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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Charme des Marschflugkörpers
> Wo der Taurus geliebt und verehrt wird als intelligente Waffe im
> alltäglichen Leben. Ein Frontbericht aus dem oberbayerischen
> Schrobenhausen.
Eine schrille Sirene zerreißt die Morgenstille, Neugierige eilen zu den
Fenstern, Ängstliche suchen Schutz unter den Betten. Erstmals seit dem
Zweiten Weltkrieg wird im friedlichen Schrobenhausen Fliegeralarm
ausgelöst: ein Nato-grünes, zigarrenförmiges Flugobjekt von fünf Metern
Länge ist am Himmel über der idyllischen oberbayerischen Spargelmetropole
aufgetaucht.
„Grüß Gott, i bin’s, der Taurus“, dröhnt es im gemütlich bayerischen …
über alle Dächer. Der autonom fliegende Marschflugkörper kreist zunächst um
den Turm der Jakobskirche und landet dann auf dem Lenbachplatz im Herzen
der Stadt. „I hob frische Semmeln und Weißwürscht mitbracht“, verkündet …
Gerät, denn die hochmoderne Lenkwaffe verfügt nicht nur über ein
ausgeklügeltes Navigationssystem, sondern auch über ein wandlungsfähiges
Sprachmodul. Sogar eine Zapfanlage haben die findigen Ingenieure der Taurus
Systems GmbH angeschraubt, denn heute wird sich das Kriegsgerät von seiner
zivilen, sogar herzlichen Seite zeigen.
Nach dem Frühschoppen steht Taurus-Reiten auf dem umfangreichen Programm.
Anschließend führt die agile Lenkwaffe mit Schüler*innen des örtlichen
Gymnasiums „Iphigenie auf Tauris“ als Tanztheater auf, dann gibt sie einen
Rüstungsworkshop für Anfänger im Repaircafé. Abends liest die intelligente
Waffe in der alten Schweißerei aus Tolstois „Krieg und Frieden“.
Für den Taurus ist der Auftritt in Schrobenhausen ein Heimspiel,
schließlich wird der Marschflugkörper in einem Werk nur wenige Kilometer
entfernt zusammengeschraubt. Viele Einwohner grüßen das Militärmonstrum wie
einen alten Bekannten, manche hegen elterliche Gefühle. „Ich kannte den
Taurus schon, da war er noch eine kleine Platine“, bekundet ein
Mechatroniker, der in der Fabrik arbeitet.
## Ungeliebte tödliche Waffe
So beliebt ist der Taurus nicht überall in Deutschland. Viele Deutsche
haben regelrecht Berührungsängste mit tödlichen Waffen. Darauf verwies auch
Bundeskanzler Scholz, der seine Weigerung, den Taurus an die Ukraine zu
liefern, nicht zuletzt mit der mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerung
erklärte.
Deswegen hat der Freundeskreis Taurus e. V., dem neben dem
deutsch-schwedischen Hersteller auch Verteidigungspolitiker verschiedener
Parteien angehören, die Abstandswaffe in eine Charmeoffensive an der
Heimatfront geworfen.
In siebzehn deutschen Städten soll der Taurus nach dem Launch in
Schrobenhausen beim Bürgergespräch auf Tuchfühlung gehen. Auch Stippvisiten
im europäischen Ausland waren geplant, doch hat man in Rotterdam und London
Blitzbesuche deutscher Raketen noch immer in eher unguter Erinnerung.
Allerdings hat der hochkomplexe und sensible Bayer mit seinen destruktiven
Vorgängern aus Peenemünde wenig gemein.
„Er fährt sich genauso gemütlich wie mein alter Saab“, freut sich ein
pensionierter Lehrer, der eine Runde auf der Lenkwaffe drehen durfte.
