# taz.de -- Nicht anerkannter Völkermord: Die Dersim-Gemeinde weiht in Berlin … | |
> Ein Stein erinnert an das Massaker von 1937. Es handelt sich dabei um ein | |
> verschwiegenes türkisches Verbrechen – und deutsche Verantwortung. | |
Bild: Die Dersim-Gemeinde trauert um die Opfer des Verbrechens | |
Berlin taz | „Dieser Stein ist eine Stimme, die sich Gehör verschafft.“ Mit | |
diesen Worten eröffnet Kemal Karabulut, Vorsitzender der Föderation der | |
[1][Dersim Gemeinden] in Europa, die Denkmaleinweihung am Waterloo-Ufer in | |
Kreuzberg am Sonntagnachmittag. | |
[2][Das Denkmal] in Form eines 1,70 Meter großen Steines ist noch in ein | |
schwarzes Tuch gehüllt und steht auf einem Podest. Das Datum der Einweihung | |
ist nicht zufällig gewählt: Es ist der 4. Mai, der Gedenktag des Massakers | |
an alevitischen Kurd:innen und Zaza im Osten der Türkei in den [3][Jahren | |
1937 und 1938]. Dieses Jahr jährt sich das Massaker zum 88. Mal. Rund 100 | |
Menschen sind trotz des kühlen Wetters gekommen, um bei der Einweihung | |
dabei zu sein. | |
Der Stein des Denkmals wurde unter anderem angefertigt mit Materialien aus | |
Dersim selbst. So hieß die Region, bevor sie von der türkischen Regierung | |
ins heutige Tunceli umbenannt wurde. Dort bearbeitet, wurde er dann für den | |
Transport nach Berlin eingepackt. | |
Durch einen elektrischen Mechanismus lässt sich der Stein öffnen und | |
schließen, nahezu geräuschlos und recht schnell. Geöffnet offenbart er die | |
Namen der Orte, an denen die Verbrechen stattfanden – und die Form eines | |
menschlichen Herzens. Die Künstlerin Ezgi Kilicaslan, die den Stein | |
entworfen hat, sagt: „Geschichte darf nicht aus der Perspektive der | |
Mächtigen erzählt werden“ und erhält dafür viel Beifall. | |
## Fast 80.000 Menschen wurden Opfer des Verbrechens | |
Als das Denkmal, von alevitischen Geistlichen enthüllt wird, erklingt der | |
Gesang einer Überlebenden, der über Lautsprecher abgespielt wird. Vor der | |
Enthüllung sprachen rund 15 Vertreter:innen aus Politik, Kultur, | |
Betroffenen-Initiativen, Überlebende und ihre Nachfahren. Sie berichteten | |
von den grausamen Verbrechen der türkischen Armee und welche Bedeutung | |
dieses Denkmal für sie hat. Sie sprachen auf Deutsch, Türkisch und Zazaki. | |
Grund für das Massaker war die imperiale Vorstellung von Kemal Atatürk, dem | |
Gründer der Türkei, von einem homogenen türkischen Volk. Um das zu | |
erreichen, beging die türkische Armee grausame Verbrechen in der heutigen | |
Provinz Tunceli, die bei Nachfahren der Überlebenden bis heute Dersim | |
heißt. | |
Beinahe 80.000 Menschen wurden Opfer dieses Vorgehens. Es gilt als der | |
zweitgrößte Massenmord in der Geschichte der Türkei. Größer ist nur der | |
Genozid an den Armenier:innen, den die Türkei 1915 verübte. | |
Als die Sonne durch die Wolken bricht, bildet sich eine Traube um den | |
Stein. Nach und nach sehen sich ihn die Menschen an und bleiben beinahe | |
ehrfürchtig vor ihm stehen. Die einsetzende Stille ist nicht erdrückend, | |
sondern berührend. | |
„[4][Die Enthüllung dieses Denkmals] ist Teil eines Heilungsprozesses für | |
die Diaspora und hat auch außerhalb Dersims eine große Bedeutung“, sagt | |
Rojda Arslan der taz. Sie ist privat als Teilnehmerin der Veranstaltung | |
gekommen, weil „der von der Bundesregierung nicht als solcher anerkannte | |
Genozid dieses Denkmal braucht“, so Arslan weiter. | |
Ihre Freundin Zelal ergänzt: „Dass so viel Leid dahinter steht, aber es | |
wenig Anerkennung gibt. Besonders wenig von der Täterseite.“ Damit meint | |
sie die Türkei. Diese stünde viel mehr in der Verantwortung, was die | |
Aufarbeitung und, finden die beiden Teilnehmer:innen. | |
## Eines Tages soll die Region wieder Dersim heißen | |
Der Berliner Linken-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser ist anwesend und | |
hofft, dass die Provinz „eines Tages wieder Dersim heißt“. Eine Hoffnung, | |
die von der Berliner Dersim-Gemeinde geteilt wird. | |
Auch Stimmen aus der Wissenschaft kommen zu Wort. Beispielsweise berichtet | |
die Stadtforscherin Gülsah Stapel, wie sie aufgrund ihrer Forschung von | |
türkischen Nationalist:innen angegriffen wird und wie wichtig es | |
dennoch ist, auf das Leid von Dersim aufmerksam zu machen. | |
Auf die [5][deutsche Verantwortung] an dem Massenmord verweist die | |
Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut von der Linken: Die Deutschen würden | |
die Türkei mit Waffen unterstützen, sagt sie. Sie fordert, dass der | |
Bundestag dieses Verbrechen als Genozid anerkennt. Er müsse „verdammt noch | |
mal die deutsche Verantwortung“ ernst nehmen und aufarbeiten. | |
5 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://dersim-fdg.org/verein | |
[2] /Gedenken-an-das-Dersim-Massaker/!6085343 | |
[3] /Gedenkstaette-fuer-das-Dersim-Massaker/!5553397 | |
[4] /Denkmalstreit-in-Berlin/!5588005 | |
[5] /Streit-um-Aleviten-Mahnmal/!5325864 | |
## AUTOREN | |
Raweel Nasir | |
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