# taz.de -- Die Wahrheit: Transnistrische Frise | |
> Wie gut sind eigentlich Tiraspols Coiffeure und kann man in dem | |
> transnistrischen Gangster-„Staat“ mit netten Leuten feiern gehen? | |
Bild: Ins Gefängnis hat O.J. Simpson nicht der Mord, sondern ein versuchter Ra… | |
Als ich die sogenannte Transnistrische Moldauische Republik betrat, eine | |
von Gangstern regierte, prorussische Enklave im Osten Moldawiens, hatte ich | |
gegenüber den Grenzschützern behauptet, dass ich die Hauptstadt Tiraspol | |
besuchen wollte, um ihre „Museen“ zu besichtigen. Obwohl das winzige, | |
einstöckige Nationalmuseum wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war, | |
schwang die Tür auf. Alle Gegenstände darin, so auch eine Stalin-Büste, | |
versuchten, mich zu überzeugen, dass ich mich in der Sowjetunion befand. | |
Mein Museumsausflug endete abrupt, als zwei Frauen, die alt genug waren, um | |
Stalins Kindermädchen gewesen zu sein, aus dem Nichts auftauchten und es | |
Russisch auf mich regnen ließen. Sie machten deutlich, dass ich das Gebäude | |
sofort zu verlassen hatte. Mein Rückzug spülte mich auf die ausgestorbenen | |
Straßen einer erstickenden Diktatur. Ich hatte absolut nichts zu tun, aber | |
ein Bündel transnistrischer Rubel in der Tasche. | |
Das Einzige in Tiraspol, was noch präsenter ist, als die allgegenwärtigen | |
Lenin-Denkmäler, ist ein fünfzackiger Wildwest-Stern, das Markenzeichen der | |
mafiösen Holding „Sheriff“, die in Transnistrien alles besitzt, was es zu | |
besitzen gibt. Möglich, dass auch der Friseursalon „Hooligans“ auf der | |
Hauptstraße zum Konzern gehört. Ich hatte in Berlin keine Zeit für einen | |
Haarschnitt gehabt, und so gab ich den Hooligans eine Chance. Der kleine | |
Laden war voller Mitarbeiter, aber ohne Kunden. | |
Ein junger Mann bedeutete mir, dass ich Platz nehmen sollte. Waschen und | |
Schneiden gerieten zu einer der akribischsten Dienstleistungen, die ich je | |
erlebt habe. Mein Friseur wollte mir definitiv zeigen, dass sein Land kein | |
schlechter stalinistischer Witz war. | |
Fast vierzig Minuten lang versenkte er sich in die Aufgabe, nahm Maß und | |
schnitt so vorsichtig an meinem Schopf herum, als wäre er ein Bildhauer, | |
der an einem Meisterwerk arbeitet. Das Ergebnis war herausragend und der | |
Preis noch besser: ungefähr zwei Euro. Das gesamte Personal von Hooligans | |
sah zu, wie ich mein neues Ich bewunderte. Dann gab ich dem jungen Mann | |
zehn transnistrische Rubel Trinkgeld und ging. | |
Vielleicht war es meine neue Frise, die mich zum Gespräch mit einer jungen | |
Frau in einer Bäckerei die Straße herunter verleitete. Sie war | |
offensichtlich erpicht, mit mir englisch zu sprechen. „Kann man hier | |
feiern?“, fragte ich sie. „Klar“, antwortete sie begeistert, „aber nur … | |
Wochenende.“ – „Also, so in Discos?“, fragte ich und versuchte mir | |
vorzustellen, was „feiern“ in einem bettelarmen Polizeistaat wie | |
Transnistrien bedeuten konnte. | |
„Ja, sicher“, sagte sie. Dasselbe beschied mir die Frau auf meine Frage, ob | |
die Partygänger dann auch wirklich die Sau rausließen. „Du solltest am | |
Freitagabend wiederkommen!“, sagte sie zum Abschied. Ich schleppte mich | |
etwas erleichtert zurück zur Bushaltestelle. Immerhin hatte ich an einem | |
Ort wie Tiraspol zwei nette Leute getroffen. | |
18 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Paul Hockenos | |
## TAGS | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Transnistrien | |
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
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