| # taz.de -- Skandal um Sänger Konstantin Wecker: Nicht zu bremsender libertär… | |
| > Was die Beziehung Konstantin Weckers zu einem 16-jährigen Mädchen mit der | |
| > Backstage-Kultur von Rammstein und ihrem Sänger Till Lindemann zu tun | |
| > hat. | |
| Bild: Lustvoll sich ausbreitender, kerniger, aber auch weicher Mann: Konstantin… | |
| Konstantin Wecker, damals 63, schläft also in den Jahren 2011 und 2012 mit | |
| einer damals 16-Jährigen, die er schon, als sie noch 15 war, durch seine | |
| Überredungskünste ins Hotelzimmer mitnahm. Die moralische Empörung ist | |
| erwartbar und berechtigt. Aber sie neigt manchmal dazu, den Mann zu | |
| überhöhen und den Fall zu individualisieren. | |
| Das Aufschlussreiche an Konstantin Wecker aber ist die Struktur. Und der | |
| Hinweis, dass Dämonisierung zur Klärung wenig beiträgt und vor allem der | |
| Betroffenen potenziell eher schadet, ist richtig. Sie verstärkt die Scham, | |
| die bislang leider noch gar nicht daran denkt, die Seite zu wechseln, und | |
| erschwert das Darüberreden. Der Schriftsteller Anselm Neft hat kürzlich | |
| darauf hingewiesen: „Es ist nicht empowernd, Menschen zu verdammen.“ | |
| Dämonisierung verstellt zudem den Blick auf das leider Sturznormale, das | |
| Gängige des ganzen Falls. Hier findet sich die erste von vielen | |
| Überschneidungen [1][mit der Affäre um den Sänger der Berliner | |
| Schockrockband Rammstein, Till Lindemann]. Die Formen, in denen Wecker und | |
| Lindemann ihre Bilder von Männlichkeit konstruieren (brunftiger | |
| Chansonsänger hier, Pimmelkanone auf der Bühne da), sind besonders: Einfach | |
| weil beide künstlerische Formen zur Verwendung haben. Das ist nun mal ihr | |
| Beruf. | |
| ## In den Körperbildern begründet | |
| Die Ästhetik des einen wird als politisch links, die des anderen – | |
| inklusive Ironie- und Meta-Ebenen-Debatte – als rechts rezipiert. Diese | |
| Rezeption liegt auch in den jeweiligen Körperbildern begründet: Auf der | |
| einen Seite der lustvoll überall hin sich ausbreitende, kernige, aber auch | |
| weiche Mann, dort der soldatische Comic-Körperpanzer. | |
| Die Unterschiede zwischen beiden Performances verdecken die Ähnlichkeiten | |
| und Überschneidungen aber nur partiell. Auch ist bei Konstantin Wecker | |
| bislang unklar, ob das Grooming systematischen Charakter hatte, so wie das | |
| Junge-Frauen-Casting um Lindemann. Da könnte man bald mal eine historische | |
| Recherche zur Atmosphäre in Weckers damals eigener Münchner Kneipe Kaffee | |
| Giesing in den 1980ern unternehmen. | |
| Konstantin Wecker jedenfalls hat sich als dauerviriles bayerisches | |
| Mannsbild inszeniert, ein von den Konventionen nicht zu bremsender | |
| libertärer Geist am Piano. „Ich sehe oft keine Jugend oder Alter, sondern | |
| nur noch Bewusstseinsstufen“, versicherte Wecker der damals 16-jährigen, | |
| mit der er besoffen ins Bett ging. Kategorien wie Verantwortung gegenüber | |
| Unerfahrenen, großer Altersunterschied und eine Konsensualität frei von | |
| Manipulation gelten dem sich als anarchisch inszenierenden Mann nichts. | |
| ## Ausgeprägtes Pathos | |
| Der entsprechende ästhetische Modus ist bei Wecker ein ausgeprägtes Pathos, | |
| in dem das Banale bedeutsam und lebensprall daherkommt. [2][Wenn das | |
| lyrische Ich einen einfachen Sachverhalt kommunizier]t, zum Beispiel, dass | |
| es gerne in den Puff geht, um mit jüngeren Frauen zu schlafen („Noch Kind, | |
| doch trotzdem dieser Welt / bewusstlos in den Arsch gestellt“), geht der | |
| Wecker-Refrain mit Karacho in die Vollen: „Ja, Freunde, ja! Ich liebe diese | |
