# taz.de -- Kanzlerwahl mit zwei Wahlgängen: Sensation: Abgeordnete sind auch … | |
> Die Aufregung über die Merz-Wahl ist völlig übertrieben. Man nennt es | |
> parlamentarische Demokratie – und Abgeordnete sind keine Parteisoldaten. | |
Bild: Regt Euch ab, er hat's dann ja doch geschafft: Merz bekommt bei Steinmeie… | |
Staatskrise, ein neues Weimar? Nach dem [1][ersten, gescheiterten Wahlgang | |
bei der Kanzlerwahl von Friedrich Merz] konnte man leicht diesen Eindruck | |
gewinnen. Der politische und der mediale Betrieb standen kurz vor der | |
Hyperventilation: „Unverzeihlich“, schrieb das Hamburger Abendblatt, | |
T-online sah „Heckenschützen“ am Werk, und der Münchner Merkur meinte gar, | |
eine „Verwahrlosung der politischen Mitte“ diagnostizieren zu müssen. | |
Praktisch überall zog sich der hässliche Begriff „Abweichler“ durch die | |
Kommentierung – ein Wort, mit dem im Staatssozialismus die | |
Nicht-Linientreuen gebrandmarkt wurden. | |
Geht’s noch? Das, was am Dienstag passierte, nennt man parlamentarische | |
Demokratie. Ein Kanzler, eine Kanzlerin wird nicht bei Bundestagswahlen | |
gewählt. Er oder sie kommt auch nicht durch Koalitionsverträge ins Amt – | |
auch wenn man wegen der zunehmenden Unsitte, [2][die Unterzeichnung von | |
Koalitionsverträgen wie einen Staatsakt zu inszenieren], leicht den | |
Eindruck bekommen kann. | |
Nein, die Abgeordneten wählen den Kanzler. Sie sind keine | |
Abstimmungsmaschinen, sondern politische Wesen, die sich ihre eigenen | |
Gedanken machen. Und, ja, allzu menschliche Regungen wie Rachegelüste – ich | |
bin nicht zum Zuge gekommen bei der Postenverteilung! – gibt es | |
selbstverständlich auch unter Abgeordneten. | |
Wenn das Ganze als Schuss vor den Bug gedacht war und die Kanzlermehrheit | |
im zweiten Wahlgang nie ernsthaft in Frage stand, ist das doch völlig okay. | |
Das Zeichen ist gesetzt: In den Regierungsfraktionen sitzen keine | |
ParteisoldatInnen, und die Führungsleute der Koalition müssen sich ihre | |
Autorität erst erarbeiten. Das geht weder durch Drohungen noch per Dekret. | |
Die Zeiten der Zuchtmeister, vor denen Abgeordnete noch Angst hatten, sind | |
endgültig vorbei. | |
Die Aufregung zeigt, dass das auf Stabilität und Planbarkeit geeichte | |
politische System der Bundesrepublik nicht daran gewöhnt ist, dass es bei | |
geheimen Abstimmungen nun mal zu unvorhergesehenen Ergebnissen kommen kann. | |
Im Vergleich zu anderen Demokratien, wo die Regierungsbildungen oftmals | |
viel komplizierter ablaufen, lässt sich feststellen: Deutschland | |
normalisiert sich. | |
8 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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