# taz.de -- Mit dem Hausboot durch Frankreich: Gassi gehen mit dem Boot | |
> Bootsführerschein? Braucht man nicht, um mit dem Hausboot auf dem Canal | |
> du Midi zu fahren, der Toulouse mit dem Mittelmeer verbindet. | |
Bild: Immer wieder überspannen Platanen den Kanal wie ein grünes Dach: Der Ca… | |
Canal du Midi taz | Gleich knallt’s! Im spitzen Winkel bewegt sich unser | |
Hausboot auf das Kanalufer zu. Dabei hieß es doch, dass es ganz einfach | |
sei, eines zu fahren, selbst für komplette Anfänger. Weswegen in Frankreich | |
das Steuern von Hausbooten auch ohne Führerschein erlaubt ist. | |
Voraussetzung: ein gedrosselter Motor, eine Mindestbesatzung von zwei | |
Personen und eine fachkundige Einweisung. Bei der erfahren wir, dass viele | |
der Brücken auf unserer Route so schmal sind, dass links und rechts des | |
Bootes kaum 20 Zentimeter Platz bleiben. Bekommen aber auch gesagt: „Nach | |
Kurzem habt ihr’s raus!“ | |
Nun – dem beherzten Eingreifen der Mitfahrerin (Rückwärtsgang rein) ist es | |
zu verdanken, dass die Kollision mit dem Ufer abgewendet werden kann. Als | |
dann die erste Brücke kommt, steuern wir unser Boot schon ziemlich | |
geschmeidig durchs Wasser. Und abgesehen von einem Zusammenstoß mit „James | |
Bond“, der uns beim Ablegen rammt, gibt es keinerlei Zwischenfälle auf | |
unserer mehrtägigen Tour auf dem Canal du Midi durch Frankreichs Süden. | |
Dabei hilft, dass auf dem Kanal ein Tempolimit von 8 km/h herrscht. Meist | |
aber sind wir so gemächlich unterwegs, dass selbst die Wanderer am Ufer an | |
uns vorbeiziehen. Früher stapften dort die Zugpferde entlang. Denn | |
motorisierte Boote gab es nicht, als der Canal du Midi im 17. Jahrhundert | |
erbaut wurde. Auf rund 240 Kilometern zwischen Toulouse und dem Mittelmeer | |
durchquert er das südfranzösische „Midi“; so genannt, weil es dort fast | |
immer sonnig ist, und die Sonne mittags (midi) im Süden steht. | |
Auch wenn die Hausboottouren meist in kleineren Orten an der Strecke | |
beginnen – in unserem Fall in Argens-Minervois – ist der TGV-Halt Toulouse | |
für Reisende ohne Auto der logische Einstieg in den Kanalurlaub. Vom | |
Bahnhof ist es nur ein kleiner Spaziergang bis zur „Quelle“: einem großen | |
Becken, in dem der Canal du Midi auf seinen westlichen Nachbarn trifft, der | |
weiter bis zum Atlantik führt. | |
Ein Marmorbild am Ufer feiert die Vereinigung der beiden Meere, die den | |
angrenzenden Regionen viel Wohlstand brachte und den Schiffen einen | |
Riesenumweg um die komplette iberische Halbinsel ersparte. Erst mit dem | |
Siegeszug der Eisenbahn verloren die Wasserstraßen ihre Bedeutung. | |
In den 1960er Jahren entdeckten sie dann erste Reisende für sich. Die | |
frühen Freizeitskipper waren in der Regel Freigeister, ihre Boote oft | |
selbst umgebaut und von bescheidenem Komfort. Mittlerweile ist daraus ein | |
Geschäftsmodell geworden, zahlreiche Anbieter vermieten Boote. Es ist wohl | |
der Wunsch nach Erholung abseits der Massen, nach Ruhe und Langsamkeit, der | |
den Hausboottourismus wachsen lässt. | |
## Die meiste Zeit verbringt man ohnehin an Deck | |
Mit dem Bastlertum der Anfangsjahre hat er indes wenig gemein. Die | |
Innenausstattung unseres Bootes ähnelt einem luxuriösen Wohnmobil: Heizung, | |
Klimaanlage und 220-Volt-Steckdosen; eine Küche mit Backofen und geräumigem | |
Kühlschrank; das Bad größer als in manch einem Stadtappartement. Die meiste | |
Zeit aber verbringt man ohnehin an Deck, entweder hinter dem Steuerrad oder | |
auf den Sonnenliegen im vorderen Teil des Schiffes. | |
Auch die kleinen Dörfer entlang des Kanals haben sich auf die Reisenden | |
eingestellt. An den Marinas kann man, analog zum Campingplatz, seine | |
Batterien aufladen, Wasser nachfüllen und, seit Kurzem, sein Schmutzwasser | |
abpumpen. Früher lief das meist ungefiltert in den Kanal (mancherorts noch | |
immer, weshalb der Bikini ungenutzt im Koffer bleibt). | |
Anders als beim Campen ist „wild ankern“ mit dem Hausboot kein Problem. | |
Kurven und Schleusenbereiche ausgenommen, [1][darf man sein schwimmendes | |
Zuhause überall festmachen.] Da sitzt man dann abends mit Gegrilltem und | |
Wein an Deck, schläft ein mit dem Plätschern des Wassers und wacht | |
frühmorgens mit Blick über den Kanal oder das grüne Ufer auf. | |
Jetzt im späten Frühling ist noch wenig los auf dem Kanal. Gut für uns, | |
denn bei Gegenverkehr kommt das Ufer auf dem nur rund 20 Meter breiten | |
Kanal ziemlich nahe und auch an den Schleusen kann es sonst zu längeren | |
Wartezeiten kommen. | |
