# taz.de -- Demokratie gegen Rechtspopulismus: Verbieten und ausschließen! | |
> Der Ausschluss von Marine Le Pen von der Präsidentschaftswahl ist kein | |
> Fehler, sondern ein rechtsstaatliches Ausrufezeichen gegen eine bequeme | |
> Selbstaufgabe der liberalen Demokratien. | |
Bild: Künftig nicht mehr inmitten des politischen Geschehens: Die verurteilte … | |
[1][taz FUTURZWEI] | [2][Ein Gericht in Paris hat die Politikerin Marine Le | |
Pen zu vier Jahren Haft verurteilt, zwei davon auf Bewährung, zwei mit | |
Fußfessel.] Dazu kommen 100.000 Euro Strafe und wegen ihrer | |
Uneinsichtigkeit ein fünfjähriger Verlust ihres passiven Wahlrechts. Und | |
nun wird es besonders interessant: Der Entzug des Wahlrechts ist sofort | |
gültig, er wird auch durch die eingelegte Berufung nicht ausgesetzt. | |
[3][Marine Le Pen] ist damit eine Präsidentschafts-Kandidatur 2027 | |
verwehrt. | |
Grund für die Verurteilung: Le Pen hat 2012 ein illegales, von ihrem Vater | |
[4][Jean-Marie Le Pen] aufgebautes Finanzierungssystem ihrer | |
rechtsnationalen Partei durch veruntreute EU-Parlamentsmittel von über 4 | |
Millionen Euro übernommen und ausgebaut. | |
Le Pen ist schon dreimal angetreten, 2022 hat sie mit 41,5 Prozent relativ | |
knapp gegen den liberalen Europäer [5][Emmanuel Macron] verloren, aktuell | |
lag sie in allen Umfragen für die Präsidentschaftswahl 2027 mit Abstand an | |
der Spitze. Marine Le Pen zum Urteil: „Das System hat eine Atombombe | |
gezündet, ein dunkler Tag für die Demokratie, die Richter wollen mein | |
politisches Leben vernichten, sie haben Praktiken eingeführt, von denen man | |
dachte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten. Wenn so starke Waffen | |
eingesetzt werden, dann deshalb, weil wir kurz davor stehen die Wahlen zu | |
gewinnen.“ | |
## Das wahre Gesicht des RN | |
Le Pen hat in den letzten Jahren versucht, ihre Politik nationalkonservativ | |
zu soften. Zum einen mit dem Ausschluss ihres Vaters aus der von ihm selbst | |
gegründeten Partei „Front National“(FN) wegen seines offenen Antisemitismus | |
und seiner Holocaust-Leugnung, zum anderen mit der Umbenennung in | |
[6][„Rassemblement National“ (RN)]. | |
In ihren Kommentaren zum Urteil zeigt sie nun ihr wahres politisches | |
Gesicht. Ihre Unterstellung vom systemisch bedingten Versagen der Justiz, | |
deren angeblich politisch motivierten Urteilen, sowie ihre Weigerung, die | |
Rechtskraft der Justiz anzuerkennen, bestätigen nur, was immer ihre Ziele | |
gewesen und geblieben sind: Eine politische Offensive gegen die | |
Unabhängigkeit der Justiz und die Herrschaft des Rechtsstaates. | |
Wegen des politischen Versagens der Gesellschaft und ihrer politischen | |
Repräsentanten im Kampf gegen Le Pen hat das Urteil der Richter – obwohl es | |
allein auf Recht und Gesetz aufbaut – das Gewicht einer letzten Barriere | |
gegen die Dekonstruktion der demokratischen Institutionen und | |
möglicherweise aller zukünftigen Wahlen in Frankreich. | |
## Stärke der Rechtsstaatlichkeit | |
In [7][Ungarn], in [8][Italien], in [9][Polen] zu Zeiten der | |
[10][PIS]-Regierung, haben die Gerichte als Handlanger der Herrschenden | |
funktioniert. Umso bedeutender ist, dass die Justiz in Frankreich mit | |
diesem Urteil ihre Selbstverortung als unabhängiges und nur der Verfassung | |
verpflichtetes Machtorgan bekräftigt. | |
