| # taz.de -- Weltschuld trifft Lieblingslied: Rasputin Remix | |
| > Ständige Bedrohungen, Atombombe, dritter Weltkrieg: Unsere Kolumnistin | |
| > erlebt schlechte Gewissen angesichts der Weltlage, sogar bei | |
| > Lieblingssongs. | |
| Bild: Ohne schlechtes Gewissen: Kann man die Weltlage ausblenden? | |
| Seit über mir eine ukrainische Familie wohnt, habe ich Schuldgefühle, wenn | |
| ich mein Lieblings-Aktivierungslied höre, selbst das Banalste ist nicht | |
| mehr dasselbe, seit alles so ist wie es ist!“, sagt der Freund und zieht | |
| melancholisch-feucht an seiner Selbstgedrehten. | |
| „Was ist ein Aktivierungslied?“, fragt der andere, dreht den Elbsegler auf | |
| seinem Kopf um 180 Grad und nippt eskapistisch versunken am Smoked Vodka | |
| Negroni. | |
| „Na, so ein Lied, das dich lustvoll euphorisiert, ekstatisch amüsiert, | |
| positiv anzündet, egal was, wenn du dich fertig machst zum Losgehen, egal | |
| wann und wohin, selbst wenn du träge bist und grad nicht mehr an neue | |
| Triebe glaubst.“ | |
| „Und welches Lied ist das für dich?“ | |
| „Rasputin von Boney M!“ | |
| „Russias greatest Lovemachine!“ | |
| „Beim Gedanken an den Beat zuckt im Geiste direkt die Hüfte.“ | |
| „Bereits seit ich 20 bin, hier und da gab es andere Lieder, Rasputin | |
| blieb!“ | |
| „Stimmt, schon nach den ersten Sekunden kommt man lebensaffin drauf.“ | |
| „Und gut drauf sein ist der neue Shit.“ | |
| „Finde das nicht mehr leicht in mir, mit oder ohne Musik.“ | |
| „Warum sollte man nicht gut drauf sein, welche Weltschuld trifft dich?“, | |
| fragt die Freundin. | |
| „Na, was heißt Schuld, eher ständige Bedrohungsgrundsituation, Atombombe, | |
| dritter Weltkrieg.“ | |
| „Ach, das hat doch auch irgendwas Vertrautes, mich erinnert das an meine | |
| Kindheit, der Kalte Krieg war irgendwie immer mit dabei und am Ende ging es | |
| gut aus, oder?“ | |
| „Temporär schon.“ | |
| „Na, für viele ja nun gar nicht.“ | |
| „'Ne Menge Spione haben es nicht überlebt.“ | |
| „Aber waren Bürger:innen direkt betroffen?“ | |
| „Zivilisten wurde das Fürchten durch das große Ganze, die Imagination, | |
| gelehrt.“ | |
| „In der Tat tödlich war es allerdings für etliche Menschen in Korea, | |
| Vietnam, Afghanistan, im Kongo, sogenannte heiße Stellvertreterkriege gab | |
| es viele.“ | |
| „In den USA sind dagegen bloß Schaufensterpuppen quallos verbrannt, sie | |
| wurden für Hausfrauen-Atomtests benutzt.“ | |
| „Und wegen der Männer wurde da nicht getestet?“ | |
| „Waren die 60er, vielleicht wollte man keine Bürogebäude beschädigen.“ | |
| „Aber ’ne Menge Katzen waren direkt betroffen.“ | |
| „Wieso jetzt Katzen?“ | |
| „Na, die wurden vom CIA für die Aktion Acoustic-Kitty präpariert, sollten | |
| später als vermeintliche Streuner als Spezial-Abhörsamtpfoten spionieren, | |
| wenn zum Beispiel Sowjet-Diplomaten beim Lunch auf einer Parkbank | |
| plauderten … glaub nicht, dass das für die Katzen gut ausging, dabei kamen | |
| sie trotz harten Trainings und Implantaten bis zum Schwanz nicht mal zum | |
| Einsatz.“ | |
| „Eine schon, aber die wurde dann direkt von einem Taxi überfahren.“ | |
| „Warum ist es wichtig, dass es ein Taxi war?“ | |
| „Taxis wird es bald auch nicht mehr geben.“ | |
| „Was wird es in 100 Jahren noch geben?“ | |
| „Nur Künstliche Intelligenz. Die hat dann alle Menschen und alles | |
| Menschliche ersetzt, die Natur kann sich erholen.“ | |
| „Aber KI ist doch voll beschissen fürs Klima!“ | |
| „Ja, aber wenn erstmal alle Menschen weg sind, gleicht sich das doch | |
| bestimmt aus.“ | |
| „Und was macht die KI dann noch?“ | |
| „Spielt ihre All-Time-Favorit-Aktivierungslieder in Endlosschleife ab.“ | |
| 31 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Ramadan | |
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