| # taz.de -- Nachruf auf Niklaus Hablützel: Zum Leuchten gebracht | |
| > Der taz-Kollege und Opernkritiker Niklaus Hablützel ist gestorben. Er | |
| > schrieb nicht für Opernspezialisten, sondern für alle, die gute | |
| > Geschichten lieben. | |
| Bild: Niklaus Hablützel im Jahr 1995 | |
| Es war eine Krux mit seinem Namen. Mal wurde aus Niklaus ein Niklas, mal | |
| Hablützel zu Halblützel verwurstet. Manchmal zu beidem, auch das kam vor. | |
| Dann zuckte er die Achseln, als wolle er sagen: Was soll’s. Er drehte sich | |
| vielleicht eine Zigarette, immer Schwarzer Krauser oder anderes hartes | |
| Zeug, und kicherte leise in sich hinein. Sein Lachen war unverkennbar, wie | |
| seine Stimme, amüsiert, nie laut. | |
| Die Leute konnten ihn oft nicht einordnen, so war es auch mit seinem Namen. | |
| Niklaus war Schweizer, aus Biel, und sprach mit einem für Norddeutsche | |
| nicht sofort verortbaren Akzent ein fremdes, sanft klingendes Deutsch. Sein | |
| Auftreten war höflich, beobachtend, bescheiden. Eine schmale Erscheinung in | |
| Jeansjacke, Regenmantel oder dem geliebten Tweedjackett. Selbstgedrehte | |
| ohne Filter statt edler Zigarettendose. | |
| Niklaus war älter als die Kolleginnen und Kollegen aus der Kulturredaktion. | |
| Er ging schon auf Ende 30 zu, als er in den 1980er Jahren in der | |
| Kulturredaktion der taz Hamburg auftauchte. Immer freundlich, Distanz | |
| haltend, die er nicht durchbrach außer mit einem melancholischen oder | |
| ironischen Lächeln. Er, der promovierte Philosoph, der nach Ausflügen in | |
| die grüne Lokalpolitik nach neuen Beschäftigungen suchte, freute sich über | |
| die Möglichkeit, seine Kenntnisse, Vorlieben und Abneigungen in Konzert- | |
| und Theaterkritiken unter die Leute zu bringen. | |
| ## Das Vergnügen kam nicht zu kurz | |
| Er hatte lange im Orchester gespielt, Fagott, konnte Partituren lesen und | |
| liebte die Oper. Ein klassischer Feuilletonist, breit aufgestellt, der die | |
| kleine wie die große Form beherrschte und zum Leuchten brachte. Er verstand | |
| Musik- oder Theaterkritik als inhaltliche Auseinandersetzung, man lernte | |
| bei und von ihm. | |
| Wobei das Vergnügen nicht zu kurz kam. Jedem Stoff, und sei er noch so | |
| abstrus, gewann er eine spannende Geschichte ab, verstand Machenschaften | |
| und Liebschaften als das, was sie waren: nur allzu menschliche | |
| Leidenschaften, die oftmals in Verstrickungen enden. | |
| Die Redaktion der taz Hamburg, heute taz Nord, residierte damals im | |
| Nernstweg in Altona, im fünften oder sechsten Stock, wo Niklaus im kleinen | |
| Raum der Kulturredaktion mit seinen damals noch mit Schreibmaschine | |
| getippten Manuskripten erschien. Er editierte die Seiten mit den | |
| vorgezeichneten Spalten für 32 Anschläge pro Zeile ordentlich mit Schere | |
| und Kleber; fand er Formulierungen nicht gut, tippte er den Absatz neu und | |
| überklebte die Stelle sauber, statt wie andere alles wild durchzuixen. Im | |
| Grunde nahm er, so sagt es ein früherer Kollege, auf analogem Wege vorweg, | |
| was später zur Kulturtechnik des Copy & Paste wurde. | |
| ## Das Internet in der Tageszeitung | |
| Insofern ist es kein Zufall, dass Niklaus später als Redakteur für das | |
| Internet zuständig war. Für Neuerungen hatte er ein Gespür. Ihm ist es zu | |
| verdanken, dass die taz die vermutlich erste Zeitung in Deutschland war, | |
