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# taz.de -- Fall Mohamed E.: Ein weiterer Tod in Polizeigewahrsam
> Was passierte am 15. April in Dachau? Wurde Mohamed E. ein Fall von
> Polizeigewalt? Alkohol war im Spiel, am Ende stand der noch unaufgeklärte
> Tod.
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Berlin taz | Mohamed E. ist tot. Der 29-jährige marokkanische Staatsbürger
ist am Dienstag, den 15. April 2025 in Gewahrsam der Polizei im bayerischen
Dachau kollabiert und anschließend gestorben. So viel steht fest.
Der Tod von Mohamed E. erinnert an andere Fälle: Immer wieder sterben
Menschen, oft junge rassifizierte Männer, in Polizeigewahrsam. So zum
Beispiel 2021 [1][im Fall Qosay K. in Delmenhorst] geschehen oder im Fall
Mamadou B., der Anfang 2023 zu Unrecht beschuldigt und verhaftet wurde, in
einer Zelle der Polizei Braunschweig kollabierte und daraufhin verstarb.
Auch der berühmte, bis heute nicht vollständig aufgeklärte Fall von Oury
Jalloh fällt unter diese Kategorie: Tod in Polizeigewahrsam.
Was all diese Geschichten eint: Es stellen sich sehr viele Fragen. Die
Antworten darauf sind lückenhaft, für die Angehörigen ist das eine Qual.
Und so ergeben sich auch im Fall von Mohamed E. viele Fragezeichen: Was
passierte am 15. April 2025 in Anwesenheit der Polizist*innen in
Dachau? Unter welchen Umständen ist Mohamed E. ums Leben gekommen? Hätte er
diese Polizeimaßnahme überleben können? Und wird dieser Fall jemals
aufgeklärt werden?
Die meisten aktuellen Artikel zum Tod von Mohamed E. wurden zwei Tage nach
seiner Festnahme publiziert, oft sind die Texte mit Symbolbildern von
Händen in Handschellen illustriert. In der Süddeutschen Zeitung, bei Focus
Online [2][oder beim Donaukurier] erschienen viele Formulierungen
deckungsgleich. Die Berichte stützen sich weitestgehend auf eine Meldung
der Deutschen Presse-Agentur, die wiederum Formulierungen von einer
Pressemeldung des Polizeipräsidium Oberbayern Nord vom 17. April übernommen
hat.
## Mohamed soll „stark alkoholisiert“ gewesen sein
Laut Darstellung der Polizei sei Mohamed E. am Vormittag des 15. April
gegen 11 Uhr „stark alkoholisiert“ gewesen. Er habe an Türen und Fenster in
der Gemeinde Bergkirchen geschlagen. Daraufhin sollen Anwohner*innen
die Polizei verständigt haben. „Der Aufforderung, die Örtlichkeit zu
verlassen, kam der Mann nicht nach und wurde den Beamtinnen und Beamten
gegenüber handgreiflich“, heißt es in der Pressemitteilung.
Die Polizei schreibt weiter, dass Mohamed E. daraufhin in
Sicherheitsgewahrsam genommen worden sei: „Noch bevor die
Gewahrsamsfähigkeit des Festgenommenen durch einen bereits verständigten
Arzt geprüft und dieser in einen Haftraum verbracht werden konnte,
kollabierte dieser im Beisein der ihn begleitenden Beamten und musste
reanimiert werden. Der Mann wurde durch den sofort hinzugezogenen
Rettungsdienst in ein Dachauer Krankenhaus verbracht.“ Am frühen Nachmittag
des 16. April sei der Tod von Mohamed E. registriert worden.
Mohamed E. ist einer von vielen jungen Arbeiter*innen, die aus Südeuropa
nach Deutschland gekommen sind. Es ist der Fachkräftemangel in der Pflege,
der Gastronomie oder der Logistik-Branche die junge Migrant*innen wie
Mohamed E. dazu motivieren, ihr Glück in Deutschland zu versuchen. Mohamed
E. besaß einen Aufenthaltstitel für Italien, wo seine Familie lebt. Er
arbeitete in einem Restaurant in Ingolstadt. Sein Arbeitgeber habe die
Wohnung gestellt, heißt es aus Unterstützerkreisen. Die ehrenamtlich
Engagierten wollen anonym bleiben. Mohamed E. sei kurz vor seinem Tod
gekündigt worden. Er sei somit obdachlos geworden, heißt es.
## Keine Nachricht an die Familie
Laut Recherchen habe die Familie E. erst eine Woche nach dem Polizeieinsatz
von Mohameds Tod erfahren. Es sei die Schwester von Mohamed E. gewesen, die
mit Unterstützung des marokkanischen Konsulats recherchiert habe. Die
deutschen Behörden haben aus Sicht der Angehörigen trotz der vorliegenden
Daten von Mohamed E. keinen ernsthaften Versuch unternommen, die Familie zu
unterrichten. Die Polizei gibt an, dass „keine in Deutschland aufhältlichen
Angehörigen ausfindig gemacht werden“ konnten.
Videos, die der taz vorliegen, dokumentieren die Bestattung von Mohamed E.
