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# taz.de -- Ulf Poschardts Buch „Shitbürgertum“: Willst du mein Freund sei…
> In „Shitbürgertum“ erklärt Ulf Poschardt einem links-grünen Milieu vul…
> den Krieg. Dabei wird deutlich, wie sehr er dieses eigentlich braucht.
Bild: Ulf Poschardt, der einsame Sisyphus
Berlin taz | Wir müssen uns Ulf Poschardt als einen unglücklichen Menschen
vorstellen. Dabei läuft es für ihn nicht schlecht: Kürzlich wurde er
[1][vom Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt zum Herausgeber einer
ganzen Axel-Springer-Dachmarke] befördert. Außerdem hat er mindestens einen
teuren Sportwagen und mehrere Bücher, auf denen sein Name steht.
Nur einen Verlag, den hat er aktuell nicht mehr. Mit den „Analysen“ in
seinem jüngsten Band mit dem Titel „Shitbürgertum“ stimme man zwar
„grundsätzlich“ überein, meinte der Verlag zu Klampen, aber „so“ woll…
das Buch nicht. Nun steht „Printed in Poland by Amazon Fulfillment“ im
Einband, der schwache Druck auf den dünnen Seiten sieht billig aus und das
anständig designte Cover präsentiert sich im Look and Feel einer
studentischen Arbeit frisch vom Copyshop.
Das macht aber nichts, im Gegenteil, denn: Wann kann ein erklärter
Porscheliebhaber sich sonst noch wie ein Punk, wann ein viel publizierter
Autor noch mal wie eine rebellische, beinahe zensierte Stimme fühlen?
Bislang war es der Gegenstand seines Essays, der Ulf Poschardt den dafür
nötigen Widerstand bot: sein Sozialcharakter des „Shitbürgertums“. Wer od…
was das ist, bleibt im Buch nicht immer widerspruchsfrei: Mal ist es
sächlich, mal weiblich (hätte ein Verlag vielleicht doch gutgetan?), mal
eine Art Habitus, dann wieder die SPD, die Grünen und sämtliche Linke
gleichermaßen wie [2][Angela Merkel], der Ethikrat oder Günter Grass.
Giorgia Meloni als „Antifa“
Klarer bleibt, wer nicht zum verhassten Milieu gehört: Donald Trump etwa,
[3][Elon Musk] natürlich, Giorgia Meloni, die laut Poschardt „Antifa“
verkörpere, oder Javier Milei.
Insbesondere das vulgäre Auftreten von Letzterem habe den Autor zu einer
inner-ideologischen Reform hin zu mehr politischer Respektlosigkeit
inspiriert: „Auch in der eigenen Denkbiographie des Autors ist dieses
Büchlein das öffentliche Bekenntnis, endgültig aus dem Selbstverständnis
gestolpert zu sein, dass man es mit dem kulturell dominanten
Links-/Grün-Bürgertum noch irgendwie hinkriegen könne oder hinkriegen
müsse.“
Den theoretischen Überbau für diese politische Konversion hat sich der
Autor erarbeitet, durch Lektüre von Friedrich Nietzsches „Zarathustra“
etwa, den er ausgiebig zitiert, mit Joseph Schumpeter, Ernst Jünger, Martin
Heidegger oder bei „South Park“ und „Batman“. Dort fand er Bestätigung…
seine Idee, dass links von der eigentlichen Bürgerlichkeit ein Moloch
voller scheißliberaler Untertanen liege – staatstreu, angepasst, dekadent
und faul.
Die genüsslich Beschimpften seien oft verbeamtet, arbeiteten in Stiftungen,
in Politik, Kultur oder der Wissenschaft – je der falschen freilich – und
müssen sehr liberal „zerstört“ werden. Auf der anderen Seite der
Bürgerlichkeit, die nicht rechts sein soll, gedeihen hingegen
Authentizität, Rebellentum und Fleiß.
Er kopiert sich selbst
Wer Poschardts Werk bisher kannte, dem könnte das erstaunlich unfleißig
vorkommen. Weite Teile des kurzen Buches entsprechen älteren
Veröffentlichungen, zum Teil bis aufs Wort. „Der freie Mensch kann
fliegen“, lautet etwa ein Kalenderspruch aus [4][„Mündig“ (2020)], und n…
„Ein freier Mensch kann fliegen.“
Aber wer braucht Originalität, wenn er performen kann? Nur: Jetzt, da
rechte, autoritäre Kräfte in den westlichen Gesellschaften dominant werden
und den angespitzten Freiheitsbegriff als Waffe gegen Minderheiten richten;
jetzt, da [5][Elon Musk in der Welt ] zur Wahl der AfD aufruft, lässt sich
die Inszenierung als liberaler Widerstandskämpfer gegen einen angeblich
linken Mainstream nicht mehr ganz so authentisch aufrechterhalten.
Und irgendwie hat der Autor es doch genossen, sich im Glanze
linksintellektueller Rebellion zu bewegen, als „Zögling und langjähriger
Nutznießer des Shitbürgertums“, wie er es formuliert.
Orientierung im Widerhall
„Fledermäuse“ nannte ein kluger Kollege solche exlinken
Schreibtischrebellen einst, weil sie sich nur im Widerhall orientieren
können. Wo das enden kann, ist bekannt: Auch der ehemalige Maoist Matthias
Matussek schwor einst feierlich seiner politischen Sozialisation ab und
endete in der Fußgängerzone, zusammen mit Rechtsextremen über
„Islamisierung“ fabulierend.
Von einer solchen Ideenkarriere trennt Poschardt nicht mehr allzu viel,
insbesondere da, wo er die Deportationspläne von Trump und der AfD
verharmlost oder „Grünen-Wähler“ als eine „unerschütterlichere
Parallelgesellschaft als Menschen muslimischen Glaubens“ bezeichnet.
Eigentlich möchte man ihn doch beglückwünschen, denn nach Jahren des
Klagens gegen sein herbeigeschriebenes Feindbild befindet sich Ulf
Poschardts politische Wahnvorstellung offenbar auf dem Rückzug. Aber wo
Freude sein müsste, jammert es. Es bleibt nichts, als ihn zu bedauern, den
einsamen Sisyphus, dem das Abarbeiten an einem immer wiederkehrenden
Widerstand so viel Sinn verlieh. Eigentlich war ihm sein Shitbürgertum doch
längst ein Freund geworden.
21 Jan 2025
## LINKS
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[3] /Elon-Musk-und-Apartheid/!6061718
[4] /Ulf-Poschardts-Buch-Muendig/!5670943
[5] /Musks-AfD-Wahlempfehlung-in-der-Welt/!6056513
## AUTOREN
Konstantin Nowotny
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Stefan Aust
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