Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechte Anti-Windrad-Kampagne in Baden: Die Eine-Million-Euro-Frage
> Im badischen Bruchsal steht ein Bürgerentscheid über Windräder an. Er
> wurde von einer Initiative durchgesetzt, die gegen die Energiewende
> hetzt.
Bild: Der Verein leugnet seit Jahren den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawa…
Am 14. Dezember stimmen in Bruchsal nahe Karlsruhe rund 34.800
Wahlberechtigte darüber ab, ob im Stadtwald Windkraftanlagen entstehen
dürfen. Es ist der Höhepunkt eines Streits, der die Stadt seit Monaten in
Aufruhr versetzt.
Im Mai sprach sich der Gemeinderat mit großer Mehrheit dafür aus, kommunale
Waldflächen für den geplanten Windpark „Bruchsal Süd“ zu verpachten. Geg…
diesen Beschluss machte die neu gegründete Bürgerinitiative „Kein Windrad
im Wald“ mobil. Sie sammelte Unterschriften, strengte ein Bürgerbegehren an
und setzte so die Abstimmung durch.
Die Fragestellung, die von der Initiative vorgegeben wurde, ist
kompliziert: „Sind Sie dagegen, dass die Stadt Bruchsal einen
Poolingvertrag und sich daraus ergebend einen Gestattungsvertrag für den
Bau und Betrieb von Windkraftanlagen in kommunalem Wald und angrenzenden
Ackerflächen mit privaten Eigentümer/-innen für das Potentialgebiet Süd
abschließt?“ Wer sich für das Projekt ausspricht, muss also mit „nein“
stimmen und umgekehrt.
In Baden-Württemberg ist das bereits der 16. Bürgerentscheid in diesem Jahr
zum Reizthema „Windkraft im Wald“. Gegner argumentieren dabei stets mit
Natur- und Artenschutz, [1][obwohl der Klimawandel dem Wald heftig
zusetzt].
## Initiative untertreibt Einnahmen
In Bruchsal ist die Situation paradox: Laut Auskunft der Verwaltung geht es
bei der Abstimmung um Waldflächen, die ohnehin bewirtschaftet werden. Auch
können die Bürger lediglich über vier Anlagen im Stadtwald entscheiden.
Gewinnt die Initiative, können trotzdem mindestens drei Windräder auf
privaten Waldflächen gebaut werden – aber der Stadt würden damit Einnahmen
von jährlich bis zu einer Million Euro entgehen.
Für „Team Zukunft Bruchsal“ ist das ein starkes Argument. Die Initiative
wurde von Jesper Willmann, Luca Butterer und Josef Geißler gegründet, um
bei der Abstimmung für die Verpachtung städtischer Flächen zu werben. Laut
eigener Aussage wird „Team Zukunft Bruchsal“ dabei von den meisten
Fraktionen im Gemeinderat – SPD, Freie Wähler, FDP und Grüne – unterstüt…
„Die Bürger in Bruchsal würden hier direkt von der Energiewende
profitieren“, sagt Willmann. „Bei der knappen Haushaltslage brauchen wir
das auf jeden Fall.“
Die Initiative gegen die Windräder sieht das anders. Auf
Bürgerinformationsveranstaltungen rechnet sie vor: Eine Million Euro
entsprechen gerade einmal 0,6 Prozent des Bruchsaler Haushalts von 170
Millionen.
Das greift aber zu kurz, sagt Oberbürgermeister Sven Weigt (CDU): „Die
Einnahmen, die wir da erzielen würden, werden nirgendwo angerechnet. Sie
gehen netto in unsere Kasse und wir können völlig frei entscheiden, wie wir
das Geld verwenden.“
## Falschinformationen in Broschüren
Es ist nicht das einzige Detail, bei der es die Initiative nicht so genau
nimmt. Laut Verwaltung müssen für die Bruchsaler Windräder maximal vier
Hektar Wald abgeholzt werden – die Initiative spricht dagegen von acht
Hektar.
In einer Infobroschüre der Stadt zum Bürgerentscheid warnt sie außerdem vor
gefährlichen Infraschall-Emissionen durch die Windräder, [2][obwohl bereits
2021 Forscher*innen festgestellt haben, dass der von Windrädern
ausgehende Infraschall jahrelang ums Tausendfache überschätzt wurde].
Laut Oberbürgermeister Weigt hatte die Verwaltung keinen Einfluss auf den
Text, der an alle Bruchsaler Haushalte verteilt wurde. „Da gibt es klare
Spielregeln beim Bürgerentscheid“, sagt er. Die Stadt müsse in der
Infobroschüre alle Positionen darstellen und dabei genau darauf achten, wie
viel Platz jeder hat. „Und die Initiative hatte das Recht, ohne unsere
Kenntnisnahme dort ihren Text abzudrucken. Den hat niemand vorher gesehen.“
Formal sei das so vorgegeben.
Auch bei Informationsveranstaltungen der Stadt durfte die Initiative ihre
Positionen darlegen. Die Bürgerinitiative bezeichnet sich selbst als
„unabhängig und überparteilich“. Als Sprecherin tritt jedoch Dela Schmidt
auf, die für die stramm rechte Wählergemeinschaft „Aufbruch Bruchsal“ im
Gemeinderat sitzt. Die zweite Person, die im Impressum der BI-Website als
Verantwortlicher genannt wird, kandidierte bei der Kommunalwahl 2024
ebenfalls für „Aufbruch Bruchsal“, bei der dritten Person handelt es sich
offenbar um die Ehefrau eines Kandidaten.