„Bisher war ich ein Kritiker von Waffenlieferungen, aber das Deutschreferat
über den Begriff des Okkulten bei Strindberg hat mich überzeugt. Eins plus
für den Taurus.“
Doch sogar in Schrobenhausen melden sich kritische Stimmen. Eine Frau
bemängelt die unzeitgemäße Nomenklatur der Waffenindustrie: „Warum ist
dieser Stierphallus mit einem Gefechtskopf ausgestattet, der „Penetrator“
heißen muss? Hallo, geht es noch sexistischer?“
Es geht durchaus noch sexistischer, müssen selbst militante
Rüstungslobbyisten zugeben. Wenig inklusiv und heteronormativ zeigt sich
die männerdominierte Branche: Sogar bei hochmodernen Waffensystemen
dominieren pubertäre Fantasynamen wie „Storm Shadow“, technische
Fachbezeichnungen wie „AGM-158 JASSM“ und anzügliche Potenzprotzerei.
Doch gerade weil Waffensysteme wie „Kobra“, „Maverick“ oder „Enforcer…
namentlich kaum von Sex Toys wie „Thruster“ und „Bang Bang“ zu
unterscheiden sind, kommt es immer wieder zu peinlichen Verwechslungen.
Zuletzt bestellte ein saudischer Militär im Internet versehentlich nicht
etwa die serbische Panzerabwehrwaffe „Bumbar“, sondern eine Containerladung
des Analspielzeugs „Bum Bar“ aus chinesischer Produktion.
„Die Rüstungsindustrie muss weg von diesem Schmuddelimage“, fordert auch
Freundeskreis-Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die schwere Waffen
notfalls im Alleingang in die Mitte der Gesellschaft tragen will.
## Beeindruckend ideales Geschoss
Sogar in Schulen und Kindergärten soll Taurus auf seiner Goodwillreise
Station machen. Als Vertretungslehrer ist das beeindruckende
Fünfmetergeschoss tatsächlich ideal: Millimetergenau kann es Zielobjekte
auch auf dem Raucherhof lokalisieren und verfügt dank Mephisto-Gefechtskopf
über profunde pädagogische Überzeugungskraft. Doch dient die ausgedehnte
Promo-Tour der Lenkwaffe wirklich nur der Beruhigung der Bevölkerung?
Nachdem durch zahlreiche Indiskretionen bekannt wurde, wie komplex
Programmierung und Bedienung des Taurus in Wirklichkeit sind, drängt sich
ein Verdacht auf: Suchen Headhunter der Bundeswehr in der
Zivilgesellschaft verzweifelt nach Technikinteressierten, die ihnen
erklären können, wie man das verdammte Ding überhaupt richtig bedient?
Tatsächlich haben moderne Waffen einen Komplexitätsgrad erreicht, der ihren
Einsatz beinahe unmöglich macht. Die Besatzung der Fregatte „Hessen“, die
während der EU-Mission „Aspides“ im Roten Meer kreuzt, ist zum Beispiel
dazu übergegangen, die Drohnen der Huthi-Miliz mit Steinwürfen vom Himmel
zu holen, weil sie regelmäßig am Autorisierungsverfahren ihrer
Boden-Luft-Raketen mit PIN, Push-TAN und Passworteingabe scheitert.
Angeblich wurde im Verteidigungsausschuss kürzlich die Option diskutiert,
den noch weitaus kniffligeren Taurus nicht etwa an die Ukraine, sondern an
den Kreml zu liefern, um russische Kräfte zu binden und die Schlagkraft von
Putins Truppen zu mindern.
„Aus einer geheimen Sitzung Informationen preiszugeben, ist ein No-Go“,
schäumt FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann und droht mit einer Anzeige
wegen Geheimnisverrats.
In Schrobenhausen sind dennoch auffällig viele Uniformierte zu sehen, die
jede Interaktion des Taurus mit der Bevölkerung protokollieren. Gerade
proklamiert das Gerät einen „schweren Ausnahmefehler“, nachdem beim Zapfen
eine Halbe Weißbier in die empfindliche Elektronik getropft ist.
Abwechselnd meldet das Gerät einen „404-Error“, kündigt den Beginn der
Zielerfassung an und singt schmutzige Lieder.
Offenbar folgt der Taurus wie der französische Präsident Macron jener
politisch-militärischen Doktrin der „Strategischen Ambiguität“, nach der
wirklich kein Machtmittel von vornherein ausgeschlossen werden darf.
20 Mar 2024
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Waffen
Ukraine
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