# taz.de -- Waffenruhe zwischen Israel und Hamas: Skepsis und Wut in Jerusalem | |
> Nach fast 15 Monaten Krieg könnte die Waffenruhe zwischen Israel und der | |
> Hamas kommen. Gegen den Deal protestieren vor allem rechtsreligiöse | |
> Kräfte. | |
Bild: Steine in den Weg für den Frieden: Israelis blockieren am 16. Januar ein… | |
Jerusalem taz | Es könnte [1][ein Tag der Erleichterung] in Jerusalem sein: | |
Nach 468 Tagen Krieg und Bangen um die noch immer fast einhundert Geiseln | |
im Gazastreifen könnten die Kämpfe dort am Sonntag enden und die ersten | |
Verschleppten aus den Händen der Hamas zurückkehren. Doch im | |
Parlamentsviertel in Jerusalem ist am Donnerstag wenig Begeisterung für den | |
im katarischen Doha vereinbarten Waffenstillstand zu spüren. | |
Rechtsreligiöse Aktivisten haben vor dem Obersten Gericht Zelte | |
aufgeschlagen und über Nacht zahlreiche Plakate aufgehängt: „Das ist kein | |
Sieg“, steht darauf. Auf dem Boden liegen Dutzende Sargattrappen, in | |
Israel-Fahnen gehüllt. „Wir fordern Netanjahu und die Regierung auf: | |
Stimmen Sie nicht für dieses Abkommen“, ruft Itzik Fitusi in die Mikrofone | |
der Fernsehteams. In der Hand hält er ein Plakat mit dem Foto seines am 7. | |
Oktober während des Hamas-Überfalls getöteten Sohns Ishai. „Bis zum Sieg“ | |
steht darunter. | |
Fitusi gehört zur extremistischen israelischen Siedlerbewegung. Er lebte | |
selbst bis 2005 im Gazastreifen, bis die israelische Regierung rund 8.000 | |
Siedler von dort räumen ließ. Doch seine Skepsis teilen viele Israelis: Er | |
will, dass der Krieg weitergeht – bis zur Zerstörung der Hamas. Wie das | |
angesichts der bereits jetzt beispiellosen Verwüstung und mehr als 46.000 | |
getöteten Palästinensern gehen soll? Das weiß auch Fitusi nicht. Nur, dass | |
die Gruppe nie wieder in der Lage sein dürfe, Israel anzugreifen. Und noch | |
eines seiner Argumente trifft bei vielen Israelis einen Nerv: „Wenn wir für | |
Geiseln Terroristen freilassen, die Israelis ermordet haben, werden sie uns | |
wieder angreifen“, sagt er. | |
Einige hundert Meter weiter steht seit mehr als einem Jahr das Zeltlager | |
[2][der Geiselangehörigen und ihrer Unterstützer]. Auch hier ist kaum | |
Erleichterung zu spüren. „Es ist ein großer Preis, den wir mit der | |
Freilassung von Mördern zahlen“, sagt Dani Danieli. Der 70-Jährige ist für | |
den Deal, doch „der israelischen Gesellschaft steht eine furchtbare Prüfung | |
bevor“. Als Erstes sollen laut Medienberichten am Sonntag mehrere junge | |
Frauen zurückkehren. „Niemand weiß, was ihnen in 15 Monaten Geiselhaft | |
zugestoßen ist“, sagt Danieli. | |
Abkommen steht auf der Kippe | |
Auf einem Plastikstuhl sitzt Ruti Baidatz. Die Vorsitzende der | |
Menschenrechtsorganisation „Rabbis für Menschenrechte“ ist abgemagert. Sie | |
sei seit 101 Tagen in einem Hungerstreik für ein Abkommen, sagt sie. | |
„Gestern Abend hatte ich Hoffnung, aber jetzt fühle ich vor allem Wut.“ | |
Denn das Abkommen steht kurz nach seiner Verkündung schon wieder auf der | |
Kippe. Bis Redaktionsschluss hatte das israelische Kabinett die | |
Vereinbarung nicht offiziell angenommen. „Sie spielen weiter ihr blutiges | |
Spiel mit uns“, sagt Baidatz. | |
Die Regierung ringt mit der Umsetzung. Das Büro von Regierungschef Benjamin | |
Netanjahu warf der Hamas vor, den Prozess mit Forderungen in letzter Minute | |
zu gefährden. Hintergrund sei ein Streit um Israels Recht, die Freilassung | |
bestimmter palästinensischer Gefangener abzulehnen. Die Hamas bekräftigte, | |
zu der in Katar [3][verkündeten Einigung] zu stehen. Doch auch ein Streit | |
innerhalb des Kabinetts sorgt laut Medienberichten für Verzögerungen. | |
Die rechtsreligiösen Koalitionspartner Netanjahus haben sich seit Monaten | |
gegen jeden Waffenstillstand ausgesprochen. Sie profitieren politisch vom | |
Krieg: Das Vorgehen der Armee im Gazastreifen, die fast vollständige | |
Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dessen Norden, deckt sich | |
mit den Plänen der Minister Ben-Gvir und Smotrich, die offen für eine | |
jüdische Besiedlung Gazas eintreten. Nach einem Treffen am Donnerstag gaben | |
die rechtsnationalen Parteien laut israelischen Medienberichten bekannt, | |
einem Abkommen zuzustimmen, wenn der Krieg nach der ersten Phase | |
weitergehe. Das wäre eine klare Absage an die Kernforderung der Hamas nach | |
einem endgültigen Ende der Kämpfe. | |
Der Deal könnte auch ohne sie durchgehen: Die Oppositionsführer Jair Lapid | |
und Benny Gantz erklärten ihre Unterstützung für das Abkommen. Netanjahus | |
Regierung aber würde im Falle eines Austritts der Nationalreligiösen ihre | |
Mehrheit verlieren. | |
Auf Netanjahu warten im Falle eines Kriegsendes weitere Herausforderungen: | |
Die Untersuchung des Versagens der israelischen Sicherheitsbehörden | |
angesichts des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 durch eine staatliche | |
Untersuchungskommission hat er bisher abwenden können. Jüngsten Umfragen | |
zufolge sind aber weiterhin rund 80 Prozent der Israelis für eine solche | |
Aufarbeitung, die nach Kriegsende beginnen könnte. Trotzdem spricht laut | |
Beobachtern manches dafür, dass ein Abkommen letztlich durchkommen und | |
dauerhaft halten könnte. Der deutlich geschwächten Hamas erlaubt die | |
Waffenruhe, sich im Gazastreifen neu zu formieren und mehr als hundert für | |
Terroranschläge verurteilte Anhänger zu befreien. | |
Auch die Nationalreligiösen haben bei einem Austritt aus der Regierung viel | |
zu verlieren. [4][Israels Siedlerbewegung] ist heute so mächtig wie nie | |
zuvor. Ihre Vertreter haben ihre Agenda in den vergangenen zwei Jahren in | |
beispielloser Geschwindigkeit umgesetzt, vom Ausbau der Siedlungen im | |
Westjordanland bis zur Besetzung wichtiger Polizeiposten mit loyalen | |
Gesinnungsgenossen. Viele Siedler versprechen sich zudem viel vom künftigen | |
US-Präsidenten Donald Trump. Der dürfte über ein Scheitern des Abkommens, | |
auf das er selbst gedrängt hat, wenig begeistert sein. | |
16 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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