Wie ein Imam in einer Münchner Moschee mit mehreren Gläubigen das
Totengebet abhält. Der Geistliche sagt, dass Gott alles sehe und alles für
uns Menschen Verborgene wisse. Auf einem anderen Video wird der Leichnam
von Mohamed E. in ein Flugzeug von Royal Air Maroc verladen. Angehörige
trauern und beten für Mohamed E. In einem weiteren Video, das von Mohamed
E. Schwester aufgenommen wurde, ist die Beerdigung in der
mittelmarokkanischen Kleinstadt Khouribga zu sehen. In der Stadt, in der
Mohamed E. einst geboren wurde, wird sein Leichnam auf dem Friedhof nach
islamischen Ritus bestattet. Es sind viele Trauergäste anwesend, Mohamed E.
verstarb alleine in der Diaspora, zu seinem letzten Ruheort begleiteten ihn
viele in einem Autokorso.
Und all diese Trauernden fragen sich: Warum musste dieser junge Mann
sterben? In mehreren Dokumenten, die ebenfalls der taz vorliegen, steht ein
Eintrag, der die Zweifel der Angehörigen an der Darstellung der Polizei
nähren könnte. Sowohl in der Todesbescheinigung, im Leichenpass und der
behördlichen Freigabe zur Beerdigung von Mohamed E. ist jeweils vermerkt:
„Todesursache ungeklärt“.
## Flach und regelmäßig geatmet
Auf einen ausführlichen Fragenkatalog antwortet das Polizeipräsidium
Oberbayern Nord mit mehr Details zum Ablauf der Festnahme am 15. April.
Demnach habe es eine Sprachbarriere beim Einsatz gegeben, Mohamed E. habe
sich gegen die Maßnahmen der Polizei körperlich gewehrt und versucht zu
flüchten. Zwei Beamt*innen hätten ihn daraufhin eingeholt und mit
Handschellen gefesselt. Er sei daraufhin mittels eines Dienstfahrzeugs zur
Polizeiinspektion Dachau verbracht worden. Nun gibt die Polizei an, dass
sich Mohamed E. während der Fahrt beruhigt habe, er habe flach und
regelmäßig geatmet. Stimme sogar einem Alkoholtest zu, der allerdings daran
scheiterte, dass er nicht genug Atemluft in das Messgerät pusten konnte.
Nach Eintreffen in der Dienststelle, habe die Polizei einen Arzt „zur
Feststellung der Gewahrsamstauglichkeit“ verständigt. Routine in der
alltäglichen Polizeiarbeit.
Vor Eintreffen des Arztes sei Mohamed E. in der Zelle kollabiert. Die
Polizei gibt an, dass die anwesenden Polizist*innen lebenserhaltende
Maßnahmen eingeleitet und den Rettungsdienst verständigt hätten. Nach einer
Reanimation sei Mohamed E. ins Krankenhaus gebracht worden, wo er am
nächsten Tag verstorben sei.
Die Frage, ob beim Polizeieinsatz Bodycams an den Uniformen angebracht und
gegebenenfalls angeschaltet waren, ob es weiteres Material aus
Überwachungskameras in der Dienststelle existiert lässt das
Polizeipräsidium unbeantwortet. Bei der Nachfrage, ob es eine Obduktion
gegeben habe verweist das Polizeipräsidium auf die Staatsanwaltschaft
München II, die mit dem Todesermittlungsverfahren betraut ist.
## „Kardiale Problematik“ ist ein vager Begriff
Auf schriftliche Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass eine
Obduktion des Leichnams des Verstorbenen zur Klärung der Todesursache
angeordnet und am Institut für Rechtsmedizin in München durchgeführt worden
sei. Das schriftliche Obduktionsergebnis für den 29-jährigen Verstorbenen
liege noch nicht vor. „Vorab wurde mitgeteilt, dass nach vorläufiger
Beurteilung eine kardiale Problematik als Todesursache naheliegend
erscheint“, informiert ein Sprecher der Staatsanwaltschaft München II.
„Kardiale Problematik“, also eine Todesursache am Herzen, ist laut
Expert*innen einer von mehreren vagen medizinischen Begriffen, die
weltweit nach Todesfällen in Polizeigewahrsam genutzt werden, um die
beteiligten Polizist*innen pauschal zu entlasten. Dabei bleiben die
eigentlichen Gründe, die zum Tod führten oft unklar. In der Vergangenheit
gab es zum Beispiel in Deutschland tödliche Fälle in Polizeigewahrsam
[3][bei denen eine Fixierung eine Rolle spielte]. Auf eine schriftliche
Nachfrage, ob Mohamed E. in Dachau während er kollabierte gefesselt war,
antwortete das Polizeipräsidium Oberbayern Nord, dass während des
Transportes zur Dienststelle die Handschellen „aus Gründen der
Eigensicherung“ nicht abgenommen worden seien. „Als Herr E. vor dem
Verbringen in den Haftraum durchsucht werden sollte, brach er unvermittelt
zusammen“, schreibt die Polizei. Danach seien die Handfesseln sofort
entfernt worden.
Und so bleiben die meisten Fragen zum Tod von Mohamed E. derzeit noch
unbeantwortet. Die polizeilichen Ermittlungen zum Tod von Mohamed E. hat
automatisch die Kriminalpolizeiinspektion Fürstenfeldbruck übernommen.
Beide Polizeibehörden in Dachau und Fürstenfeldbruck unterstehen dem
Polizeipräsidium Oberbayern Nord.
7 May 2025
## LINKS
[1] https://www.nds-fluerat.org/aktionen/kampagnen-archiv/toedlicher-polizeiein…
[2] https://www.donaukurier.de/lokales/landkreis-dachau/dachau-mann-kollabiert-…
[3] /Nach-Polizeieinsatz-in-Koenigs-Wusterhausen/!5926538
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizeigewalt
Oury Jalloh
Verdachtsfall
Tatort
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Polizeigewalt
Tag der Arbeit / 1. Mai
Schwerpunkt Rassismus
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