| # taz.de -- Micha Brumlik über Fassbinder: Krankfurt–Ballade in Manhattan | |
| > Nach der Uraufführung von „Der Müll, die Stadt und der Tod“ ist das | |
| > umstrittene Stück frei für andere Bühnen. Es sollte in Grönland und Gabun | |
| > gespielt werden. | |
| Bild: Szenenprobe von „Der Müll, die Stadt und der Tod“ in den Frankfurter… | |
| Dieser Text erschien erstmals am 18. 4. 1987. Es war der erste Text von | |
| Micha Brumlik in der taz. Wir haben ihn aus Anlass des Todes von Micha | |
| Brumlik erneut publiziert. | |
| Wenn dieser Tage Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und | |
| der Tod“ an einer kleinen New Yorker Off–off–Broadwaybühne | |
| „welturaufgeführt“ wird, könnte es sich als eines der vielen künstlerisc… | |
| Nichtereignisse erweisen, die dort Tag für Tag verglimmen. | |
| Fassbinders antijudaistisch grundierte Krankfurt–Ballade, deren geplante | |
| Aufführung in der Weltpresse Schlagzeilen machte, in dem sie die honorigen | |
| Vorstandsmitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde über die | |
| Bühnenbesetzung in den Hausfriedensbruch trieb und zu einer erbitterten | |
| Debatte über die Freiheit der Kunst unter bundesdeutschen Intellektuellen | |
| führte, scheint heute keine Katze mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. | |
| Wo bleiben, so mag man oder frau sich fragen, die Kassandra–Rufe jüdischer | |
| Offizieller, wonach eine „Welturaufführung“ es jeder neonazistischen | |
| Laienspielschar gestatten würde, das Stück als antisemitische Provokation | |
| aufzuführen? Und vor allem: Warum wehrt sich die ach so mächtige und | |
| bedrohliche jüdisch–zionistische–amerikanische Lobby nicht? | |
| Zunächst jedenfalls steht folgendes fest: – Das Problem der | |
| „Welturaufführung“, das noch den Frankfurter Kritikerpapst Iden so umtrieb, | |
| existiert überhaupt nicht! Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen | |
| Fassbinders Themenlieferant Zwerenz und Fassbinders Verlag, dem „Verlag der | |
| Autoren“, haben beinahe bewiesen, daß es das sagenhafte Testament überhaupt | |
| nicht gibt. | |
| Die vom „Verlag der Autoren“ immer wieder aufgestellte Behauptung, es dürfe | |
| dies Stück nach Fassbinders Willen nur in Frankfurt am Main, Paris oder New | |
| York uraufgeführt werden, ließ sich vor Gericht nicht erhärten. Es gibt | |
| Henryk Broders und Gerhard Zwerenz Vermutung Recht, daß es sich nur um | |
| einen schäbigen Reklametrick des „Verlag der Autoren“ handelt. | |
| Fassbinders Stück war und ist nicht dazu geeignet, etwa im Großen Saal der | |
| Jugendherberge von Celle von der Wiking–Jugend aufgeführt zu werden. Zu | |
| grell die Sprache des Dramas, zu unkonventionell die Welt sexueller | |
| Inversionen, als daß es „normalen“ Rechtsextremisten zumutbar wäre. | |
| Die Bühnenbesetzung und der darauffolgende Skandal sind auf andere | |
| Gesellschaften nicht übertragbar. Die symbolische Regelverletzung | |
| artikulierte einen existentiellen Prozeß, der so nur hier stattfinden | |
| konnte, da er Fragen verdeutlichte, die anderswo nicht drängen: Wie können | |
| Juden erhobenen Hauptes im Lande der ehemaligen Mörder und Mitläufer leben? | |
| Was schuldet die jüngere jüdische Generation der oft beschämten und | |
| verängstigten Generation ihrer Eltern? Und schließlich: Zu wieviel Takt und | |
| Schonung ist die deutsche Gesellschaft gegenüber den Opfern und zu wieviel | |
| wirklicher Aufklärung ist sie sich selbst gegenüber verpflichtet? | |
| All diese Fragen treffen für die USA – trotz des auch dort keineswegs | |
| geringen Antisemitismus – nicht zu. Daß Antijudaismus und Antisemitismus | |
| erwartbare, normale Bestandteile der christlich/abendländischen Kultur | |
| sind, haben die meisten Juden inzwischen resigniert zu akzeptieren gelernt: | |
| von Frankreich bis Argentinien, von den USA bis zur UdSSR. | |
| Doch das Verhältnis von Juden und Deutschen wird auf absehbare Zeit anormal | |
| bleiben, was auch Konsequenzen für den „normalen“ Antisemitismus nach und | |
| wegen Auschwitz haben muß: Die Bundesrepublik Deutschland sollte das letzte | |
| Land der Welt, nach Grönland und Gabun, sein, in dem Fassbinders | |
| zweifelhaftes Legat angenommen wird! | |
| 11 Nov 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
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