## „Experte“ lobt Atomkraft und verschweigt Klimawandel
In ihrem Wortbeitrag beschwerte Schmidt sich, dass die Stadt einen von der
Initiative ausgewählten Experten nicht zugelassen habe. Am 4. Dezember
richtete sie deshalb eine eigene Infoveranstaltung aus. Zu Gast war
Christoph Canne von der „Bundesinitiative Vernunftkraft“, die seit Jahren
Bürgerinitiativen in ganz Deutschland bei ihrem Kampf gegen Windräder
unterstützt und [3][laut Lobbycontrol] der rechten Klimaleugner-Szene
nahesteht.
In seinem einstündigen Vortrag erklärte Canne die Energiewende für
gescheitert, machte sie für die Deindustrialisierung in Deutschland
verantwortlich und warb für einen Wiedereinstieg in die Atomenergie. „Das,
wofür Sie hier stehen, ruiniert Arbeitsplätze und die wirtschaftliche
Tragfähigkeit“, erklärte er dem Publikum. Der Klimawandel spielte dagegen
keine Rolle.
Auch die Initiative schwärmte zeitweise von „modernen Kernreaktoren“ als
„zuverlässigere und umweltfreundlichere Alternative zur Windenergie“.
Konkret war von Dual-Fluid-Reaktoren die Rede – ein Konzept, das bisher
allerdings nur auf dem Papier existiert. Inzwischen ist die Passage von der
Website der BI verschwunden. Auch ein Video mit dem Titel „Die Wahrheit
über die CO₂-Lüge“ wurde entfernt. Über die Gründe schweigt die BI sich…
Nachfrage aus.
## Verbindungen zu rechten Klimaleugnern
Der gelöschte Clip stammte vom „Europäischen Institut für Klima und
Energie“, kurz Eike. Der Verein leugnet seit Jahren den wissenschaftlichen
Konsens zum Klimawandel und steht der AfD nahe. Die Verbindungen zur
Bruchsaler Lokalpolitik sind nicht neu: Schon 2019 referierte Eike-Sprecher
Horst-Joachim Lüdecke auf Einladung von „Aufbruch Bruchsal“ über den
Klimawandel. Die Wählervereinigung hatte ursprünglich ein
Pro-Contra-Streitgespräch geplant, erzählt Stadträtin Schmidt in einem
Video der Veranstaltung. Jedoch wollte sich keiner der angefragten
Klima-Wissenschaftler oder Lokalpolitiker auf eine Diskussion mit Lüdecke
einlassen. Sie „fürchten zu Recht eine Entblößung, wenn ein fachkundiger
Gegner anwesend ist und Redefreiheit herrscht“, wird sie auf der
Eike-Website zitiert.
Mit Fritz Vahrenholt hatte die Initiative „Kein Windrad im Wald“ schon im
Frühjahr einen Redner zu Gast, der sowohl von Vernunftkraft als auch Eike
immer wieder als Experte zitiert wird. Angesprochen auf diese Verbindungen
reagiert „Team Zukunft Bruchsal“ verblüfft. Allerdings erkläre das, wieso
die Videos und Infomaterialien der Bürgerinitiative so professionell
aussehen, sagt Sprecher Willmann – obwohl die Initiative selbst behauptet,
sich rein durch Spenden zu finanzieren. Fragen dazu ließ die Initiative
ebenfalls unbeantwortet.
Willmann wurde auf der Veranstaltung der BI hart angegangen: Dela Schmidt
warf „Team Zukunft Bruchsal“ vor, Christoph Canne keine Fragen gestellt zu
haben. „Hätten wir Fragen gestellt, hätte es geheißen, dass wir eine
Bürgerveranstaltung für uns vereinnahmen“, sagt Willmann später. Mit dem
Bruchsaler Bürgerentscheid hatte das Thema des Vortrags von Canne dagegen
nichts zu tun.
11 Dec 2025
## LINKS
[1] /Expertenbericht-zu-Klimazielen/!6084747
[2] /Windkraftanlagen-mit-weniger-Dezibel/!5762506
[3] https://lobbypedia.de/wiki/Bundesinitiative_Vernunftkraft
## AUTOREN
Aline Pabst
## TAGS
Windkraft
Schwerpunkt Klimawandel
Baden-Württemberg
Naturschutz
Wald
IWF
Energiewende
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ökonomin über Entwicklungsfinanzierung: „Seien wir ehrlich, der Planet bren…
Der Niedergang der US-Hegemonie führt zu einer Phase von Chaos, sagt die
indische Ökonomin Jayati Ghosh. Aber er bringe auch Chancen.
Streit um Solarpark: Energiewende? Nicht auf meiner Koppel
In Brandenburg soll ein riesiger Solarpark entstehen. In der Gemeinde gibt
es aber Streit zwischen Befürwortern und Gegnern.
Reporter über verdeckte Recherche: Geschäftsmodell Klimaleugnung
Das Netzwerk Correctiv zeigt, wie die US-Organisation Heartland
Klima-Propaganda verbreitet. Verbindungen reichen bis nach Deutschland.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.