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# taz.de -- Präsidentschaftswahlen im Iran: Machtprobe für Irans Wahlsieger
> Der Reformer Peseschkian gewinnt die Präsidentschaftswahlen. Die Frage
> ist, wie groß sein Drang zur Reform ist – und wie viel Einfluss er hat.
Bild: Hat sich gegen den Hardliner Said Dschalili durchgesetzt: Mahmoud Pesesch…
Berlin taz | In der Islamischen Republik Iran gab es bisher ein allgemeines
Muster bei Wahlen: Bei hoher Wahlbeteiligung siegt der Kandidat des
reformorientierten Flügels, bei niedriger Beteiligung gewinnen die
Hardliner. Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen 2024 brachen jedoch mit
diesem Muster. Trotz einer niedrigen Wahlbeteiligung von 40 Prozent [1][im
ersten] und 49 Prozent im zweiten Wahlgang, [2][den niedrigsten Werten in
der Geschichte der Präsidentschaftswahlen des Landes], gewann der
reformorientierte Kandidat Masoud Peseschkian mit 53 Prozent der Stimmen.
Peseschkian, der von reformorientierten Persönlichkeiten und Strömungen
unterstützt wurde, erhielt über 16 Millionen Stimmen. Sein Hauptkonkurrent
gilt als Hardliner und kam auf 44 Prozent der Stimmen, etwa 12 Millionen.
Von den 61 Millionen Wahlberechtigten gingen rund 30 Millionen zur Wahl. So
zumindest laut offiziellen Angaben, deren Wahrhaftigkeit die
Kritiker*innen des Regimes allerdings infrage stellen.
Masoud Peseschkian, dessen höchste politische Position bisher das Amt des
Gesundheitsministers war, kandidierte bereits 2021 für die Präsidentschaft,
wurde jedoch vom sogenannten Wächterrat, der die Kandidaten prüft und die
Wahlen überwacht, disqualifiziert.
Der 70-Jährige studierte vor der Islamischen Revolution 1979 Medizin und
setzte seine Ausbildung danach in der Herzchirurgie fort. Von 1994 bis 2000
war er Präsident der Medizinischen Universität Tabris, einer der größten
medizinischen Universitäten Irans. In der zweiten Amtszeit von Präsident
Mohammad Khatami, dem ersten reformorientierten Präsidenten Irans und
Anführer der Reformbewegung, wurde Peseschkian 2001 Gesundheitsminister.
## Scharfe Kritik an Gewalt gegen Demonstrant*innen
Nach dem Amtsantritt von Mahmoud Ahmadinejad 2005 zog sich Peseschkian für
drei Jahre aus der Politik zurück. 2008 kehrte er als Abgeordneter für die
Stadt Tabris ins Parlament zurück, zu einer Zeit, in der viele
Reformorientierte vom Wächterrat disqualifiziert wurden.
In einer seiner bekanntesten Reden im Parlament kritisierte er das
gewaltsame Vorgehen gegen Demonstrant*innen im Jahr 2009 nach den
umstrittenen Präsidentschaftswahlen scharf – als einer von sehr wenigen
Abgeordneten. Nach seiner Rede kam es zu einem minutenlangen Aufruhr im
Parlament.
Peseschkian, der in der kurdischen Stadt Mahabad im Westen Irans geboren
wurde, aber aserbaidschanische Wurzeln hat, konnte durch die Betonung
seiner Herkunft einen Teil der Stimmen der Aserbaidschaner*innen
gewinnen, die sich aufgrund ethnischer Diskriminierung benachteiligt
fühlen. Während seiner Wahlkampagne sprach er in den aserbaidschanischen
Städten nicht Persisch, sondern Aserbaidschanisch.
Auch im Zuge der Proteste 2022, bekannt als „Frau, Leben,
Freiheit“-Bewegung, war Peseschkian der einzige Parlamentsabgeordnete, der
die [3][Gewalt gegen Demonstrant*innen] kritisierte und eine
Untersuchung der Todesursache von Jina Mahsa Amini forderte, die im
Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei ums Leben kam. In seiner
Wahlkampagne betonte er dieses Thema immer wieder und stellte sich als
Vertreter der Protestbewegung dar.
## Ambivalente Haltung zu Hijab
Peseschkian sprach sich wiederholt gegen die gewaltsame Durchsetzung des
Hijab-Gesetzes aus, ohne jedoch die obligatorische Hijab-Pflicht selbst in
Frage zu stellen. Die Opposition erinnerte an ein Interview von 2014, in
dem Peseschkian mit Stolz sagte, bereits einen Monat nach der Revolution
1979 in dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, das Tragen des Hijab
obligatorisch gemacht und Frauen ohne Hijab entlassen zu haben.
Ein weiteres zentrales Wahlversprechen Peseschkians war, die
Interneteinschränkungen zu lockern und die Blockaden von
Social-Media-Plattformen aufzuheben. „Ich werde alle Anstrengungen
unternehmen, um das ineffiziente Blockierungssystem zu reformieren und
Tausende von Online-Unternehmen, die Millionen von Iraner*innen
beschäftigen, wieder in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren“, sagte er.
Allerdings liegt die Entscheidung über Internetzensur de facto nicht beim
Präsidenten, sondern beim sogenannten Obersten Rat für den Cyberspace.
Dessen Mitglieder werden mehrheitlich von Ayatollah Ali Khamenei, dem
Obersten Führer der Islamischen Republik, ernannt.
Im Hinblick auf die Außenpolitik hat Peseschkian versprochen, „die
internationalen Spannungen abzubauen und eine aktive Diplomatie sowie eine
konstruktive Interaktion mit der Welt wiederherzustellen“. Die Hardliner
werfen ihm vor, er wolle den Weg der Regierung von Hassan Rouhani, dem
vorherigen moderaten Präsidenten, fortsetzen. Aus Sicht der Reformbewegung
ist eine wirtschaftliche Verbesserung nur durch bessere Beziehungen zu
westlichen Mächten, vor allem zu den USA und der EU, möglich.
## Wirkungslosigkeit der präsidialen Macht
Khamenei hingegen hatte im Wahlkampf betont, der Weg zum wirtschaftlichen
Erfolg laufe nicht über die USA. Fraglich ist, inwiefern die
außenpolitischen Entscheidungen tatsächlich beim Präsidenten liegen.
In seiner ersten Rede nach dem Sieg sagte Peseschkian, er habe kein
Versprechen gemacht, das er nicht erfüllen könne. Die meisten ehemaligen
Präsidenten sehen das anders. Abgesehen von Präsident Raisi, der seine
Amtszeit nicht zu Ende bringen konnte, haben sich die drei letzten
Präsidenten über die Hindernisse und die übermäßige Einmischung der
Institutionen unter der Aufsicht Khameneis sowie die Wirkungslosigkeit der
präsidialen Macht beschwert.
Reform-Präsident Mohammad Khatami wird mit der Äußerung zitiert, einige
Leute wollten, dass der Präsident ein „Diener“ sei. Hardliner Ahmadinejad
legte diese Position in die Hände der „Schmugglerbrüder“, womit er sich a…
die Sicherheitskräfte und die Revolutionsgarde unter Khamenei bezog, und
der gemäßigte Präsident Rouhani sprach von einer „verborgenen Regierung“.
Die größte Herausforderung vor Peseschkian ist dementsprechend, seinen
Willen trotz des Widerstands dieser verborgenen Regierung durchzusetzen.
7 Jul 2024
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## AUTOREN
Omid Rezaee
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