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# taz.de -- Tötung von Rotkreuz-Helfern: „Persönlich tut es weh“
> Jürgen Högl leitet den Gaza-Einsatz der Internationalen
> Rotkreuz-Föderation. Nach dem tödlichen Angriff auf seine Mitarbeiter
> verlangt er Konsequenzen.
Bild: Jürgen Högl
taz: Herr Högl, [1][Israels Armee hat in Gaza 15 humanitäre Helfer
erschossen], darunter Sanitäter des Palästinensischen Roten Halbmonds. Was
ist die Position des Roten Kreuzes zu diesem Vorfall?
Jürgen Högl: Diese Tat ist aufs Schärfste zu verurteilen. Sie bricht mit
dem humanitären Völkerrecht. Sie waren als Helfer im Einsatz, um Leben zu
retten, und haben das mit ihrem Leben bezahlt.
taz: Können Sie beschreiben, was genau passiert ist?
Högl: Am frühen Morgen des 23. März ist ein Ambulanzteam des
Palästinensischen Roten Halbmondes nach einem Notruf aufgebrochen, um im
Gebiet von Tal al-Sultan in Rafah Hilfe zu leisten. Nach kurzer Zeit ist
der Kontakt abgebrochen. Es wurden weitere Verstärkungsteams, darunter eine
Ambulanz des palästinensischen Zivilschutzes, in den Einsatz entsandt. Auch
zu ihnen ging der Kontakt verloren. Wir haben über eine Woche versucht,
Zugang zum betroffenen Gebiet zu erhalten. Das wurde uns verweigert. Am 30.
März, wurden dann unsere schlimmsten Befürchtungen Realität. Wir haben
endlich Zugang bekommen und die Leichen von insgesamt 14 KollegInnen, acht
MitarbeiterInnen des Palästinensischen Roten Halbmonds, fünf Mitarbeitern
des palästinensischen Zivilschutzes und eines UN-Mitarbeiters gefunden,
zusammen mit ihren zerstörten Fahrzeugen.
taz: Wie steht das im Einklang mit der Genfer Konvention, dem rechtlichen
Fundament Ihrer Arbeit?
Högl: Das humanitäre Völkerrecht ist klar und eindeutig: Die
Zivilbevölkerung, humanitäre Helferinnen und Helfer und medizinische
Einrichtungen sind zu schützen. Wir haben uns im Gaza-Konflikt und auch in
Israel wiederholt mit Brüchen des humanitären Völkerrechts konfrontiert
gesehen.
taz: Wie soll es nun weitergehen?
Högl: Was es jetzt braucht, ist eine Untersuchung dieses Vorfalls. Und er
war nicht der einzige, mit dem wir uns in den letzten beiden Wochen
konfrontiert gesehen haben: Es gab den Beschuss eines Büros des
Internationalen Roten Kreuzes in Rafah, es gab einen Angriff auf eine
UN-Unterkunft. All diese Aktivitäten müssen schonungslos aufgeklärt werden
und die Verantwortlichen müssen sich den entsprechenden Konsequenzen
stellen.
taz: Sie haben in vielen Konflikten gearbeitet. Wie wirkt sich der Tod von
Kollegen auf Ihre Organisation aus?
Högl: Persönlich tut es weh, Kollegen und Kolleginnen sterben zu sehen. Wir
haben als Rotes Kreuz in diesem Konflikt 36 MitarbeiterInnen verloren.
Sechs auf israelischer Seite, dreißig auf palästinensischer Seite. Es gibt
wenig, was uns als humanitären Helfern, die wir grundsätzlich gewohnt sind,
jeden Tag mit Tod und Leid zu arbeiten, so nahegeht wie der Verlust derer,
mit denen wir täglich Seite an Seite dafür kämpfen, anderen zu helfen.
taz: Fürchten Sie, dass solche Vorfälle Ihre Arbeit in künftigen Konflikten
gefährden könnten?
