# taz.de -- Die Wahrheit: Mit dem Knüppel in der Hand | |
> Leserreaktionen können das Seltsamste am Journalismus sein, vor allem | |
> wenn einen als Autor das Thema eigentlich gar nicht interessiert. | |
Das Leben eines Journalisten ist voller Enttäuschungen. Der Artikel, den | |
ich in meinem Arbeitsleben am schnellsten schrieb und der mich am wenigsten | |
interessierte – nämlich über den Tod des guten alten Schaltgetriebes bei | |
Autos –, landete beim Publikum draußen unangefochten auf Platz eins. You | |
name it: Im März 2024 war er unter den fünf meistgelesenen Artikeln bei CNN | |
Opinion, Dutzende Onlinedienste und kleinere Medienunternehmen auf der | |
ganzen Welt griffen ihn auf. | |
Als Radfahrer, der nie ein Auto besessen hat, zeigte ich in dem Artikel | |
keinerlei Sympathie für die Machos, die ständig lauthals über die | |
Abschaffung des manuellen Schaltgetriebes schreien. Und ich schrieb, dass | |
Sigmund Freud sicherlich eine Erklärung parat hätte für ihre Hingabe an | |
einen phallischen Schaft mit einem Knopf drauf. | |
Mein Verweis auf Freud war es, der den Nerv der Zeit traf. Nur wenige | |
Minuten nachdem der Text online ging, begann ein Tsunami von Mails und | |
Kommentaren auf Social Media. Allermeist waren es negative, viele davon | |
waren gewalttätig und obszön. Es kommen immer noch welche. | |
In der Überzahl sind es männliche Benutzer manueller Schaltgetriebe, die | |
meine Freud-Referenz so verstehen, dass ich sie beschuldige, ein Wichser zu | |
sein. Andere haben das Gefühl, ich deutete an, sie seien schwul. | |
Aber nein, schreiben sie, ich sei ja schwul, weil ich überhaupt so über | |
dieses hochheilige Thema nachdenke! Ein Homo sei ich, ein Biden-Wähler, ein | |
Weichei, ein Kleinerpenisbesitzer, ein erbärmlicher Bastard, ja, ein | |
selbstgerechter Tugendbold sei ich, ein Arschloch, ein Idiot, ein | |
Verlierer, ein hochnäsiger Limousinenliberaler und ein „Deutschbag“, ein | |
deutscher Dummkopf, den sie mal eben im fünften Gang überfahren würden. | |
Es gibt auch Schaltgetriebenutzer, die mir klipp und klar einfach nicht | |
zustimmen. Zusammengefasst in dem Satz: „Warum noch Sex mit der eigenen | |
Frau haben, wenn die Schaltung den ersetzt?“ Ich bin immer noch baff, warum | |
solche Menschen Zeit damit verschwenden, mir lange Briefe über ihren ersten | |
geliebten Subaru, über den Volvo 66 GL von 1976 und ihre Sommerferien | |
schreiben. | |
Und dann gibt es noch die Frauen, die Schaltgetriebe lieben und mir | |
schreiben. Sie sind sehr beleidigt und nennen mich sogar einen Frauenfeind. | |
„Sie diskriminieren Frauen. Ich bin Autofahrerin und das ist der schlimmste | |
Artikel in der Geschichte des Journalismus.“ | |
„Paul“, spricht mich eine sehr persönlich an, „die meisten | |
Schaltgetriebefahrer, die ich kenne, sind Frauen. Und definitiv keine | |
‚Alpha-Männer‘: also Fuck off!“ | |
Ein Mann aus Virginia wiederum berichtet, seine Frau fahre manuell mit sehr | |
hohen Absätzen. Ihm habe es seine Tante in flachen Schuhen beigebracht. | |
Und dann gibt es noch den einen oder anderen Kommentator, der es ganz | |
einfach auf den Punkt bringt: „Who gives a shit anyway?“ Genau. | |
4 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Paul Hockenos | |
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