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# taz.de -- Zoff um Haltung zum Gaza-Krieg: Stressreaktion im Fußballparadies
> Jackson Irvine ist Profi bei St. Pauli und Fanliebling. Nun wurde er
> wegen seiner Haltung zu Palästina von einem Funktionär zum Abschuss
> freigegeben.
Bild: Außen vor: Jackson Irvine sorgt derzeit abseits des Platzes für Aufsehen
Hamburg taz | Bei der 0:1-Niederlage in Bremen musste der FC St. Pauli
einmal mehr ohne seinen Kapitän auskommen. Jackson Irvine, gerade erst von
einer OP nach Stressreaktion im Mittelfuß genesen, hatte zuletzt einen
Rückschlag erlitten und stand daher nicht im Kader. Dennoch dreht sich auf
St. Pauli derzeit alles um Irvine. Um dessen politisches Engagement für
die Palästinenser ist eine Schlammschlacht entbrannt.
Schon im Mai hatte Irvine Teile der Fanszene irritiert: Seine Ehefrau
Jemilla Pir hatte auf Instagram Fotos veröffentlicht, die ihn mit einem
pinken T-Shirt der [1][Modemarke „FC Palestina“] zeigen. Darauf ist
stilisiert die Nummer 11 zu sehen – zusammengesetzt aus den Umrissen des
früheren britischen Mandatsgebiets Palästina, einschließlich des heutigen
Israel.
Das Symbol wird weithin als Absage an das Existenzrecht Israels und mithin
als antisemitisch interpretiert. Irvine sagte dazu, er habe mit dem T-Shirt
auf die Not der Bevölkerung von Gaza aufmerksam machen wollen. Kritik an
seiner Aktion nannte er „sehr verletzend“. Zum Existenzrecht Israels
bekannte Irvine sich damals nicht.
Bei St. Pauli ist das Thema, wie in der Linken insgesamt, umstritten. Nach
dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatten Club und Fanszene
sich solidarisch mit den Opfern gezeigt. Aber in den vergangenen Wochen und
Monaten ist im Stadion [2][vermehrt Kritik an Israels Kriegsführung] gegen
die Zivilbevölkerung laut geworden.
## Haltungsstreit auf Social Media
Vor zwei Wochen nun positionierte sich Irvine erneut, indem er auf
Instagram ein Video einer Hamburger Demonstration unter dem Titel „SOS
Gaza“ postete. Obwohl sein Arbeitgeber im Vorfeld der Demo kritisiert
hatte, dass Fans im Stadion dafür geworben hatten, weil dazu neben linken
auch rechts-offene Gruppierungen aufgerufen hatten.
Der Konter kam von einem Aufsichtsratsmitglied des Vereins: René Born hat
in beispielloser Weise auf Instagram gegen den Kapitän seines Clubs
geschossen – über Bande. Unter einem Posting von Irvines Ehefrau Jemilla
Pir hatte er geschrieben: „Niemand ist größer als der Club!“ Zwei Tage
später legte Born noch mal nach: „Das ist unser Club, nicht deiner. Du
wirst in wenigen Monaten weg sein und für einen Euro mehr woanders spielen.
Wir werden immer hier sein, während du nicht mehr als eine Fußnote bist.“
Die Britin [3][antwortete auf das Foul mit einem Video]: „Online-Mobber
müssen zur Rede gestellt werden“, sagt sie darin. „Insbesondere solche wie
René Born, die in einer Machtposition sind und glauben, dass sie dich
öffentlich einschüchtern können und dir das Gefühl geben, dass sie dich aus
deinem Zuhause vertreiben können.“
Das war durchaus wörtlich gemeint: Irvine spielt nicht nur auf St. Pauli,
sondern lebt auch dort. Erst vor ein paar Wochen hatte er in einem
Interview für die Fußballer-Gewerkschaft Fifpro davon geschwärmt, wie schön
es sei, nach einem Bundesligaspiel vier Minuten zu Fuß nach Hause zu gehen.
Er habe sich bewusst dafür entschieden, weil der Stadtteil zu seinem
Lebensstil passe, als „Angelpunkt von Diversität, Kunst und Kultur – alles,
was ich am Leben interessant finde“.
## Kiezkicker aus dem Bilderbuch
Der Australier mit schottischen Wurzeln ist ein Profi [4][wie gemalt für
St. Pauli]. Offensiv wie kein anderer Spieler identifiziert er sich mit der
linken Haltung und den sozialen Werten des Clubs. Mit seinen blondierten
langen Haaren, Schnurrbart und gelegentlichem Nagellack ist er
anschlussfähig für die junge, eher genderfluide Generation der Fans. Er
spielt Gitarre und ist in der britischen Popszene gut vernetzt, wirbt für
das Reeperbahn-Festival ebenso wie für das soziale Unternehmen Charitea.
Fast zu schön, um wahr zu sein.
Während seiner langen Verletzungspause ist viel Werbung in eigener Sache
hinzugekommen. Das Ehepaar Irvine/Pir inszeniert sich als popkulturelles
Powercouple. Vor allem zum Wohle von Pirs noch ziemlich jungem Modelabel.
Immer wieder sind die beiden an emblematischen Orten im Stadtteil zu sehen
– in T-Shirts, die dem Merchandising des FC St. Pauli manchmal zum
Verwechseln ähnlich sehen. Darüber sind im Stadtteil nicht alle froh. Der
Verein muss das hinnehmen, da er sich den Namen des Stadtteils nicht
markenrechtlich schützen lassen kann.
Vordergründig hätte man Borns Ausfälligkeiten auch darauf beziehen können.
Doch Born gehört zum proisraelischen Flügel unter den St.-Pauli-Fans, sein
Profil zieren gelbe Schleifen, als Zeichen der Solidarität mit den Geiseln
in der Gewalt der Hamas.
Born hat seine Posts nach Gesprächen mit der Clubführung gelöscht, die sich
auch in einem Brief an Irvine und Pir für dessen Pöbeleien entschuldigt
hat. Von Born dagegen, ließ Pir am Freitag wissen, „haben wir nichts
gehört“.
Gut möglich, dass der am Ende teilweise recht behält: Irvine möchte im
kommenden Jahr mit Australien zur WM fahren und braucht dafür dringend
Spielpraxis. Die ist dem Kapitän bei St. Pauli derzeit, auch wenn er fit
ist, nicht sicher. Dazu spielen im defensiven Mittelfeld Neuzugang Joel
Fujita und der von einer Schulterverletzung genesene James Sands zu stark.
Die Versuchung könnte groß werden, im Winter noch einmal zu wechseln.
Vielleicht hat Born sie noch ein bisschen größer gemacht – und hätte damit
das getan, was er Irvine vorwirft: sich und seine politische Haltung über
den Verein gestellt.
5 Oct 2025
## LINKS
[1] https://millernton.de/2025/07/20/das-thema-bleibt/
[2] /Einst-Israel-solidarische-St-Pauli-Fans/!6113736
[3] https://www.instagram.com/reel/DPOpZZziJOJ/?hl=en
[4] /FC-St-Pauli/!6081924
## AUTOREN
Jan Kahlcke
## TAGS
Fußball
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