Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wahlkampf in Lichtenberg: Bleibt Lichtenberg rot?
> Wenn eine Partei in Lichtenberg das AfD-Direktmandat verhindern kann,
> dann ist es wohl die Linke. Im Bezirk bekannt ist keine der beiden
> Kandidatinnen.
Bild: Fotocall nach einer Podiumsdiskussion: Ines Schwerdtner (Linke) und Schü…
Berlin taz | Lichtenberg ist ein Bezirk mit Plattenbauten und
Gründerzeitarchitektur, mit mittelhübschen Shoppingmalls und in die Jahre
gekommenen S-Bahnhöfen, mit Asia-Imbissen und Barbershops. Und ausgerechnet
hier schickt die AfD ihre Spitzenkandidatin Beatrix Amelie Ehrengard Eilika
von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, ins Rennen um das
Direktmandat. Wenn sie zu Wahlkampfauftritten kommt, wie beispielsweise
letztes Wochenende im [1][Dong-Xuan-Center], erscheint sie auch eher wie
eine graue Maus.
Doch in Lichtenberg war einst schon die NPD stark. Bei den Europawahlen
2023 wählten hier 17,5 Prozent der Wähler die AfD, weniger zwar als in
Marzahn-Hellersdorf und etwa gleich viel wie in Treptow-Köpenick, aber
deutlich mehr als in vielen anderen Bezirken. Und: Alle Gegner der AfD um
das Direktmandat in Lichtenberg haben im Bezirk keinen bekannten Namen.
Im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen, der von Plattenbauten
geprägt ist und in dem viele sozial benachteiligte Menschen wohnen, wählten
bei den Europawahlen 35 Prozent die AfD. Eine AfD-Hochburg? Die
oberflächliche Betrachtung trügt. Tatsächlich ist Neu-Hohenschönhausen eher
eine Hochburg der Nichtwähler. Die Wahlbeteiligung lag bei den Europawahlen
nur bei knapp über 50 Prozent. Hier plant der Berliner Senat, mehrere
Geflüchtetenunterkünfte zu errichten. Für die AfD, aber auch für das BSW,
das in Lichtenberg als bisher einzigem Bezirk eine eigene BVV-Fraktion hat,
war dies im vergangenen Jahr bereits ein Dauerthema.
Wenn jemand das AfD-Direktmandat verhindern kann, dann ist das am ehesten
die sich [2][im Aufwind befindende Linke]. Sie schickt in ihrer
traditionellen Hochburg ihre Co-Bundesparteichefin Ines Schwerdtner ins
Rennen. „Eine, die sich kümmert“ – das wird zumindest plakatiert. Doch d…
in Sachsen geborene und in Hamburg aufgewachsene Publizistin ist in
Lichtenberg wenig vernetzt und bekannt.
## Strategie Haustürwahlkampf
Die langjährige Wahlkreisabgeordnete Gesine Lötzsch, die nicht erneut
antritt, hat in einem Brief an alle Lichtenberger Haushalte um die
Erststimme für Schwerdtner geworben, um das AfD-Direktmandat zu verhindern.
Doch selbst einfache Mitglieder der Linkspartei wissen im Berliner Osten
manchmal nur wenig über ihre neue Parteichefin und Direktkandidatin.
Der Berliner Osten ist für die Linke überlebenswichtig: Es waren unter
anderem die Direktmandate von Gesine Lötzsch und Gregor Gysi im
benachbarten Treptow-Köpenick, dank der die Linken es 2021 in den Bundestag
schaffte. Sollte die Partei, die bundesweit laut Umfragen derzeit um die 7
Prozent liegt, an der Fünfprozenthürde scheitern, dann wäre das
Direktmandat von Schwerdtner wichtig für den Bundestagseinzug.
Das wissen die Wahlkämpfer der Linken. In den Ortsteilen Friedrichsfelde,
Fennpfuhl, Neu-Hohenschönhausen und im Weitlingkiez führen sie
schwerpunktmäßig ihren Haustürwahlkampf durch. „Wir haben an 63.000
Haustüren geklingelt“, sagt Antonio Leonhardt vom Bezirksvorstand. „Wir“…
das seien rund 800 Ehrenamtler. Seit Jahresbeginn verzeichnet die Linke
auch in Lichtenberg einen riesigen Mitgliederzuwachs. Zu einst 850
Mitgliedern seien 300 neu hinzugekommen und der Mitgliederzuwachs halte an,
so Leonhardt.
