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# taz.de -- Macht der Hamas in Gaza: Bedingt entwaffnungsbereit
> Israels Armee hat die Hamas vielleicht demontiert, aber nicht besiegt.
> Die Miliz nutzt die Waffenruhe im Gazastreifen, um gegen Rivalen
> vorzugehen.
Bild: Hamas-Kämpfer am 13. Oktober 2025 in Deir el-Balah im Gazastreifen
Zwei Jahre lang herrschte Krieg im Gazastreifen, zwei Jahre lang
veröffentliche das israelische Militär immer wieder Meldungen über seine
Fortschritte. Im Frühling 2024 etwa, vor der Offensive auf die Stadt Rafah
im Süden des Küstenstreifens, als die Armee verkündete, 20 von 24
Hamas-Bataillonen „demontiert“ zu haben. Folglich wolle man sich den
verbleibenden 4 Bataillonen in der Grenzstadt zu Ägypten zuwenden. Im
August 2024 meldete die Armee dann: Auch in Rafah habe man die Hamas
besiegt.
Schon vor über einem Jahr hieß es dann, [1][es seien gar keine kampffähigen
Hamas-Einheiten mehr übrig]. Doch die Bilder, die nach dem Beginn der
Waffenruhe am 10. Oktober 2025 aus dem Gazastreifen kommen, sprechen eine
andere Sprache. Die Hamas ist weiterhin im Straßenbild zu sehen, schwer
bewaffnet, sie geht brutal gegen Dissidenten, Kriminelle und rivalisierende
Gruppen vor. Viele Bewohnerinnen und Bewohner Gazas fürchten sie noch
immer.
Man könnte fast meinen, dass in den beiden Jahren Krieg zwar die
Zivilbevölkerung enorm gelitten hat, die Hamas als Organisation aber
weniger. „Die Hamas verhält sich nicht wie eine besiegte Gruppe“
[2][titelte die] [3][Times of Israel] jüngst. Doch was beutetet das für die
Verhandlungen um eine zweite Phase der Waffenruhe? In dieser soll nämlich,
dem Friedensplan von US-Präsident Donald Trump zufolge, über eine
Entwaffnung der Hamas, die Ermächtigung alternativer Strukturen und ein
endgültiges Kriegsende verhandelt werden.
In den vom israelischen Militär verkündeten Erfolgen selbst ließ sich in
den vergangenen beiden Jahren schon erkennen, dass „demontiert“ nicht
„besiegt“ bedeutet. Das Militär erklärte zu fünf unterschiedlichen
Zeitpunkten, den Kommandeur des Hamas-Bataillons in Shujaya, getötet zu
haben, einem Viertel von Gaza-Stadt. Nach jeder der fünf Meldungen
formierte sich die Einheit wieder unter einem neuen Anführer.
## Taktische Fehler der israelischen Armee
Den ganzen Krieg hindurch erklärten Analysten in Israel wie im Ausland
immer wieder: Die Kriegstaktik des israelischen Militär funktioniere nicht.
Diese Taktik sieht vor, dass die Armee Gebiete, in denen sie die Hamas
besiegt hat, nicht hält, sondern sich wieder zurückzieht. Und damit der
Hamas erlaubt, sich wieder neu zu formieren – um dann am selben Ort erneut
gegen sie vorgehen zu können.
Einer der Analysten, die diese Taktik für falsch halten, ist Seth
Frantzman. Als Militärkorrespondent berichtet er unter anderem für die
rechtskonservative Jerusalem Post. Schon ein Jahr nach dem 7. Oktober
[4][sagte er der taz:] Israel habe seine Ziele in Gaza – die Befreiung der
Geiseln sowie die Hamas zu zerstören – nicht erreichen können. Stattdessen
erlaube die israelische Kriegsführung der Hamas, sich immer wieder zu
regruppieren. Die Hamas habe sich so im Schatten der Zivilbevölkerung im
Kriegsverlauf quer durch den Gazastreifen bewegen können. Dass die Hamas
Zivilisten bewusst als eine Art Schutzschild nutzt, war indes bereits vor
dem 7. Oktober bekannt, als mit dem Hamas-Überfall auf Südisrael der Krieg
in Gaza begann.