| Hure!“ | |
| Beispiele für diese Überhöhung von einer unter patriarchal verfassten | |
| Bedingungen eher normal strukturierten Männersexualität finden sich in | |
| Weckers Liedern viele. [3][Analog bei Till Lindemann, aber in einem anderen | |
| Register.] | |
| Wenig an der mit Perversion und Transgression kokettierenden | |
| Rammstein-Performance verlässt den Rahmen der Bildermassen von | |
| Internetseiten wie Youporn. Wenn es auch hier wieder mit großem Gestus und | |
| hochwertig daherkommt, zum Beispiel als Gedichtband. Lindemanns viel | |
| zitiertes K.-o.-Tropfen-Poem („Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins | |
| Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein | |
| Segen“) war dann aber nur eine sich reimende Vergewaltigungsfantasie. | |
| ## Nummer eins der Suchanfragen bei Pornhub | |
| Der große Gestus und das Großkünstlertum verdecken in beiden Fällen, dass | |
| sich hier eigentlich was Tristes artikuliert. Alte Männer, die 15-jährige | |
| Mädchen vögeln wollen (Wecker hat dann noch den 16. Geburtstag abgewartet), | |
| sind keine Ausnahmeerscheinung. „Teen“ war für Jahre Platz 1 unter den | |
| Suchanfragen bei Pornhub. | |
| Die Fantasie liegt also massenhaft vor, Wecker und Lindemann setzen das nur | |
| um. In symbolischen Welten, der Kunst, und im Realen, zum Beispiel in | |
| Hotelzimmern. Das Beruhigende an der Fantasie ist gerade das Machtgefälle. | |
| Mit Frauen auf Augenhöhe müsste man sich auseinandersetzen, im Bett und | |
| auch sonst. Teen Porn ist für Erwachsene immer Dominanzfantasie. | |
| Die Kommentatoren, die es mit Nachdruck und Wut verteidigen, wenn mächtige | |
| Künstlertypen mit um Jahrzehnte jüngeren Frauen ins Bett gehen, sind in | |
| beiden Fällen zahlreich. | |
| ## Allergisch gegen Grenzensetzen | |
| Man kann sich das Affektinvestment eigentlich nur darüber erklären, dass | |
| sich Menschen hier mitgemeint fühlen: Der Eindruck, dass viele Männer nach | |
| wie vor allergisch auf alles, was droht, ihnen Grenzen setzt, reagieren, | |
| drängt sich sehr auf. Hinweise auf Manipulation, Machtgefälle und Grooming | |
| sollen mit einem Verweis auf den angeblich freien Willen weggebügelt | |
| werden: Sie wollte es doch so. Dafür, dass der freie Wille in Fragen der | |
| Sexualität und des Begehrens entscheidend sein soll, klingen all diese | |
| Stimmen dann aber doch sehr vorhersehbar und uniform. | |
| Dabei geht es gerade um die Übertretung. Und es ist – in dieser Hinsicht – | |
| relativ egal, ob diese sich in Form einer anarchischen Libertinage-Fantasie | |
| wie bei Wecker oder in einer Swinger-Club-S/M-Bilderwelt wie bei Lindemann | |
| ausdrückt. | |
| In beiden Fantasiewelten sind Machtgefälle und das eben gerade nicht | |
| konsensual-spielerische Übertreten der Grenzen des Anderen lustvoll | |
| besetzt. Einmal explizit als manifeste Übertretungsfantasie bei Till | |
| Lindemann, einmal implizit als Fantasie von der eigenen Unbändigkeit und | |
| Grenzenlosigkeit bei Konstantin Wecker. | |
| Im Realen kommen zur Selbstentgrenzung dann aber die zwangsläufigen | |
| Verletzungen und Beschädigungen der Betroffenen hinzu. Wenn die versuchen, | |
| sich Gehör zu verschaffen, werden, ganz bürgerlich, die Anwälte | |
| mobilisiert. | |
| Weckers Anwalt formulierte in seiner Entschuldigung einfach einen sehr | |
| deutschen Satz: An vieles könne sich sein Mandant – krankheitsbedingt – | |
| leider nicht mehr erinnern. | |
| 24 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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