Högl: Das Risiko, dass hier Präzedenzfälle geschaffen werden, ist da. Je
weniger das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird, desto mehr wird sich
das wahrscheinlich auch in künftigen Konflikten etablieren, was wir in Gaza
sehen. Wir müssen jetzt dafür kämpfen, dass wir auch in Zukunft Menschen
helfen können, die es dringend brauchen.
taz: Sie koordinieren die Hilfe des Roten Kreuzes für Gaza. [2][Kommt
aktuell überhaupt noch etwas durch?]
Högl: Seit dem 2. März ist Gaza wieder total blockiert. Auch die
Evakuierungen von Verwundeten und Schwerkranken wurden vor drei Wochen
gestoppt. Wir haben diese Zeit genützt, um unsere Lagerhäuser auf der
nördlichen Sinaihalbinsel in Ägypten wieder zu befüllen. Sobald die Grenzen
öffnen, können wir die Hilfslieferungen sofort starten.
taz: Wie kann man sich das vorstellen? Wie viele Hilfsgüter warten in
Ägyptens Lagerhäusern darauf, in den Gazastreifen zu gelangen?
Högl: Auf 100.000 Quadratmetern lagern medizinische Hilfsgüter,
Lebensmittel, Wasser. Diese Vorräte könnten sofort nach Gaza gebracht
werden, sobald die Grenzen wieder öffnen.
taz: Und in den Lagern auf der anderen Seite herrscht das genaue Gegenteil?
Högl: Die Situation in Gaza ist katastrophal, und wir bewegen uns jeden Tag
einen Schritt näher auf den Abgrund zu. Alle Bäckereien mussten schließen,
weil es kein Mehl und kein Gas mehr gibt, um die Öfen zu betreiben. Die
medizinische Versorgung ist praktisch zusammengebrochen. Medikamente und
Verbandsmaterial sind Mangelware.
taz: Das muss für die Hilfsorganisationen vor Ort extrem frustrierend sein.
Sie sind da, [3][können aber kaum helfen], weil die Mittel fehlen?
Högl: Dass uns de facto die Hände gebunden sind, weil uns die Vorräte
ausgehen und der Nachschub fehlt, macht die Situation nicht einfacher. In
den Feldspitälern arbeiten unsere Mitarbeiter mit einem Minimum an
medizinischen Gütern, können den Menschen kaum mehr Schmerzmittel
verabreichen, wenn sie verletzt zu uns eingeliefert werden. Wir haben keine
Hilfsgüter mehr, die wir verteilen könnten. Die Menschen müssen mit den
letzten Lebensmitteln auskommen, die wir noch haben – und wir wissen, dass
auch diese bald aufgebraucht sind.
taz: Gibt es einen Punkt, an dem Sie Ihre Arbeit einstellen müssten?
Högl: Wir werden definitiv unsere Hilfe aufrechterhalten, bis wieder mehr
Nachschub kommt. Es gilt unter allen Umständen zu vermeiden, dass wir an
einen Punkt gelangen, wo wir nicht mehr helfen können, weil die
Möglichkeiten schwinden, sei es der Bewegungsfreiheit, sei es beim Zugang
zu Betroffenen oder seien es die Vorräte an Hilfsgütern, die wir brauchen,
um den Menschen das Überleben zu sichern. Wir müssen jetzt Zugang zu den
Betroffenen in Gaza bekommen.
Wir brauchen sofortige Hilfsgüterlieferungen, ohne Einschränkungen, um Not
und Elend in Gaza zu lindern. Wir brauchen die sofortige Freilassung aller
Geiseln. Wir brauchen einen Waffenstillstand. Und wir brauchen Schutz – für
humanitäre Helfer, für medizinisches Personal und für Krankenhäuser. Wenn
wir das jetzt nicht erreichen, wird die Lage noch mehr Menschenleben
fordern. Gaza wird dann als einer der traurigsten Konflikte in die
Geschichte eingehen.
6 Apr 2025
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## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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