Das ist wohl der zweite taktische Fehler der israelischen Armee: dass sie
nie versuchte, die Zivilbevölkerung von den Milizionären zu trennen. Nie
eine Frontlinie schuf, hinter die sich Zivilisten hätten zurückziehen
können, im besten Fall in von internationalen Organisationen betreute
Geflüchtetencamps.
Und das Ergebnis? Ein fast völlig zerstörter Gazastreifen, fast 70.000 tote
Palästinenser, fast die Hälfte von ihnen Frauen und Kinder. Zwei vom
Internationalen Strafgerichtshof ausgestellte Strafbefehle gegen
israelische Spitzenpolitiker wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen. Eine wachsende Isolierung Israels auf der diplomatischen
Bühne. Und nicht zuletzt: ein von renommierten Völkerrechtlern und
zahlreichen Nichtregierungsorganisationen wie auch den Vereinten Nationen
vorgebrachter [5][Vorwurf des Genozids].
## Die Hamas betreibt das Gegenteil ihrer Entmachtung
Auf der Haben-Seite der israelischen Führung stehen acht lebende Geiseln,
die die Armee aus Gaza retten konnte: 8 von insgesamt 251. Und eine ganze
Reihe getöteter Hamas-Anführer, unter anderem Jahia Sinwar, der wohl als
Drahtzieher des Überfalls am 7. Oktober fungiert hatte.
In dieser Situation lässt sich natürlich argumentieren, dass der Druck des
israelischen Militärs die Hamas erst dazu bewog, sich im Oktober 2025 auf
den von Trump vermittelten Friedensdeal einzulassen. Denn sollte der Plan
bis zum Ende durchexerziert werden, würde das letztlich eine völlige
Entmachtung der Hamas bedeuten.
Doch dem saudi-arabischen Analysten Aimen Dean zufolge war dabei nicht der
Krieg im Gazastreifen das Zünglein an der Waage. Sondern die Annexionspläne
Israels im Westjordanland, die im Schatten des Krieges weit vorangetrieben
wurden. Am Mittwoch votierte die Knesset in erster Lesung für ein Gesetz
zur Annexion. Die Sorge davor, als Ermöglicherin der Annexion zu gelten,
habe Dean zufolge dazu beigetragen, die Hamas einlenken zu lassen.
Bei den Verhandlungen in Ägypten zeigte sich die Hamas relativ willig. In
Gaza selbst aber betreibt sie aber das Gegenteil ihrer Entmachtung: Sie
geht gegen innere Rivalen vor und stärkt so ihre Position.
## Es gibt sechs größere Rivalen der Hamas
Dabei hilft der Hamas auch die Waffenruhe. Schon einige Tage bevor diese
begann, gingen Kräfte der Hamas gegen Mitglieder der Familie Majaydah vor
und töteten mindestens zwei von ihnen. Die Majaydahs gelten als der Fatah
verbunden, der größten Rivalin der Hamas und dominierenden Fraktion
innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde. Das israelische Militär
nutzte den Moment und tötete bei einem Luftangriff sechzehn Hamas-Kämpfer
und zwei Mitglieder des Clans.
Die Familie Majaydah hat mittlerweile ihre Unterstützung der Hamas bekannt
gegeben. Darüber wie freiwillig das erfolgte, kann spekuliert werden.
Außer den Majaydahs gibt es heute mindestens fünf organisierte
Anti-Hamas-Fraktionen im Gazastreifen. Die größte von ihnen sind die
sogenannten Popular Forces, angeführt von Yasser Abu Shabab, einem
Beduinen, den die Hamas lange gefangen hielt. Seine Miliz soll massiv am
Diebstahl von Hilfsgütern beteiligt sein. Die Popular Forces sitzen in
Ost-Rafah – nahe dem Grenzübergang Kerem Schalom, über den die
Hilfstransporte kommen. Die Miliz soll etwa 500 bis 700 Kämpfer umfassen,
sie gilt als von Israel unterstützt und aufgerüstet. Eine
Investigativrecherche von Sky News legte sogar eine mögliche Verbindung zu
den Vereinigten Arabischen Emiraten nahe.
