# taz.de -- Kinotipp der Woche: Zweite Reihe Hollywood | |
> Nebenfiguren halten die Handlung in Gang und verleihen Filmen Tiefe. Wie | |
> gut Edward Everett Horton das konnte, zeigt die Reihe „Glorious | |
> Sidekick“. | |
Bild: Filmstill aus „The Gay Divorcee“ (1934) | |
Es zählt zu den großen Missverständnissen der Filmgeschichte, dass große | |
Filme allein von ihren Stars leben könnten. Oft ist es vielmehr das | |
Verhältnis der Protagonist_innen zu den Rollen der zweiten und dritten | |
Reihe, die die Handlung in Gang halten, ihr Tiefe verleihen. | |
Schon seit Montag widmet das Berliner Kino Arsenal einem der großen | |
Darsteller von Rollen in der zweiten Reihe des klassischen Hollywoodkino, | |
Edward Everett Horton, eine Filmreihe unter dem Titel „Glorious Sidekick“. | |
Im Nachruf bemerkte die New York Times, er habe aus der Rolle als | |
fortwährend Besorgter, der ein „Oh weh“ klingen lassen konnte, wie das Ende | |
der Welt, eine Institution gemacht. | |
In George Cukors „Holiday“ (1938) spielt er Professor Nicolas Potter, der | |
seit vielen Jahren befreundet ist mit Johnny Case, frisch zurück aus dem | |
Urlaub, frisch verlobt und Protagonist des Films. Als Potter mit seiner | |
Frau Susan auf die Verlobungsparty kommt, überlegen die beiden schon auf | |
der Türschwelle umzudrehen als sie sich dem überbordenden Reichtum von | |
Johnnys womöglich künftiger Frau Julia Seton gegenüber sehen. | |
Als sie sich einen Ruck geben und eintreten, nimmt das Fiasko seinen Lauf. | |
Ein Butler zieht Potter mit dem Überschuh einen seiner Lackschuhe vom Fuß, | |
aber er ist zu schüchtern um zu protestieren. Als der Schuh schließlich | |
wieder gefunden ist, verlaufen sich die beiden im weiträumigen Haus. Horton | |
ist der einzige Darsteller, den Cukor aus der ersten Adaption von 1930 | |
übernommen hat. | |
Bekannt machten Horton, der 1886 als Sohn eines Schriftsetzers in der | |
Druckerei der New York Times geboren wurde und von den 1920er Jahren bis in | |
die späten 1940er eine unermüdliche Film- und Bühnenkarriere hatte, aber | |
vor allem die Filme, in denen er neben Fred Astaire und Ginger Rogers | |
auftrat. | |
In Mark Sandrichs „Top Hat“ (1935) ist er der Musicalproduzenten Horace | |
Hardwick, der den Tanzstar Jerry Travers (Fred Astaire) nach London geholt | |
hat. Mindestens ebenso wichtig: Hardwick hat sich mit seinem Butler über | |
die Frage zerstritten, was das korrekte Textil ist, um es zur | |
Abendgarderobe als Mann um den Hals zu tragen. | |
Als sein amerikanischer Star auf die steife Londoner Gesellschaft trifft, | |
eröffnet das unzählige Möglichkeiten für Horton die Augen aufzureißen, zu | |
grimassieren, kurz jene Institution eines dauernervösen Herren zu | |
verkörpern, die der Nachruf der New York Times evozierte. | |
In „The Gay Divorcee“ (1934), ebenfalls von Sandrich, ist die Konstellation | |
ähnlich: Astaire spielt einen Tanzstar, Horton dieses Mal den schusseligen | |
Anwalt Egbert Fitzgerald. Wie in „Top Hat“ ist Hortons Rolle das Herz der | |
Erzählung, die die Anlässe für Astaires glamouröses Flirten mit Ginger | |
Rogers (dieses Mal als in Scheidung befindliche Mimi) bieten. In einem der | |
unzähligen Kleinode stimmt Hortons Anwalt in das kunstvolle Pfeifen eines | |
Telegrammjungen mit ein und fragt anschließend, ob dieser Zeit hätte für | |
eine Zugabe. | |
In vielen der Filme, in denen Horton mitwirkt ist er das Bindeglied | |
zwischen Haupt- und Nebenrollen, von denen viele von Schauspieler_innen | |
verkörpert werden, die das Erscheinungsbild des klassischen Hollywood | |
ebenfalls entscheidend mitprägten. Die Hommage des Arsenal an Horton ist | |
also auch als Erinnerung daran zu verstehen, jenseits die vermeintlichen | |
Hauptrollen zu blicken. Astaires Schauspiel in „Top Hat“ und „The Gay | |
Divorcee“ jedenfalls verblasst deutlich gegenüber Hortons Nebenrolle. | |
3 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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