„Es sind überwiegend junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren, die zu uns
kommen und sie gehen auch sofort in die Aktion, das heißt, sie machen beim
Haustürwahlkampf mit.“ Oder auch andersherum: Sie beteiligten sich zuerst
am Haustürwahlkampf und würden möglicherweise später in die Partei
eintreten. Leonhardt: „Preissteigerung, Mieten und Renten sind die Themen,
die den Bürgern unter den Nägeln brennen. Auch der Frieden spielt eine
Rolle. Mit großem Abstand folgt dann das Thema Migration.“
## Zwei „von hier“
Die Linke erinnert sich derzeit wieder ihrer Stärken aus den 1990ern als
PDS: Da war sie die „Kümmererpartei“, die sich der vielen kleinen Themen
vor der Haustür annahm. „Das haben wir vernachlässigt“, sagt Leonhardt.
„Das tun wir jetzt wieder mehr, beispielsweise mit einer Mieterberatung.“
Nach dem Vorbild der österreichischen KPÖ verzichtet Ines Schwerdtner als
Parteichefin auch auf einen Teil ihres Gehaltes. Alles, was über 2.700 Euro
netto liegt, fließt in einen Fond, aus dem soziale Projekte unterstützt
werden. So will sie es auch mit ihren Diäten als Bundestagsabgeordnete
halten, hat sie erklärt. Soziale Themen sind ihr wichtig, genau wie die
Ablehnung jeder Erhöhung des Rüstungsetats.
Glaubt man den im kommunalen Raum nur vage aussagekräftigen Umfragen, dann
liefern sich AfD und Linke derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das
Lichtenberger Direktmandat. Ihre wichtigsten Kontrahenten, CDU und BSW,
haben allerdings die Schwachstellen beider Parteien klar analysiert: Beide
werben mit Direktkandidatinnen, die Lichtenberg wenig kennen. CDU und BSW
stellen darum in den Vordergrund, dass ihre Kandidaten Danny Freymark und
Norman Wolf „von hier“ sind und wüssten, was Lichtenberger und
Hohenschönhausener bewegt.
CDU-Mann Freymark ist in Neu-Hohenschönhausen aufgewachsen und Mitglied des
Abgeordnetenhauses. Auch Freymark stellt sich gegen die Pläne zur
Unterbringung Geflüchteter in Hohenschönhausen. Sollte Freymark das
Direktmandat erringen, könnte er allerdings ein trauriger Gewinner werden.
Denn die CDU könnte in Berlin mehr Direktmandate gewinnen als ihr Mandate
zustehen. Und da geht neuerdings leer aus, wer sein Direktmandat nur knapp
gewonnen hat.
## BSW-Mann selbst der CDU zu hart
Auch Norman Wolf, Direktkandidat des BSW und derzeitiger Chef der
BSW-Fraktion in der BVV, positioniert sich gegen jegliche Pläne zur
Unterbringung von Geflüchteten. Im Lichtenberger Bezirksparlament hat sich
das BSW schon gemeinsam mit der AfD für Wachschutz an Schulen
ausgesprochen.
Wolfs Ex-Genosse Antonio Leonhardt wundert sich über die rechten Parolen
von Wolf. „In der Verkehrspolitik war er auch früher Anhänger von viel
Beton und stand quer zu den Linken. Aber dass er jetzt sogar die CDU rechts
überholt, das hätte ich niemals für möglich gehalten.“ Leonhardt spielt a…
einen Antrag des BSW in der BVV an, Metalldetektoren vor Lichtenberger
Schulen zu installieren, damit Schüler und Lehrer nicht zu Opfern von
Messerangriffen werden können. „Da hat auch die CDU nicht mitgestimmt.“
Ob die Verwurzelung von CDU und BSW im Bezirk bei der Wahlentscheidung eine
ausschlaggebende Rolle spielen wird, sei dahingestellt: In der
Vergangenheit konnte die AfD mit unscheinbaren Kandidaten gute Ergebnisse
einfahren. Auch der Auftritt von US-Vizepräsident Vance auf der Münchener
Sicherheitskonferenz vor wenigen Tagen war Wasser auf ihre Mühlen. Beim
Wahlkampf am Samstag vor dem Eastgate-Einkaufszentrum im benachbarten
Marzahn bot der reichlich Zitierfähiges. Das kam bei den rund 200 Zuhörern,
überwiegend ältere Menschen, gut an.
21 Feb 2025
## LINKS
[1] /AfD-und-Berliner-Vietnamesen/!6069756
[2] /Parteienforscherin-ueber-Mitgliedszuwachs/!6068045
## AUTOREN
Marina Mai
Daniel Brandt
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Demokratie
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Direktmandate bei der Bundestagswahl: Gewonnen und doch verloren
Dank Wahlreform gehen einige erfolgreiche Direktkandidat:innen leer
aus. Betroffen sind vor allem CDU und CSU in Baden-Württemberg und Bayern.
Wahlkampf im Rückblick: Demos, Tiktok und der große Tabubruch
Der Wahlkampf war kurz, kalt und hart. Auch hinter dem Wahl-Team der taz
liegt eine intensive Zeit. Neun Momente, die uns besonders bewegt haben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.