In Deutschland wird, neben der Bewunderung für die Rechtsklarheit des | |
Urteils, in nahezu allen Medien sein politisches Gewicht als „Treibstoff | |
für den Populismus“ kritisiert. Das Urteil befeuere das Narrativ der | |
Polit-Märtyrerin Le Pen. | |
Sie könne sich jetzt in der Opferrolle präsentieren und die Justiz als | |
Feindin der potentiellen Mehrheiten des „Volkes“ und dessen politischer | |
Freiheit. | |
Für den politischen Diskurs wäre es besser gewesen, so der Tenor, Le Pen | |
zwar zu verurteilen, aber auf ihren faktischen Ausschluss von den | |
Präsidentschaftswahlen zu verzichten. Die Feinde der Demokratie müssten mit | |
politischen Mitteln geschlagen werden. | |
## Konkrete Folgen statt folgenlosem Diskurs | |
Dieser Anspruch ist illusorisch. Mit Argumenten im politischen Diskurs sind | |
Rechtsradikale nicht auszubremsen. Hier wird davon ausgegangen, dass die | |
Machtansprüche der [11][AfD] in der Bundesrepublik, des RN in Frankreich, | |
[12][Melonis] Fratelli d' Italia in Italien, [13][Wilders]' Partei für die | |
Freiheit in den Niederlanden und ähnliche Parteien in den westlichen | |
Demokratien wegen ihres illiberalen Inhalts scheitern werden. Genau das | |
sehen diese Parteien als Beleg der strukturellen Schwäche des | |
demokratischen Systems. | |
Das Urteil gegen Marine Le Pen weist mit seiner konkreten Wirkung auf den | |
Machtanspruch der geltenden politischen Ordnung hin. Gesetze und | |
demokratische Verfassung sind kein Spielplatz für ihre Feinde, sie sind mit | |
starken Instrumenten des Gewaltmonopols nach innen ausgestattet. | |
So kann auch die AfD mit einem gut begründeten Parteiverbot von ihrem | |
Durchmarsch an die Macht aufgehalten werden. Wenn das unterbleibt, besteht | |
die Gefahr, dass vor allem die Konservativen ihr eher zu Steigbügelhaltern | |
der AfD werden. | |
Zusätzlich wäre zu überlegen, wie ein demokratischer Imperativ so in die | |
„zwingenden Gründe“ eingefügt werden kann, die einen Ausschluss von Wahlen | |
rechtfertigen (Art. 38, Abs.1, Grundgesetz), dass das Prinzip der | |
Allgemeinheit der Wahl nicht beschädigt wird. Alle Demokratien des Westens | |
könnten zudem vom kampfbereiten Überlebenswillen der demokratischen | |
Gesellschaft in Südkorea lernen. | |
## Jedes legitime Mittel ist recht | |
Mit Massenstreiks und Demonstrationen hat sie den Putsch | |
rechtskonservativer Populisten und ihres Präsidenten verhindert und seinen | |
Rücktritt erzwungen. Gerade hat das Verfassungsgericht seinen Sturz als | |
rechtmäßig legitimiert. Das ist Demokratie at its best. | |
Die Abwehr der Machtansprüche rechtspopulistischer Parteien wird nur dann | |
gelingen, wenn die demokratischen Gesellschaften und ihre Institutionen | |
bereit sind, zu allen formalen und politischen Machtmitteln zu greifen, um | |
sie aufzuhalten. | |
Eine Machtergreifung von Illiberalen über Mehrheiten bei Wahlen ist eine | |
Perversion legitimer demokratischer Mehrheitsbildung. Wenn sie dennoch | |
gelingt, ist davon auszugehen, dass Demokraten ein Leben unter | |
autokratischer Herrschaft nicht fürchten und sich eher damit einrichten, | |
als sich zu wehren. | |
Das Urteil von Paris ist ein starkes rechtsstaatliches Ausrufezeichen gegen | |
eine bequeme Selbstaufgabe. | |
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7 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Udo Knapp | |
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