| # taz.de -- Die Wahrheit: Leckerlis für Geldautomaten | |
| > Die Wichtigheimer im Zug lassen partout nicht nach, in der Ersten Klasse | |
| > telefonieren sie vor Weihnachten noch eine Spur lauter und ekelhafter. | |
| Wer wirklich was über die Welt lernen will, sollte sich in ihre untersten | |
| Abgründe bewegen. Ich empfehle die Erste Klasse der Deutschen Bahn. Dass | |
| das die Hölle der Wichtigtuer ist, geschenkt, ja, selbst Zoom-Meetings | |
| werden dort abgehalten, die der armen Kolumnistin das Datenvolumen für den | |
| Zeitungsdownload wegsaugen. Alles bekannt. | |
| Aber als ob das nicht genügt, wird zehn Minuten vor Berlin gebrüllt: „Wir | |
| unterbrechen! Ich muss aussteigen, ich kann mich nicht mehr konzentrieren!“ | |
| Und dann wird das Handy nicht ausgeschaltet, sondern lässig in der Hand hin | |
| und her gewedelt, damit alle Welt sehen kann, wie zwei arme subalterne | |
| Karnickel weiter hypnotisiert vor ihren Endgeräten darauf warten, dass ihr | |
| toller Chef die schwierige Aufgabe meistert, einen Zug an einem Bahnhof | |
| unfallfrei zu verlassen. Hoffentlich hat er seine Kamera abgeschaltet, | |
| sonst müssen sie sich übergeben wegen des unprofessionellen Schwenks. Aber | |
| vielleicht müssen sie das sowieso jeden Tag? | |
| Bevor dieser Text in die beliebte „Früher war alles besser“-Fahrspur | |
| hineinschliddert – nein, war es nicht. Es gibt Dinge, die früher schon | |
| genauso schlimm waren, zum Beispiel Wohnungssuche für Studierende. Ha! Die | |
| alten Geschichten erzähle ich jetzt nicht, weil die neue lustiger ist. | |
| Drei Plätze weiter sitzt ein etwa dreißigjähriger Mann mit Wollmütze vom | |
| Typ Zwerg Nase: „Und das Schönste ist, wir haben Staffelmietverträge, da | |
| kommen jedes Jahr 15 bis 20 Prozent drauf … nein, Göttingen ist ’ne sichere | |
| Sache, da wird immer studiert. Was? Nein, wir haben schon über 30 Bewerber | |
| für die Wohnung; wir suchen uns die Leckerlis raus. Die größte Wohnung hat | |
| 20 Quadratmeter! 530 Euro für unter 20 Quadratmeter, das ist schon ’ne | |
| Hausnummer. Wenn die ausziehen, muss alles weiß sein, aber Studenten können | |
| nicht so malern, das machen wir selbst und ziehen 360 Euro von der Kaution | |
| ab. Klar, Keller und Stellplatz gibt es auch, da quetschen wir aber nicht | |
| noch extra was raus. Man will ja auch bisschen menschlich bleiben, ’ne?“ | |
| ## Fleischüberzogener Geldautomat | |
| Diesem fleischüberzogenen Geldautomaten möchte ich nicht länger zuhören. | |
| Inzwischen fordert ohnehin ein anderer Schreihals meine Aufmerksamkeit: | |
| „Das geht in Zukunft alles über meinen Schreibtisch! Sonst weiß ich das | |
| doch gar nicht! Dann weiß ich auch, dass die Seite sechs unterschrieben | |
| werden muss! Sonst weiß ich das doch gar nicht!“ | |
| Und weiter geht es mit der Schimpferei, die Mitarbeiterin macht er morgen | |
| rund, haha, aber nein, eigentlich tangiert ihn das alles nicht, versichert | |
| er mehrfach. Ja, es berührt ihn so wenig, dass er gleich noch jemand | |
| anderen anruft und alles brüllend wiederholt. Diesmal mit der Einleitung: | |
| „Ich bin sehr großzügig in vielen Dingen, aber –“ Der | |
| First-Class-Lügendetektor lässt ein 16-Tonnen-Gewicht auf ihn fallen und – | |
| nein, schade, den wird es erst in den ICEs der nächsten Generation geben. | |
| 10 Dec 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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