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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Birnenwechseljahre
> Aus dem Leben eines Elektrikersohns: Ein nicht ganz und gar
> autobiografischer Bericht.
Bild: Wie viele Glühbirnen braucht man, um einen Witz zu erzählen?
Wer kennt sie nicht, die berühmten Glühbirnen-Witze? Das war natürlich eine
rhetorische Frage. Aber kennen Sie auch den: Wie viele Journalisten braucht
man, um eine Glühbirne zu wechseln? Antwort: 100. Einer schraubt ein, 99
stehen auf der Gästeliste.
Nun bin ich quasi seit Geburt Sohn eines Elektrikers und einer Sekretärin
und mit der Glühbirne seit jeher so vertraut wie mit der Steckdose oder dem
Prinzip von Gleich- und Wechselstrom. Also gar nicht. Denn, wie mir meine
Analytikerin später bereitwillig bescheinigte, bildete ich schnell eine
Handwerkerhemmung aus, da wo andere vielleicht eine Schreibhemmung haben.
Der Mutterkomplex war programmiert (neulich habe ich jemanden in echt
dieses Wort verwenden hören – das klang ähnlich wie das gesprochene
Sternchen). Also stelle ich mich im Zweifel gern selbst auf die Gästeliste
und lade mir 99 Elektriker ein, sobald irgendwo eine Glühbirne zu wechseln
ist.
In den schwierigen Jahren zwischen 33 und 45 lernte ich auch die Grenzen
des Handwerks kennen. Elektronik aus China sorgte dafür, dass
Haushaltsgeräte pünktlich nach Garantieschluss unreparierbar den Geist
aufgaben; Handwerker selbst wurden ähnlich unerreichbar wie schöne und
erfolgsverwöhnte Frauen; andere Dinge kamen mit nur der Hälfte der Dinge,
die es braucht. Zum Beispiel ein Duschschlauch aus dem Baumarkt mit nur
einem Dichtungsring. Und wie viele Glühbirnen braucht man, um eine
Glühbirne zu wechseln? Genau zwei, die Alte und die Neue.
## Wirkung matt, Widerstand erloschen
Mein Vater, wie erwähnt in der Tat Elektriker, der auf der Arbeit jahrelang
über Schaltkreisen brütete, die er im Leben nicht mehr aufsuchen sollte,
konnte mir auch nicht helfen, höchstens mal per Ferndiagnose. Die beiden
Lampen im Flur hatten eine Brückenschaltung, lernte ich. Da geht dann die
eine nicht ohne die andere. Der Herd hat eine Starkstromversorgung,
deswegen kann er nicht an der gegenüberliegenden Wand stehen. Staubsauger,
Stereoanlage und Wärmepumpe killen jede Sicherung. Wenn Rauchmelder
dauerpiepen, kann man sie abschrauben und weglegen, sie sind dann still für
immer. Und wie viele Deutsche braucht es, um eine Glühbirne zu wechseln?
Einen. Deutsche sind sehr effizient und haben keinen Humor.
Ob meine Mutter die war, die ständig unter Strom stand, vermag ich nicht zu
sagen. Unter fehlender Spannung schien die Ehe meiner Eltern jedenfalls
ganz bestimmt nicht zu leiden. Es war wie oft: Die Garantie lief ab, die
Ehe war kaputt. Aber was sollen noch die Eltern, wenn man selbst schon in
den Glühbirnenwechseljahren stand? Wo die Strahlung verblichen, die Wirkung
matt, die Widerstände erloschen? Statt Drogennächten und Ausschweifung gab
es Liveübertragung, E-Bike und Magnetresonanztomographie wegen
Dauerspannung im Halswirbelbereich. „Bandscheibenvorfall“ klingt so
juristisch, fast wie ein Vorabendkrimi.
## Schaltkreise schließen sich
Nach den schwierigen Jahren kommen die schweren Jahre, die man entweder mit
völligem Werteverlust für die anderen oder mit einer zweiten Kindheit vulgo
eigenen Kindern zubringt. Meinem Kind brachte ich bei, dass die Steckdose
„Nein“ heißt, mehr braucht es von Elektrik und Elektronik vorerst nicht zu
wissen. Der erste Schraubenzieher, den sie in das Nein stecken wird, kommt
früh genug. Die Schaltkreise überlasse ich dem Unterricht, der dann später
auf sie einschlagen wird. Die Gerätschaften lernt es sowieso automatisch
kennen, denn die sind uns inzwischen die Luft zum Atmen.
Vor mir stehen bald die bleischweren Jahre, die mit elektrischen
Heizkissen, Elektrorollatoren, automatischen Schmerzpumpen und stationärer
Sauerstoffversorgung einhergehen werden. Das wird dann noch mal ganz
spannend.
17 Apr 2024
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Generationen
Familie
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