| # taz.de -- Die Wahrheit: Monster-Boomer-Heim | |
| > Auf dem Land ein Domizil zu beziehen, war im Lebensplan eigentlich nicht | |
| > vorgesehen. Aber wer sagt denn, dass es nicht zurückgeht in die große | |
| > Stadt? | |
| In Umzügen war ich mal gut, sieben in acht Jahren; allerdings musste ich | |
| nie mehr ein- und auspacken als den Inhalt von ein bis zwei WG-Zimmern. | |
| Deswegen habe ich auch meine Freunde behalten, jedenfalls nachdem ich mich | |
| von Omas schwerer Tretnähmaschine getrennt hatte. Meine Eltern, die von nun | |
| an das Erbstück in ihrem Keller beherbergen mussten, konnten sich ja | |
| deshalb schlecht von mir lossagen. | |
| Alles fand in derselben Stadt statt, man wechselte nur die Zimmer in einem | |
| großen, wohligen Über-Zuhause, durfte sich an einen neuen Supermarkt und | |
| eine neue U-Bahn-Station gewöhnen und für ein paar Wochen an die | |
| Telefonzelle, bis man wieder angeschlossen war. | |
| Jetzt bin ich die mit dem Keller. Als ich wegen der Arbeit in eine Wohnung | |
| aufs Land zog, hielt ich das für eine vorübergehende interessante | |
| Erfahrung. Der Kauf des ersten eigenen Sofas (zweisitzig) stürzte mich in | |
| eine tiefe Krise: Wohin damit, wenn es zurück ins WG-Zimmer geht? | |
| Stattdessen orientierte ich mich dann an der DIN 1960 (Deutsche | |
| Boomer-Standardbiografie) und bezog ein Einfamilienhaus, was in meinem | |
| Lebensplan (Möchtegern-Bohèmienne) eigentlich nicht vorgesehen war. Wie | |
| konnte das passieren? Ganz einfach, die anderen haben das auch alle | |
| gemacht. So ähnlich kam ich zu meinem Studienabschluss: Irgendwann sitzt | |
| kein Kumpel mehr in der Bibliothek – und kein vertrauter Wohnungsnachbar | |
| mehr nebenan. | |
| „Von außen ist es ja nicht so schön“, attestierte eine Freundin kürzlich | |
| unserer Sechziger-Jahre-Bude. So was hört man gern nach zwanzig Jahren | |
| Bewohnerschaft. Das „Bist du ja auch nicht“ verkniff ich mir trotzdem; das | |
| Land hält nicht so viele Freunde vorrätig. | |
| Inside the Boomer-Monster-Gehäuse hätte inzwischen mein altes WG-Zimmer auf | |
| unserem neuen Sofa Platz. Das ist luxuriös, aber auch lähmend. Wir können | |
| nie wieder umziehen. Die Bücherwand! Meine 45 Lieblingstassen! Die | |
| Kartonsammlung im Keller! | |
| Angesichts der vielen Menschen, die verzweifelt eine Wohnung suchen und | |
| beinahe nichts haben, flüstert mir mein Gewissen in dunklen Momenten zu, | |
| unser Heim habe längst die Dimension und Obszönität des Trump’schen | |
| Ballsaales erreicht, auch wenn wir Blattgold streng gemieden haben. Das | |
| Teufelchen, das hier auch gern lebt, gibt dagegen zu bedenken, dass die | |
| anderen ja ebenfalls aufs lässige Land ziehen könnten, wo der Leerstand | |
| lockt. | |
| Trotzdem bleibt die Idee verführerisch, das alles irgendwann hinter sich zu | |
| lassen. Wir haben unseren Beitrag zur Provinzbelebung geleistet und reihen | |
| uns eines Tages ein in die Schlange für die überteuerte Zweizimmerwohnung | |
| an einer lauten Straße in der nächsten Großstadt. Den Makler bestechen wir | |
| mit Tassen und Kartons, denn Bücher will schließlich niemand mehr haben. | |
| Dazu singen wir: „Stadtluft macht frei!“ Hoffentlich hat unsere | |
| Landgemeinde genügend Container übrig für das, was – laut Hölderlin – | |
| bleibet. | |
| 12 Nov 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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