| # taz.de -- Die Freuden des Italo-Pops: Eigentlich ist es ganz einfach mit dem … | |
| > Wenn einen die ganzen Zumutungen des Lebens nur noch frösteln lassen, | |
| > muss man nicht verzagen. Man darf doch im Berliner Schokoladen Italo-Pop | |
| > hören. | |
| Bild: Der Namensgeber für das Berliner Gebäckorchester: der italienische Sän… | |
| Weil man mit Goethe eigentlich wenig falsch machen kann, darf so ein | |
| Klassikerzitat gleich mal am Anfang ran. Seufz: „Kennst du das Land, wo die | |
| Zitronen blühn,/ Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn …“ | |
| Da geht es um Sehnsucht. Da geht es um Dinge, die man hier bei uns halt | |
| nicht hat. Und deswegen mag man sich an den Zeilen zwischendurch einfach | |
| mal festhalten, wenn draußen wieder Stürme toben und der Wind Fangen spielt | |
| mit den Blättern. Was hübsch aussieht. Wenn der Wind aber die Lust an | |
| diesem Spiel verliert, fallen die Blätter tumb zu Boden und liegen dort | |
| dann unnütz rum. | |
| Riecht es nicht auch schon modrig da draußen? Es schmeckt doch bereits | |
| wieder nach der Kälte, dem grauen in Anoraks verpackten Leben. Es schmeckt | |
| nach Vergänglichkeit. Winter kommt. | |
| Da kann man sich jetzt an den Rechner setzen und schnell die Flucht buchen, | |
| Kanaren, Balearen, egal. Hauptsache Sonne. Flugscham ist auch nur ein Wort | |
| und Klimakrise was für die anderen. | |
| Oder man setzt sich an diesem Samstag trotz Nieselregen auf sein Fahrrad | |
| und fährt auf der Suche nach Italien durch die Berliner Nacht. Der ewige | |
| Sehnsuchtsort. Den der Geheimrat in seinem Gedicht „Mignon“ gar nicht erst | |
| zu nennen brauchte, weil eh alle wussten, dass mit den Zielmarken Zitronen | |
| und Orangen nur dieses Land gemeint sein konnte. Esakapismus in sieben | |
| Buchstaben: Italien. Das Versprechen von Sommer mit dem Meer drumherum, von | |
| dem ja auch in den Liedern gesungen wird und vom blauen Himmel und der | |
| Liebe, natürlich, das sind [1][die Verlockungen des Italo-Pops]. | |
| Deswegen hat man sich ja auch auf dem Weg gemacht, und im Schokoladen, | |
| [2][diesem fast letzten Widerspruch] zur ansonsten durchgentrifizierten | |
| Mitte, ist man dann auch nicht allein. Das Konzert ist ausverkauft, manche | |
| im Saal tragen, dem Anlass unbedingt angemessen, Glitzerbluse oder eine | |
| Hose im Leopardenlook. Auch sonst ist den Menschen anzusehen, dass sie an | |
| diesem Abend durchaus den einen Moment länger darüber nachgedacht haben, in | |
| welchem Casual Look es nun rausgehen soll zum Vergnügen. | |
| ## Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und Seriosität | |
| Auch bei den neun auf die kleine Bühne geklemmten Musiker*innen vom | |
| Adriano Celentano Gebäckorchester glitzert es hier und da, und überhaupt | |
| hat man dessen Ansatz – neben dem gleich Appetit machenden | |
| Kaffeekränzchen-Namen – bereits mit der Spanne beschrieben, die sich da im | |
| Schokoladen zwischen dem schwarzen Anzug samt Schlips (wenigsten am Anfang | |
| noch) des hübsch Italienisch parlierenden Sängers und dem trotzig-lässigen | |
| „Wipers“-Shirt über der Trainingshose des Gitarristen auftut. Eine Mischung | |
| aus Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und auch Seriosität, die es schon | |
| braucht, wenn man mit Sehnsuchtsdingen zu tun hat. | |
| Durch die Lieder werden die getriggert und mit Schmackes knallt einem das | |
| Gebäckorchester das alles vor den Latz, spielt olle italienische | |
| Beatklopper, Rock-’n’-Roll-Fetzer, Partystampfer und widmet sich in | |
| charmanter Hemdsärmligkeit diesen waidwunden Herzschmerzschlagern des | |
| Italo-Pops, die man einst gar nicht am Strand bei Rimini gehört haben | |
| musste, um sich nicht gleich in ihnen einfinden zu können. Und das Publikum | |
| macht da umstandfrei mit: Von der ersten Nummer weg wird getanzt, alle sind | |
| in steter Bewegung, wirklich niemand will da Spielverderber sein und so | |
| brüllt auch der ganze Saal mit dem Lied von Umberto Tozzi „Gloria“, | |
| Verzückung ist auf den Gesichtern zu lesen, und nochmal, lauter, „Gloria“, | |
| und immer wieder die Kennworte: cielo, Himmel, mare, Meer. Amore. „Viva la | |
| Felicità“ gibt das Gebäckorchester als Losung aus. Glück. In diesem Moment | |
| wohnt es im Schokoladen. | |
| Von Celentano, der wirklich eine Menge mehr gemacht hat als nur „Azzurro“, | |
| hat das Gebäckorchester gar nicht so viel im Programm und spielt dieses | |
| unvermeidliche Lied zum Schluss. Um Sommer geht es in dem Lied, natürlich. | |
| Dass es draußen schon wieder nieselt, kann einem da doch jetzt wirklich mal | |
| egal sein. | |
| 1 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Mauch | |
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