Immer wieder überspannen Platanen den Kanal wie ein grünes Dach. Früher | |
waren es noch deutlich mehr, doch vor 20 Jahren begann sich der | |
Platanenkrebs durch die jahrhundertealten Bäume zu fressen, woraufhin mehr | |
als die Hälfte gefällt werden musste. Vielerorts wurden bereits neue | |
gepflanzt – dass sie noch nicht groß genug sind, um Schatten zu spenden, | |
ist uns im Frühjahr durchaus willkommen. | |
Hinter der nächsten Kurve ist die Landschaft dann plötzlich buschig wie ein | |
verwilderter Garten. Feigenbäume recken ihre ausladenden Äste über das | |
Wasser. Wären die Früchte reif, man könnte sie direkt vom Boot aus | |
pflücken. Zum Staunen bringen uns auch die kunstvoll bemalten und kreativ | |
ausgestatteten Boote, die mancherorts – [2][als schwimmendes Zuhause] – am | |
Ufer liegen. | |
Hin und wieder laden Schautafeln am Ufer zur dégustation, zum Verkosten | |
lokaler Produkte ein. Mal versprechen sie Olivenöl und Trüffel, mal Honig | |
von sonnenverwöhnten Bienen, und immer wieder tiefroten Wein, wie auch im | |
Château de Paraza. Hier machen wir Halt, das Einparken ist dank eines | |
seitlichen Antriebs auch an der gut besuchten Anlegestelle kein Problem, | |
und auch das Festmachen mit den Bootsleinen klappt mittlerweile | |
reibungslos. | |
## Vollmundige Weine mit geringer Säure | |
Das Weingut thront oberhalb des Ortes Paraza. Ein Pariser Paar, das von | |
Sonne und südlicher Leichtigkeit träumte, hat es vor knapp 20 Jahren | |
gekauft. Heute wird es von dessen Kindern geführt. Die Trockenheit und der | |
Wind des Midi sorgen für vollmundige Weine mit geringer Säure, erklärt | |
Lucile Danglas. Die allerdings sollte man wirklich nur kosten, denn Alkohol | |
und enge Kanalbrücken vertragen sich nicht allzu gut. | |
Das prächtig dekorierte Anwesen wurde Anfang des 17. Jahrhunderts erbaut. | |
„Pierre-Paul Riquet hat hier während der Kanalbauarbeiten gewohnt“, erzäh… | |
die junge Gastgeberin stolz. Riquet ist der Schöpfer des Canal du Midi. „Er | |
wird bei uns in der Region gefeiert wie ein Star.“ | |
Pierre-Paul Riquet verdiente sein Geld mit dem Eintreiben der Salzsteuer. | |
Er kam viel rum in der Gegend, kannte ihre Hügel und Flussläufe und konnte | |
so eine Antwort auf die entscheidende Frage beim Kanalbau finden: Wie lässt | |
sich die konstante Wasserzufuhr garantieren, wenn der Kanal an seinem | |
höchsten Punkt einen „Gipfel“ von rund 190 Metern überwinden muss? Riquet | |
schuf ein System, um mit dem Wasser aus den naheliegenden Bergen einen | |
künstlichen Stausee zu speisen, der damals der größte Europas war. Vom | |
Bassin de Saint-Ferréol aus fließt das Wasser ohne Pumpen, nur durch | |
Schwerkraft und durch Schleusen unterteilt, westwärts Richtung Toulouse und | |
ostwärts zum Mittelmeer. 15 Jahre dauerte der Bau dieses technischen | |
Meisterwerks. | |
Dazu gehören neben Brücken auch Tunnel. Nahe dem Dorf Colombiers | |
verschwindet unser Boot für 165 Meter in einem Hügel. Ebenfalls ein | |
Erlebnis ist die Schleusentreppe, die kurz vor Riquets Geburtsstadt Béziers | |
errichtet wurde, nahe der Stelle, an der der Kanal [3][die Mittelmeerküste | |
erreicht]. Über sieben hintereinander liegende Kammern geht es knapp 14 | |
Meter nach unten. Wenn das Wasser abgelassen ist, öffnen sich die schweren | |
Eisentore und das Boot wird, die Leine in der Hand, in die nächste Kammer | |
geführt. Als würde man, so die Mitfahrerin, mit seinem Boot Gassi gehen. | |
Eine knappe Dreiviertelstunde dauert das Spektakel. Für 300 Meter. Slow | |
travel par excellence. | |
Riquet selbst erlebte die Fertigstellung seines Meisterwerks nicht mehr. Er | |
starb 1680, ein Jahr vor Eröffnung, in Toulouse. Dort geht es für uns vor | |
der Abreise noch einmal in einem Ausflugsschiff auf den Kanal. Langsam | |
zieht es an der Stadt vorbei. Am Ufer liegen Restaurant- und Hausboote. „Zu | |
verkaufen“ steht auf einem. Wäre das was? Vielleicht, irgendwann mal. Die | |
vergangenen Tage jedenfalls machen Lust auf mehr. | |
Transparenzhinweis: Die Reise wurde von Locaboat unterstützt, neben Le Boat | |
einer der beiden großen Anbieter für Fahrten über den Canal du Midi. Dazu | |
kommen kleinere Vermietungen und Plattformen wie Samboat oder Nautal, wo | |
Boote verschiedener Anbieter, teils von Privatpersonen, zur Miete angeboten | |
werden. | |
28 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Verena C. Mayer | |
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wochentaz | |
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