| die dem Internet eine eigene Seite widmete. Seit Ende 1995 erschien sie | |
| jeden Donnerstag, da war er schon in Berlin. | |
| Als das Projekt nach acht Jahren an sein Ende kam, schrieb Niklaus, die | |
| Seite habe ihre Funktion erfüllt: „Niemand muss mehr eigens darauf | |
| hingewiesen werden, dass es das Internet gibt.“ Weil Niklaus ein | |
| Feuilletonist war und das Internet eine Universalbibliothek, fand sich ein | |
| bemerkenswert breites Spektrum an Themen auf der Seite. In seiner Kolumne | |
| [1][„Surfbrett“] widmete er sich etwa einem Projekt des Opernfans Richard | |
| Edwards, der wie alle anderen vor ihm daran scheiterte, eine | |
| Zusammenfassung von Verdis „Ernani“ zu schreiben. Kein Wunder, meinte | |
| Niklaus süffisant: diese Oper sei schlicht zu konfus. | |
| In Berlin arbeitete er in der überregionalen Kulturredaktion und baute das | |
| heutige Ressort Wirtschaft & Umwelt mit auf. Doch das feste Eingebundensein | |
| als Fachredakteur im aktuellen Geschäft lag ihm auf Dauer nicht. Er | |
| kaprizierte sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf Opernkritiken, | |
| reiste nach Bayreuth, ging in symphonische Konzerte, in den letzten Jahren | |
| leider immer seltener. | |
| ## An die Hand genommen | |
| Als Opernkritiker schrieb er vor allem auf der [2][Berlinkulturseite der | |
| taz] – mit Leidenschaft und mit großem Wissen, das er nonchalant einfließen | |
| ließ. Von ihm an die Hand genommen, ließ sich die Schwelle zur „Hochkultur�… | |
| leicht überwinden. Was der Komponist für seine Zeit bedeutet hatte und was | |
| wir heute davon haben, was der Dirigent hervorhob und was die Regie draus | |
| machte; man wurde mit lustvollen Einschüben dahin geführt. Er schrieb nicht | |
| für Opernspezialisten, sondern für alle, die gute Geschichten lieben. Seine | |
| Kritik war oft ironisch, nahm Mängel aber meist weniger wichtig als die | |
| große Liebe zum Genre. | |
| Niklaus war diskret, auch verschwiegen. Er hatte keine Familie mehr, die | |
| Schweizer Wurzeln waren hörbar, aber gekappt. Er starb am 17. Februar 2024 | |
| im Alter von 74 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Er hinterlässt | |
| seine Lebensgefährtin, die Kunstkritikerin Brigitte Werneburg, die er bei | |
| der taz kennenlernte. Eins der vielen taz-Paare und eins der wenigen, die | |
| bis zum Ende zusammenblieben. | |
| Zwölf Jahre lang lebten wir in Schöneberg nur wenige Straßen voneinander | |
| entfernt. Manchmal sah man ihn von weitem, seine Silhouette im Regenmantel, | |
| mit dem silbrigen Lockenkopf, den Hund Richtung Volkspark ausführen. Hund | |
| Paul starb nur wenige Tage vor Niklaus. | |
| Niklaus war neugierig, konnte sich treiben lassen. Einmal nahm er einen | |
| Ortstermin auf der Wandsbeker Chaussee wahr, in einem zerbombten einstigen | |
| Arbeiterstadtteil in Hamburgs Osten. Er schrieb eine Reportage, für die er | |
| 1986 prompt beim Wettbewerb für Internationale Publizistik in Klagenfurt | |
| den Zweiten Preis gewann. „Das ist die Straße, für die niemand Zeit hat“, | |
| schrieb er, „und auch die Straße, die man sofort wieder vergisst.“ Niklaus | |
| konnte sich auf das Gewöhnliche einlassen wie auf das Ungewöhnliche. | |
| Mitarbeit: Ulrich Gutmair und Katrin Bettina Müller | |
| 27 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine Seifert | |
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