# taz.de -- Tanzen in Iran: „Tanz ist wie Atmen“ | |
> Das Festival Tanzpol bietet Künstler:innen mit Repressions- und | |
> Migrationserfahrungen eine Bühne. Der Fokus liegt auf der iranischen | |
> Diaspora. | |
Bild: Die Performance „Keeping up with the Iranians“ von Afrang Nordlöf Ma… | |
taz: Ashkan Afsharian, Johanna Kasperowitsch, Sie haben ein Festival für | |
Tanz- und Performanceschaffende mit vorwiegend iranisch geprägter | |
Sozialisierung ins Leben gerufen. Unmittelbar vor Festivalbeginn wurde in | |
Teheran [1][der tödlich verunglückten iranische Präsident] von großen | |
Massen, darunter offenbar der Hamas-Auslandschef, der türkische | |
Vize-Präsident und Taliban-Vertreter, betrauert. Was bedeutet das für Ihr | |
Festival? | |
Ashkan Afsharian: Zunächst stellen wir fest: Es gibt einen Diktator weniger | |
in dieser Welt. In Iran muss man sich jedoch ständig den Bedingungen | |
anpassen und sieht sich permanent von massiver Propaganda umgeben. Vor dem | |
Tod von Jina Mahsa Amini gab es ein wenig Hoffnung, dass Veränderungen | |
innerhalb des politischen Systems möglich sind. Seit dem Tod ist das | |
vorbei. Es gibt keinerlei Beziehung zwischen progressiven Kräften und dem | |
Regime. Daran wird sich vermutlich auch jetzt nicht viel ändern. | |
[2][Tanz ist in Iran] starken Repressalien ausgesetzt. Trotzdem gab es eine | |
sehr spannende Untergrundszene, von der auch in Berlin immer wieder etwas | |
zu sehen war. Ist das der Grund, warum das Festival sich hauptsächlich | |
[3][iranischstämmigen Kunstschaffenden] widmet? | |
Ashkan Afsharian: Ich war Teil dieser Untergrundszene. Wir haben | |
Gastspiele, Workshops und Universitätsprofessor:innen eingeladen. | |
Aber 2020 wurden maßgebliche Protagonist:innen, deren Namen wir derzeit | |
lieber nicht in der Presse lesen möchten, verhaftet. Sie sind nun in | |
Deutschland. | |
Etwa 80 Prozent der ehemaligen Szene haben in den letzten fünf Jahren den | |
Iran verlassen, die meisten durch ein Studierendenvisum, andere als | |
Asylsuchende. Aber nicht alle haben diese Möglichkeit. Unser Festival | |
möchte sowohl eine Plattform für die Diaspora sein, als auch weiterhin den | |
Kontakt zu den [4][in Iran] verbliebenen Künstler:innen halten und sie, | |
wo es geht, unterstützen. Tanz ist für sie wie Atmen. | |
Johanna Kasperowitsch: Ohne die extrem gute Vernetzung von Ashkan wäre ein | |
solches Festival nicht möglich. Ein anderer Grund, warum wir uns auf die | |
iranische Diaspora konzentrieren, ist, dass sie mehr Sichtbarkeit braucht, | |
um weiter zu bestehen. Wir wollen uns auch für andere Communities | |
einsetzen, nur kann das, aufgrund unseres Wissensstandes und der | |
politischen Situation, noch schwieriger sein. | |
So ist es leider unmöglich, für [5][afghanische Künstler:innen] ein | |
Visum zu bekommen, geschweige denn für afghanische Menschen, die etwa ohne | |
Pass und ohne die Möglichkeit, einen zu erhalten, in der Türkei leben. In | |
Bezug auf Iran ist es ein klein wenig leichter, aber auch unfassbar schwer. | |
Kürzlich wurden bei den Potsdamer Tanztagen die mindestens 55.000 durch | |
NGOs registrierten Toten thematisiert, die beim Versuch starben, Europa zu | |
erreichen. Handelt es sich bei der künstlerischen iranischen Diaspora um | |
eine vergleichsweise privilegierte Gruppe? | |
Johanna Kasperowitsch: Mein Eindruck ist, dass die Künstler:innen, die hier | |
studieren, eher aus mittelständig bis finanziell gehobenem Bürgertum | |
kommen. Diese Menschen sprechen Englisch und haben die finanziellen Mittel, | |
anders würden sie es nicht schaffen. | |
Ashkan Afsharian: Wer als Studierender nach Deutschland kommen will, muss | |
mindestens 10.000 Euro auf dem Konto haben. Das hat auch in Deutschland | |
längst nicht jede:r. Und auch eine Tanzkarriere können sich Menschen aus | |
der Arbeiterklasse hier kaum leisten. | |
Welche formalen Probleme ergeben sich bei der Festivalkonzeption und was | |
müsste sich ändern, um Kunstschaffende aus sanktionierten Ländern zu | |
unterstützen? | |
Johanna Kasperowitsch: Es braucht von deutschen Förderinstitutionen | |
Flexibilität. Es ist unmöglich, mit iranischen Künstler:innen zu | |
kollaborieren, wenn das formal nur über in Euro ausgestellte Rechnungen | |
passieren kann. Das ist absurd. Es gibt keinen Geldfluss nach Iran, nur die | |
Bezahlung über Kryptowährung oder über Mittelspersonen. | |
Das andere Problem ist die deutsche Bürokratie. Visa-Anträge, aber auch | |
solche für Wohngeld, Krankenkasse etc., sind teilweise so komplex, dass sie | |
sogar eine retraumatisierende Wirkung haben kann, da die Menschen, die es | |
betrifft, ja ohnehin mit sehr vielen Hürden zu kämpfen haben und durch jene | |
der deutschen Bürokratie unter Umständen in eine Art Negativschleife | |
hineingeraten. | |
Leider scheint das Interesse deutscher Fördergeber, sich in dieser | |
Beziehung für einen Barrierenabbau einzusetzen, eher gering. Wir hoffen, | |
durch die Thematisierung auf unseren Festival-Panels diese Komponente nicht | |
aus den Augen zu verlieren. | |
Ashkan Afsharian: Parallel zum Festival haben wir noch ein Mentoring | |
Programm beantragt, aber das wurde nicht bewilligt. Dabei ging es darum, | |
junge Künstler:innen für einige Monate einzuladen, sodass sie sich | |
weiterentwickeln können. Wenn es wirklich darum geht, Arbeitsbedingungen zu | |
verbessern, dann gibt es wenig Unterstützung, auch was unsere eigenen | |
Strukturen angeht. Unterstützung, die eine Grundlage für Veränderungen | |
schaffen möchte, braucht Kontinuität und Zeit. | |
26 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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