viele Frauen bleiben bei uns lieber in der
zweiten Reihe", sagt Pavel Meyer, der ebenfalls im Abgeordnetenhaus sitzen
wird. So sei das Programm maßgeblich von Frauen geschrieben worden. Das
Problem: An der Außenwirkung ändert das nichts.
Falls es jemanden gibt, der für die Innenwirkung zuständig ist, ist das am
ehesten Julia Schramm. Schramm ist seit zwei Jahren dabei und organisiert
Treffen von Mitgliedern, die sich als Piratin sehen. "Informelle
Vereinigung der Piraten mit zwei X-Chromosomen" heißt das in der
Piratensprache, und Schramm legt Wert darauf, dass nicht nur Mitglieder
kommen, die man klassischerweise als Frauen erkennen würde.
"Bei uns sind viele Bi- und Homosexuelle, Asexuelle und Polyamore. Die
haben ein ganz anderes Verhältnis zu Geschlecht und Gesellschaft", sagt
Schramm. Daher hätten Geschlechterrollen von vornherein weniger Bedeutung
bei den Piraten. Schramm macht das schon bei Kleinigkeiten des täglichen
Umgangs fest: Reiße doch mal jemand einen sexistischen Witz, gebe es
umgehend eine Entschuldigung, nach Freund oder Freundin zu fragen sei
verpönt. "Diese Heteronormativität, die gibt es bei uns nicht", sagt
Schramm.
## Sonderstellung ist unerwünscht
Doch auch sie empfindet es als problematisch, dass es weniger Frauen gibt.
"Die Piraten müssen für Frauen attraktiver werden", sagt sie. Vor zwei
Jahren gab es bereits einen Versuch, gestartet von der Piratin Leena Simon.
Auf einem Parteitag hatte Simon angekündigt, eine Mailingliste nur für
weibliche Mitglieder zu gründen, weil es bei den Piraten machistische
Diskussionen gebe und Frauen eine andere Atmosphäre brauchten, um sich zu
äußern. Der Vorschlag hatte ungefähr zwei Minuten Bestand. Der
Landesvorstand war dagegen, die meisten Mitglieder auch und im Internet gab
es reihenweise blöde Witze bis hin zu persönlichen Diffamierungen gegen
Simon.
"Das wurde damals als Erpressung empfunden", erinnert sich Schramm heute an
die Reaktionen. Sie will es anders versuchen: eine bessere Betreuung für
neue Mitglieder. Die informellen Treffen. Und eine Zusammenarbeit mit
anderen Parteien, um Strategien zu entwickeln, wie der Anteil von Frauen in
der Politik insgesamt gesteigert werden kann.
Von einer Quote in ihrer Partei ist Schramm nicht überzeugt: Wenn dadurch
demokratische Werkzeuge wie das Kumulieren und Panaschieren, also die
Häufung oder Verteilung der Stimmen eines Wählers auf einen oder mehrere
Kandidaten, unmöglich gemacht würden, dann gehe für sie die Demokratie vor.
20 Sep 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
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glauben lassen wollen.
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