# taz.de -- Stromausfall im Nachtzug: Der Mann im Dunklen | |
> Ich setzte mich zu dem mittelalten Mann ins Abteil. Plötzlich hielt der | |
> Zug und die Lichter gingen aus. Trotz meiner Beklemmung begann ein | |
> Gespräch. | |
Bild: Können liegen gebliebenen Zug-Reisenden Orientierung geben: Scheinwerfer… | |
Es ist schon spät, als ich in Süddeutschland in den Zug steige. Ich werde | |
erst um Mitternacht in [1][Hamburg] ankommen. Es war ein langer Tag. Die | |
Waggons sind voll, ich gehe durch die Großraumabteile in Sehnsucht nach | |
einem freien Platz. Da sehe ich ein Sechser-Abteil mit einer Schiebetür. Es | |
ist dämmrig. Nur ein einzelner Mann mittleren Alters sitzt drin. In Jackett | |
an seinem Laptop. Ein Geschäftsmann, denke ich. | |
Ich setze mich ins Abteil. Der Mann hantiert an seinem Computer. Schräg von | |
rechts sehe ich Linien und Skalen auf seinem Bildschirm und beachte ihn | |
nicht weiter. Plötzlich hält der Zug. Es seufzt, als würde dem Zug die | |
Puste ausgehen. Die Lichter gehen aus. Alles um uns ist schwarz. | |
„Tja, ohne Strom im Tunnel“, sagt der Mann neben mir. Er lacht. Ein Lachen | |
wie von einem Kommentator, der eine Situation meint, in die er gar nicht | |
selbst eingebunden ist. | |
„Oh nein!“, sage ich. Um uns scheint alles schwarze Wand. Im Tunnel ohne | |
Strom. Ein Gefühl der Beklemmung steigt in mir hoch. | |
Im Gang neben uns laufen nun Menschen mit Taschenlampen durch den Gang. | |
„Tja. Da ist kein Saft“, sagt der Mann. Er lacht wieder, als würde ihn die | |
Situation auch freuen. Ich denke, dass ich jetzt für längere Zeit mit ihm | |
im dunklen Abteil sitzen werde und kann noch nicht entscheiden, ob ich sein | |
Lachen in dieser Situation sympathisch finde oder etwas speziell. | |
„Woher wissen Sie eigentlich, dass wir im Tunnel sind?“, frage ich. Ich | |
hatte in den letzten Minuten nicht mehr nach außen geschaut. | |
„Weil es so dunkel ist“, sagt er. | |
Wir schauen nun beide nach draußen ins Schwarz, ich stelle mir eine enge | |
Tunnelwand vor. Doch auf einmal löst sich da ein helles Licht im Dunkeln. | |
Ein kleiner, gelber Punkt, der sich bewegt. Dann noch einer. | |
„Aber da sind ja Autos“, sage ich. | |
„Stimmt.“ Der Mann schaut nach draußen. Er lacht. „Dann sind wir nicht im | |
Tunnel.“ | |
„Das haben Sie aber eben sicher vorgetragen“, sage ich. „Ohne Strom im | |
Tunnel. So dramatisch.“ Er lacht. [2][Wir lachen jetzt beide.] | |
Eine Durchsage erklingt. „Der Strom ist ausgefallen. Der Lokführer | |
versucht, den Zug wieder ins Laufen zu bringen.“ | |
Wir kommen nun ins Gespräch. Er erzählt, dass er vom Norden für seinen Job | |
nach Süddeutschland pendelt. Dann erzählt er, dass er Musik liebt und dass | |
er auf diesen Fahrten Musik macht. Er nutzt das Pendeln, um [3][Musik] zu | |
produzieren. Ich schaue ihn überrascht an, wie er da in seinem Jackett | |
sitzt. Er hatte auf seinem Computer an Tonspuren gearbeitet. | |
Plötzlich geht mit einem Surren das Licht an, stockend schiebt sich der Zug | |
ein paar Meter vor und nimmt Fahrt auf. Dann hält er wieder, das Licht geht | |
aus. | |
„Tja, das war’s dann“, sagt der Mann und lacht. Er scheint etwas | |
unerschütterlich Fröhliches in sich zu haben. Er erzählt, dass er oft einer | |
Intuition folgt, wenn er Musik macht. Ein Lied sei kurz vor dem | |
[4][Ukraine-Krieg] entstanden. Er hatte nicht gewusst, dass sich ein neuer | |
Krieg ereignet, aber er hatte über Krieg gesungen. „Soll ich mal zeigen?“ | |
Er spielt die Musik an. Sie klingt überraschend gut, professionell | |
produziert. Dann ertönt seine Stimme. Kraftvoll, wehmütig, ein klarer | |
Tenor. Fast hat seine Musik etwas von Falco. Während das Stück spielt, | |
schaut der Mann zufrieden vor sich hin. | |
Von ihm geht eine besondere Energie aus. Auch die Musik ist energiegeladen. | |
Er erzählt, dass er sie nirgendwo veröffentlicht. Er komponiere sie einfach | |
für sich. Auf den Bahnfahrten. Er erzählt auch, dass er in Bands spielt und | |
auf einer Feier bei seiner Arbeit gesungen hat. „Da besteht natürlich | |
Gefahr, sich lächerlich zu machen. Aber da stehe ich drüber“, sagt er. | |
Wir kommen erst am nächsten Morgen an unserem Ziel an, doch mit dem | |
Soundtrack seiner Musik untermalt wirkt die Fahrt kürzer. Der Mann schickt | |
mir am Ende seine Musik noch zu. „Ohne Strom im Tunnel“ nennt er das Lied. | |
2 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nord/Hamburg/!p4651/ | |
[2] /Komiker-Frank-Markus-Barwasser/!5979148 | |
[3] /Kultur/Musik/!p4640/ | |
[4] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
## TAGS | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
Stromausfall | |
Zug | |
Reisen | |
Nacht | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Auf dem Weg zum Holi-Fest: Gefangen im Fahrstuhl | |
Noch niemals bin ich in einem Fahrstuhl stecken geblieben. Nun ist es mir | |
auf einer Reise durch Indien doch passiert. |