# taz.de -- Angriff auf Hilfskonvoi: Im falschen Film | |
> Israel muss nach dem Auftauchen eines Videos seine Angaben zur Tötung von | |
> 15 Rettungskräften in Gaza revidieren. Auch die übrige Erzählung wirft | |
> Fragen auf. | |
Bild: Ein Screenshot aus dem von der Koordinierungsstelle des Roten Halbmondes … | |
Jerusalem taz | Die letzten Minuten im Leben des palästinensischen | |
Sanitäters Rif’at Radwan sind schwer anzusehen. Gefilmt mit seinem bei der | |
Leiche gefundenen Handy, zeigt das Video vom 23. März einen Konvoi aus | |
mindestens drei Krankenwagen und einem Feuerwehrauto. Deutlich | |
gekennzeichnet und mit eingeschalteten Signalleuchten nähern sie sich einem | |
weiteren Rettungswagen am Straßenrand. „Das ist der Wagen, oh Gott, ich | |
hoffe, es geht ihnen gut“, ist eine Stimme zu hören. „Da liegen sie, | |
schnell.“ Dann steigen mindestens vier der Männer aus, drei von ihnen | |
tragen rote Einsatzkleidung mit grellen Reflexionsstreifen. Wenige Sekunden | |
später bricht ein Kugelhagel los. | |
Der Bildschirm wird schwarz, doch das Telefon nimmt noch minutenlang | |
Schüsse auf. Immer wieder spricht der Filmende, mutmaßlich der 36-jährige | |
Radwan, Abschiedsgebete: „Mutter, vergib mir. Ich habe diesen Weg gewählt, | |
weil ich Menschen helfen wollte. Gott vergib mir.“ Eine Woche später wurde | |
er mit einem Kopfschuss aus einem Massengrab gezogen. | |
[1][Nach der Veröffentlichung des Videos durch die New York Times ] musste | |
die israelische Armee ihre Darstellung korrigieren. Zuvor hatte ein | |
Sprecher behauptet, der Konvoi habe sich ohne Beleuchtung, Koordinierung | |
und „auf verdächtige Weise“ Soldaten genähert. Diese Darstellung ist nun | |
offenkundig widerlegt. Doch auch die übrige Erzählung der Armee, der | |
Angriff habe Hamas-Terroristen gegolten, wirft Fragen auf. | |
Von Anfang an: Am 23. März erhielt die Koordinierungsstelle des Roten | |
Halbmondes (PRCS) im Gazastreifen laut Sprecherin Nebal Farsach einen | |
Notruf nach einem israelischen Bombenangriff auf eine Unterkunft [2][in | |
Rafah]. „Es wurden zwei Rettungswagen von zwei Stationen losgeschickt, doch | |
zu einem brach kurz darauf der Kontakt ab.“ | |
An Bord: Der 27-jährige PRCS-Sanitäter Munther Abed. Er überlebte | |
vermutlich als Einziger und schildert am Telefon aus Chan Junis seine | |
Eindrücke: Er sei im britischen Feldlazarett in Chan Junis stationiert | |
gewesen und gegen 4 Uhr morgens mit seinen Kollegen Mustafa und Ezzedin | |
Schaath zu einem Notruf in der Haschaschin-Nachbarschaft Rafahs | |
aufgebrochen. Die Signalleuchten waren eingeschaltet. Plötzlich gerieten | |
sie unter Beschuss. „Ich habe mich hinten auf den Boden geworfen, während | |
ich vorne meine Kollegen sterben hörte, bevor alles still wurde und die | |
Lichter ausgingen.“ | |
## Beweise für eine Terroristen-Tötung legt Israel nicht vor | |
Kurz darauf hätten israelische Soldaten mit Sturmgewehren und | |
Nachtsichtgeräten die Tür geöffnet und ihn festgenommen. Er habe sich bis | |
auf die Unterhose ausziehen müssen, sei gefesselt und verhört worden. In | |
Gefangenschaft habe er gesehen, wie weitere Zivilschutz- und | |
Sanitätsfahrzeuge eintrafen und nacheinander beschossen wurden. | |
Die PRCS-Einsatzzentrale versuchte laut Sprecherin Farsach über eine | |
Stunde, Kontakt zu Abeds Krankenwagen herzustellen. Schließlich entdeckte | |
ein Rettungswagen das unter Beschuss geratene Fahrzeug und alarmierte die | |
