# taz.de -- Krieg in Nahost: Aus dem Zuhause ist ein Trümmerfeld geworden | |
> Fast alle Bewohner haben wegen des Krieges zwischen Israel und Hisbollah | |
> die südlibanesische Stadt Sour verlassen. Manche kehren ins Nichts | |
> zurück. | |
Bild: Sour in Trümmern, 8. November 2024 | |
Sour taz | Der Schein von Taschenlampen beleuchtet den Staub, der durch die | |
Schaufeln der Freiwilligen Meter hoch aufgewirbelt wird. Jedes Mal, nachdem | |
der schwere Bulldozer ruckartig zurücksetzt, um einen weiteren zerbröselten | |
Betonpfeiler aus den Trümmern zu ziehen, besteigen die Umstehenden stumm | |
den Berg an Trümmern. | |
Wie im gesamten Libanon gibt es auch im Zentrum von Sour nur selten Strom. | |
Überall in der Stadt wird in der Dämmerung auf Trümmerbergen dennoch | |
weitergearbeitet – in der Hoffnung, noch Überlebende oder Habseligkeiten zu | |
finden. Vorsichtig ziehen die Mitarbeiter des Roten Halbmondes | |
Kleidungsstücke hervor. Bewohner des Gebäudes entdecken zerbrochenes | |
Geschirr und Möbel aus ihrer Wohnung. Wie viele Tote noch unter dem Berg | |
liegen, weiß niemand. „Wir sind nach Beginn der [1][Bombardierungen] Hals | |
über Kopf nach Beirut zu Verwandten geflohen“, sagt Mohammed Haidar. Von | |
einigen Nachbarn des ehemals sechsstöckigen Hauses fehle noch immer jede | |
Spur. Die schweren Betondecken der einzelnen Stockwerke liegen wie | |
Papierbögen aufeinander. | |
Laut dem Bürgermeister von Sour, Hussein Dbouk, wurden während der zwei | |
Monate anhaltenden, intensiven Phase des Krieges zwischen der | |
Hisbollah-Miliz und Israel 55 Mehrfamilienhäuser in der | |
120.000-Einwohner-Stadt zerstört. Ganze Straßenzüge in der Hafenstadt sind | |
vom Krieg gezeichnet. Trümmer aus Glas und Beton liegen auch noch Hunderte | |
Meter von den Einschlagsorten der Bomben entfernt auf den Straßen. | |
Sour, eine der ältesten durchgehend bewohnte Städte der Region, ist wegen | |
seiner römischen Ruinen und Sandstrände im Sommer bei Touristen aus dem | |
ganzen Libanon beliebt. Mehrheitlich leben hier Schiiten, die Fahnen der | |
Hisbollah und auch der Amal-Miliz gehörten vor dem Krieg zum Straßenbild. | |
Auf den Trümmern ihrer Häuser schwenken viele Rückkehrer nun wieder die | |
gelbe Flagge der Hisbollah, auch an der Strandpromenade weht sie im kalten | |
Dezemberwind. | |
Auch unter Schiiten gibt es kritische Stimmen zur Hisbollah. Aber viele in | |
Sour sind auch überzeugt: Die Guerillataktik der Hisbollah-Kämpfer, einige | |
davon aus Sour, habe einen größeren Einmarsch der israelischen Armee | |
verhindert. Den [2][Waffenstillstand] sehen sie als Sieg. Die Trümmer ihres | |
Hauses seien der Beweis, wie viel schlimmer es noch hätte kommen können, | |
wären die Israelis weiter vorgerückt, sagt einer der Helfer. | |
Bereits zwei Stunden nachdem der Waffenstillstand ausgerufen worden war, | |
kamen die ersten vor den Bombardierungen geflüchteten Bewohner aus der etwa | |
80 Kilometer entfernt gelegenen Hauptstadt Beirut zurück. Mohammed Haidar | |
wagt sich vorsichtig über die Trümmer in seinen kleinen Supermarkt, dessen | |
Überreste am Rand des Gebäudes erhalten geblieben sind. Der rechte Teil des | |
kleinen Ladens ist eingestürzt. „In vier Tagen Arbeit könnte ich den Laden | |
wieder eröffnen“, sagt der 44-Jährige. „Damit mehr Menschen zurückkommen. | |
Aber es gibt weder Wasser noch Strom in unserem Viertel.“ | |
Wegen der Trümmer und der nicht explodierten Bomben warnen die | |
libanesischen Behörden vor übereilter Rückkehr. „Uns aus Sour wird vom Rest | |
des Landes eine gewissen Dickköpfigkeit nachgesagt“, lacht Bilel Kashmar, | |
der Leiter des Zivilschutzes. In den nächsten Monaten muss er sich um die | |
Beseitigung Tausender Tonnen von Trümmern kümmern. „Nun scheinen die | |
Menschen aus Sour beweisen zu wollen, dass sie es tatsächlich sind. Es | |
kommen fast alle zurück und starten einen eigentlich unmöglichen | |
Wiederaufbau“, sagt er. | |
Auch wenn wohl fast alle der über 400.000 aus dem Süden geflüchteten | |
Libanesen in ihre Häuser zurückkehren wollen, glauben an einen dauerhaften | |
Waffenstillstand nur wenige. Das Summen von Drohnen am Himmel über Sour | |
sehen viele als Beweis, dass dieser nur für die Hisbollah, aber nicht für | |
die israelische Armee gilt. | |
## Hoffnung: Armee und Blauhelme sollen Hisbollah ersetzen | |
Und es gibt viele Hindernisse: Überall in der Stadt mangelt es an | |
Baumaterial, Lebensmitteln und Benzin. Wohnraum ist nach der Zerstörung | |
ganzer Straßenzüge knapp. | |
Kashmar hofft auf baldige Hilfe der Vereinten Nationen. Denn die finanziell | |
am Boden liegende libanesische Regierung hat schon Probleme, die Verlegung | |
der Armee in die Pufferzone zu bezahlen. Die römischen Ruinen von Tyros – | |
der bis heute oft verwendete altgriechische Name Sours – wurden von der | |
Unesco zum Weltkulturerbe ernannt, erklärt er – und auch diese wurden in | |
Mitleidenschaft gezogen. Damit Sour wieder aufleben könne, benötige man | |
internationale Hilfe. | |
Erst wenn die libanesische Armee und die 10.000 Blauhelme der Unifil-Truppe | |
die Stellungen der Hisbollah ersetzen, könne sich die Lage entspannen, hört | |
man in den Cafés der Stadt. Bis Ende Januar gilt die [3][60-tägige | |
Waffenruhe], bis dahin haben Hisbollah und auch die israelische Armee Zeit, | |
ihre Stellungen zu räumen. | |
„Ich kann es mir nicht leisten über die große Politik nachzudenken“, sagt | |
der Fischer Anis Hussein. Er hat sein acht Meter langes Holzboot | |
seetauglich gemacht und flickt Löcher in den Fangnetzen. „Bei unseren | |
Verwandten im Norden haben wir zu viert in einem Zimmer gehaust.“ Nun könne | |
er sich als Fischer bei der Versorgung der Rückkehrer nützlich machen. | |
Zusammen mit einem Dutzend anderer Fischer diskutiert der 34-Jährige, ob | |
das Fischen vor der Küste wieder sicher ist. Die fischreichen Monate | |
Oktober und November haben die Männer durch den Krieg bereits versäumt. Und | |
ob für die von der israelischen Armee erlassene Sperrzone für die Fischer | |
von Tyros weiterhin gilt, wissen sie bis jetzt nicht. | |
11 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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