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# taz.de -- Sterbehilfe in Frankreich: Eine Frage der Wortwahl
> Die französische Nationalversammlung hat einer Gesetzesvorlage
> zugestimmt, die Sterbehilfe legalisiert. Für das Recht auf Sterben gelten
> strenge Bedingungen.
Bild: Wer sterben möchte, kann dies laut der Gesetzesvorlage tun, wenn das Lei…
Paris taz | Nach einer zweiwöchigen Debatte haben die Abgeordneten der
französischen Nationalversammlung in erster Lesung einer Gesetzesvorlage
zugestimmt, die ähnlich wie in Nachbarländern eine Form der Sterbehilfe
legalisiert. Bald schon sollen also schwerkranke Menschen in Frankreich,
die ihrem Leiden ein Ende setzen wollen, nicht mehr gezwungen sein, nach
Belgien oder in die Schweiz zu reisen. Und französische Ärzte und
Ärztinnen, die bereit waren, aus Menschlichkeit Hand zur [1][Sterbehilfe]
zu bieten, sollen nicht mehr einen Prozess riskieren.
[2][Um eine Hilfe zum Sterben zu erhalten], muss laut der verabschiedeten
Vorlage ein Patient seinen festen Wohnsitz in Frankreich haben, volljährig
und zurechnungsfähig sein. Um bei einem medizinischen Kollegium sein Recht,
zu sterben, geltend zu machen, muss er in sich in einer fortgeschrittenen
Phase oder in der Endphase einer unheilbaren Krankheit mit physisch oder
psychisch unerträglichen Leiden befinden. Das sind relativ strikte
Konditionen.
Außer in seltenen Fällen (beispielsweise einer körperlichen Behinderung)
ist es der sterbewillige Patient – und nicht eine Drittperson –, der sich
selbst das ärztlich verschriebene tödliche Mittel verabreicht. Mitglieder
des Pflegepersonals haben, gestützt auf eine „Gewissensklausel“, das Recht,
sich nicht an dieser Prozedur zu beteiligen.
Vor allem in religiösen Kreisen stößt das Prinzip einer Sterbehilfe auf
Ablehnung. Und vor allem auch die Kriterien und Bedingungen, unter denen es
lebensmüden Patienten gegebenenfalls ermöglicht werden kann, sich selbst in
einem strikt medizinisch kontrollierten Rahmen ein letales Mittel zu
verabreichen. Bezeichnenderweise ist im Gesetzestext nicht explizit von
einer Hilfe zum Suizid die Rede.
Offenbar wurde allein schon dieses Wort als politisch kontraproduktiv
eingeschätzt und darum vermieden. Andere Wörter im Kontext sind erst recht
tabu: vor allem die durch die abscheulichen Naziverbrechen gebrandmarkte
Euthanasie. Im Titel der Gesetzesvorlage steht vage „Lebensende“, nicht
explizit die „aktive Sterbehilfe“.
## Zum ersten Mal ein Recht auf Sterbehilfe
Aus solchen Rücksichten mussten die Formulierungen mit größter Vorsicht
gewählt werden. Nun sollen in Frankreich Schwerstkranke, die nach
ärztlicher Ansicht keinerlei Aussicht auf Heilung haben und auch keine
Linderung ihrer Schmerzen erhoffen können, auf legale Weise und mit
Unterstützung des Pflegepersonals die von ihnen ausdrücklich gewünschte
Hilfe zum Sterben erhalten.
Bemerkenswert ist an der Vorlage, dass hier im Gesetz ein Recht auf
Sterbehilfe verankert wird. Eine vorsätzliche Behinderung an der Ausübung
dieses Rechts wird zu einem strafbaren Delikt erklärt. Das war übrigens
einer der von den Gegnern und Gegnerinnen am meisten bekämpften Punkte der
Vorlage, die schließlich am Dienstagabend mit einer sehr deutlichen
Mehrheit von 305 gegen 199 Stimmen angenommen wurde. Außergewöhnlich ist
auch, dass die Meinungsdifferenzen in (fast) allen Fraktionen existierten.
Ein parallel diskutiertes Gesetz, das den Zugang zur Palliativmedizin
verbessert, aber nicht als Alternative zur Sterbehilfe präsentiert wurde,
ist am selben Abend einstimmig angenommen worden.
Weiterhin unklar ist es, ob auch der Senat diesem Gesetzestext zur
Legalisierung der Sterbehilfe zustimmen wird. Dies geschieht
voraussichtlich erst im Herbst. Wichtige Abänderungen durch das weit
konservativere „Oberhaus“ des Parlaments hätten zur Folge, dass eine zweite
Lesung erforderlich würde und dass womöglich dieses Thema erneut verschoben
würde.
[3][Schon einmal lag ein Sterbehilfegesetz in der Nationalversammlung zur
Verabschiedung vor], doch dann löste Präsident Emmanuel Macron die
Nationalversammlung auf, und wegen der Neuwahlen wurde alles auf die lange
Bank geschoben. Dieses Mal hat derselbe Macron versprochen, dass er eine
Volksabstimmung organisieren wolle, falls die Sterbehilfe im Parlament
nicht durchkommt. Der positive Ausgang der Befragung wäre sicher: Rund 9
von 10 französischen Bürger*innen sind laut einer IFOP-Umfrage für die
Legalisierung der Sterbehilfe.
28 May 2025
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Sterbehilfe
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Paragraf 218
Sterbehilfe
Ethikrat
Großbritannien
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