Leitstelle. Daraufhin brach der Konvoi aus dem Video auf: drei | |
Rettungswagen, zwei Zivilschutzfahrzeuge und ein Feuerwehrfahrzeug. | |
In ihrer Richtigstellung vom Samstag bestreitet die Armee, dass es sich um | |
ein Massaker oder eine Hinrichtung gehandelt habe, wie das Video nahelegt. | |
Die Besatzung eines ersten Wagens habe aus Hamas-Polizisten bestanden, der | |
Konvoi habe sich „auf verdächtige Weise“ genähert. Unter den Toten des | |
Konvois seien „sechs Terroristen“ gewesen. Beweise dafür legte der Sprecher | |
nicht vor. Der Name des angeblich getöteten Hamas-Kämpfers Amin Ibrahim | |
Schubaki, der am Terrorangriff vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein soll, | |
taucht nicht [3][unter den 15 erschossenen Rettungskräften] auf. Auch die | |
Frage, was am Verhalten der Rettungskräfte „verdächtig“ gewesen sei, blieb | |
unbeantwortet. Der Fall werde untersucht und dem Generalstab vorgelegt. | |
Der Angriff wirft weitere Fragen auf: Die Rettungswagen sollen ihren | |
Einsatz nicht mit der Armeeführung koordiniert haben. Doch die | |
Nachbarschaft Tel Sultan wurde erst am Morgen des 23. März um 8.31 Uhr von | |
Armeesprecher Avichai Adraee zum Kampfgebiet erklärt. Zudem beklagen | |
Hilfsorganisationen, dass die Armee seit Wiederaufnahme der Angriffe die | |
Koordinierung humanitärer Fahrten im Gazastreifen teilweise verweigere. | |
## Auch der Rettungswagen wurde vergraben | |
Alle Schüsse seien laut der Armee aus der Ferne abgegeben worden. Berichte | |
von Bergungskräften und einem palästinensischen Forensiker widersprechen | |
dem. Der Gerichtsmediziner Ahmad Dhaher, der nach dem Angriff fünf der | |
Toten untersucht hat, sagt am Telefon: „Alle bis auf einen wurden mit | |
mehreren Kugeln getötet.“ Erste Untersuchungen würden nahelegen, dass sie | |
exekutiert wurden. Die Schüsse seien sehr gezielt und auf bestimmte | |
Körperteile gerichtet gewesen und wahrscheinlich „nicht aus der Ferne“ | |
abgegeben worden. Allerdings schränkt Dhaher ein, dass die Leichen teils | |
verwest waren, was eine klare Beurteilung erschwere. Ob die Opfer vorher | |
festgehalten oder gefesselt wurden, ließ sich nicht feststellen. | |
Dass die Armee sowohl die Leichen als auch die Rettungswagen nach dem | |
Angriff im Sand vergraben hat, sorgt für weitere Irritation. Laut einem | |
Sprecher geschah dies, um die Toten vor wilden Tieren zu schützen. Warum | |
auch die Fahrzeuge von Bulldozern zerstört und vergraben wurden, bleibt | |
ungeklärt. Nach dem Angriff habe die Armee den Vereinten Nationen sofort | |
den Ort mitgeteilt und sie zur Bergung aufgefordert, erklärte der Sprecher. | |
Diese Darstellung widerspricht jedoch den Angaben von PRCS und UNO, die | |
erst eine Woche später zum Ort gelangten. | |
Der 23. März war laut Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften der | |
tödlichste Angriff auf Mitarbeiter seit 2017. Ein Einzelfall ist er nicht: | |
Seit Kriegsbeginn wurden 27 PRCS-Mitarbeiter getötet. Laut UN starben in | |
den vergangenen 18 Monaten 408 ihrer Mitarbeiter bei Angriffen in Gaza. | |
6 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2025/04/04/world/middleeast/gaza-israel-aid-workers… | |
[2] /Israelische-Bodenoffensive-in-Gaza/!6080437 | |
[3] /-Krieg-in-Nahost-/!6079835 | |
## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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