Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reality-Show „Werwölfe“: Die ARD kann Trash
> Wer schweigt, wer lügt, wer fliegt? Das Reality-Format „Werwölfe“ zeigt,
> dass öffentlich-rechtliche Unterhaltung mehr kann als „Tatort“ und
> Talkrunde.
Bild: Teilnehmer*innen der Reality-Show „Werwölfe“: u. a. eine Schachgro…
Anschuldigungen fliegen wie Funken durch die Luft. Wer hat auffällig viel
geredet, wer zu viel geschwiegen? War da nicht ein Widerspruch? Gleich
deuten sie mit den Fingern quer übers Lagerfeuer auf die Person, die sie
für einen mörderischen Werwolf halten, die rausfliegen muss, damit die
anderen sich zumindest für einen kurzen Moment etwas sicherer fühlen
können.
So funktioniert das [1][Gesellschaftsspiel] „Werwölfe“. So funktioniert
auch die öffentlich-rechtliche Übersetzung. In der Game-Show „Werwölfe –
Das Spiel von List und Täuschung“ hocken 13 Spieler*innen mehrere Tage
aufeinander, klügeln drei von ihnen nachts in der Rolle von Werwölfen aus,
wen sie „umbringen“, und versuchen dann tagsüber, möglichst unauffällig
„Dorfbewohner*innen“ hinters Licht zu führen, damit sie sich gegenseitig
verdächtigen und hinrichten.
„Kann die ARD Trash?“, fragen manche Podcasts und Social-Media-Accounts
anlässlich der [2][Game-Show]. Die Frage sollte aber heißen: „Ist das
Trash?“ Nein, es ist einfach nur Unterhaltung, und zwar verdammt gute.
Eingekauft wurde „Werwölfe“ vom BR bei der Produktionsfirma ITV Studios
Germany. Die macht sonst etwa „The Voice“ und „Love Island“, aber auch
„Gefragt Gejagt“. Sie kennt sich also aus mit Trash und einem Mindestmaß an
Anspruch, mit privater wie öffentlich-rechtlicher Langeweile.
Bei „Werwölfe“ haben sie auf die verzichtet. Das liegt nicht nur an der
geschickten Inszenierung, auch am Spieleklassiker selbst, den wohl alle
Menschen kennen, die in den letzten 20 Jahren auf eine Jugendfreizeit
gefahren sind oder im Freundeskreis gerne mal Gesellschaftsspiele spielen,
deren Komplexität über „Mensch, ärger dich nicht“ hinausgeht.
Das sind schon mal einige. „Werwölfe“ ist 2001 in Frankreich erschienen,
hat diverse Auszeichnungen erhalten und ist eines der wohl bekanntesten
asymmetrischen Informationsspiele. Asymmetrisch, weil ein paar wenige
Spieler*innen mehr Informationen haben als alle anderen. Gewinnt die
wissende Minderheit?
Oder die unwissende Mehrheit? Das hängt immer auch davon ab, wer da
eigentlich so spielt.
Bei der Game-Show hat man sich gezielt gegen (angebliche) Prominente
entschieden, die sonst das [3][Reality-Fernsehen] dominieren. Statt
ehemaligen Teilnehmer*innen von „Prince Charming“ oder Partner*innen
von D-Promis spielen etwa eine Schachgroßmeisterin, ein
Cyber-Security-Experte, ein Rapper, ein Psychologe, eine Streamerin und ein
Mentalist. Menschen, deren Jobs darin bestehen, anderen etwas vorzuspielen,
sich zu verteidigen oder die Bedürfnisse anderer Menschen zu lesen.
Sie verheddern sich manchmal in Intellektualitäten, sie befragen die
Mitspieler*innen, hinterfragen sich selbst, belauern und manipulieren auf
hohem Niveau. Sie zerstören den Trash.
Das Spielkonzept ist dem Fernsehen nicht komplett neu. Seit Ende der 1990er
Jahre läuft in vielen Ländern eine jeweilige Version von der Sabotage-Show
„Der Maulwurf“. In Deutschland gab es nur eine Staffel, dafür zeigt RTL+
seit 2023 „Die Verräter“. Das ist im Grunde „Werwolf“, nur langweilige…
Das liegt an besagtem Niveau und daran, dass „Die Verräter“ dem Publikum
sofort offenbart, wer auf welcher Seite steht. „Werwolf“ aber verheimlicht
das eine ganze Weile. Stattdessen kann man zu Hause selbst mitraten.
Offenbarungen liefert die Serie erst im weiteren Verlauf. Sie fordert
heraus, lässt Ungewissheiten stehen, zwingt die eigene Meinung zu
revidieren. Sicherheiten schwanken.
„Werwölfe“ steht konträr zum aktuellen Verlangen nach und dem Angebot von
populistisch einfachen Wahrheiten. Nutzt aber den Wunsch, mitzuraten, der
sich auch im „Whodunnit“-Trend auf dem Serienmarkt (etwa „Only Murder in
this Building“) zeigt.
Vielleicht kann die ARD mit dieser Umgestaltung von Reality-TV endlich auch
Menschen erreichen, die kein Interesse an der „Sportschau“ haben, keinen
Bock auf den „Tatort“ und gelangweilt sind von Talksendungen, in denen sich
eh nur die immer gleichen Personen über die immer gleichen Themen anöden –
denen aber gleichzeitig Privatfernsehen ein bisschen zu dull ist. Der
Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen beinhaltet auch Unterhaltung. Die
liefert „Werwölfe“.
9 Oct 2025
## LINKS
[1] /Menschen-und-ihre-Gesellschaftsspiele/!5824176
[2] /Quizshow-University-Challenge/!6100448
[3] /Reality-Show/!t5017307
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
## TAGS
Reality-Show
ARD
Gesellschaftsspiel
Paramount+
NDR
Reality-Show
## ARTIKEL ZUM THEMA
„The Rehearsal“ mit Nathan Fielder: Reality Rollenspiele
In „The Rehearsal“ proben Teilnehmer schwierige Situationen im Vorhinein.
Fielder selbst macht auch mit – und nimmt dabei Deutschland ins Visier.
Neuer NDR-Talk „Bürgerparlament“: Gutes Reality-TV
Bei der NDR-Talkshow „Bürgerparlament“ diskutieren normale Bürger*innen.
Das bringt zwar wenig neue Inhalte, aber dafür wichtige Sichtbarkeit.
Teilnehmerin über lesbische Datingshow: „Wir haben Reality-TV revolutioniert…
Wiki war einer der 20 Teilnehmer:innen bei der lesbischen Dating-Show
„Princess Charming“. Hier erzählt sie, wieso sie auch einen feministischen
Bildungsauftrag erfüllte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.