Dass seit Beginn der Waffenruhe keine massiven Zusammenstöße zwischen ihr
und der Hamas gemeldet wurden, liegt wohl auch daran, dass die Popular
Forces sich derzeit hinter der Rückzugslinie des israelischen Militärs
befinden soll. Noch 53 Prozent des Gazastreifen hält Israels Militär
derzeit noch besetzt – im Einklang mit dem Waffenruheabkommen.
## Mutmaßliche Verbindungen zur Autonomiebehörde
Eine weitere Anti-Hamas-Miliz im Gazastreifen nennt sich „Counterterrorism
Strike Force“. Sie hat etwa 40 Mitglieder, die meisten davon sollen aus der
Familie al-Astal stammen, so wie auch ihr Anführer, Husam al-Astal.
Medienberichten zufolge hat er ebenfalls Verbindungen zur Palästinensischen
Autonomiebehörde. Mit der Hamas steht er schon länger auf Kriegsfuß, so
warf sie ihm 2018 vor, einen ihrer Ingenieure getötet zu haben.
In Gaza-Stadt gibt es den Dogmoush-Clan. Lokale Stimmen berichten auch bei
ihm von Kriminalität: So hätten sich Mitglieder der Familie während des
Krieges verlassene Häuser unter den Nagel gerissen. Kämpfe zwischen den
Dogmoushs und der Hamas direkt nach Beginn der Waffenruhe führten zu
Dutzenden Toten, darunter mindestens eine Frau und ein Kind.
Zudem bewegen sich in Teilen Gaza-Stadts die „Shujaya Popular Defense
Forces“ unter dem Kommando von Rami Hilles. Auch er soll Fatah-nah sein,
unabhängig bestätigt ist das aber nicht. Ganz im Norden des
Küstenstreifens, ebenfalls hinter der israelischen Rückzugslinie, gibt es
schließlich noch die sogenannten Popular-Army Northern Forces unter dem
Kommando von Ashraf al-Mansi.
Bei allen diesen Gruppen wird zumindest spekuliert, dass sie von Israel
unterstützt werden. Premier Benjamin Netanjahu hatte im Frühsommer
zugegeben, das man Anti-Hamas-Kräfte in Gaza „aktiviert“ habe. Manche
Analysten sehen die Gefahr, dass zwischen den Milizen und der Hamas ein
handfester Bürgerkrieg entbrennen könnte. Dagegen spricht jedoch, dass die
Hamas seit Beginn der Waffenruhe mit ihrem harten Vorgehen die Oberhand
behalten konnte.
Nach Wunsch europäischer Staaten und wie auch im Trump-Plan vorgesehen,
soll die Palästinensische Autonomiebehörde einmal die Kontrolle über Gaza
übernehmen. Derzeit gelänge das nicht wirklich. Bevor es also irgendeine
Bewegung in Richtung dauerhaften Friedens im Gazastreifen geben kann,
müssen die Verhandlungen in Phase zwei eine tatsächliche Entmachtung der
Hamas ergeben.
Doch die Hamas distanzierte sich jüngst mehrmals öffentlich von diesem
Schritt. Und auch den Vermittlern scheint bewusst zu sein, dass es nicht
gelingen wird, der Hamas jede einzelne Handfeuerwaffe abzunehmen.
Stattdessen wolle man sich auf die Tunnel konzentrieren.
Mitarbeit: Hisham Al-Masri
24 Oct 2025
## LINKS
[1] https://orf.at/stories/3369124/
[2] https://www.timesofisrael.com/hamas-isnt-acting-like-a-defeated-force-which…
[3] https://www.timesofisrael.com/hamas-isnt-acting-like-a-defeated-force-which…
[4] /7-Oktober---ein-Jahr-danach/!6034875
[5] /Krieg-im-Gazastreifen/!6101568
## AUTOREN
Lisa Schneider
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