# taz.de -- Athletinnenrechte bei der Turn-WM: Auf Augenhöhe wachsen | |
> Die Deutsche Pauline Schäfer-Betz profitiert bei der Turn-WM von einer | |
> neuen Kultur des Miteinanders. Ihre alte Trainerin arbeitet nun für | |
> Österreich. | |
Bild: Guter Wettkampf: Pauline Betz-Schäfer bei der Weltmeisterschaft in Antwe… | |
Trainer Kay-Uwe Temme kann nicht hingucken, wenn seine Turnerin am | |
Schwebebalken dran ist. „Er schafft es von der Aufregung her nicht, meine | |
Balkenübung anzugucken“, sagt Pauline Schäfer-Betz: „Aber das nehme ich i… | |
definitiv nicht übel, ich merke das sowieso nicht, wenn ich oben auf dem | |
Balken stehe.“ Im WM-Mehrkampffinale an diesem Freitag und beim | |
Balkenfinale am Sonntag wird Temme anders als im Teamwettkampf Anfang der | |
Woche seine Turnerin im Innenraum der Antwerpener Turnhalle betreuen. | |
Pauline Schäfer-Betz und ihre Kolleginnen hatten einen sehr guten Wettkampf | |
gezeigt, der in der Endabrechnung der Noten aber nicht gut genug war: Um | |
0,169 Punkte verpasste das deutsche Frauenturnen erstmals seit 2007 die | |
Olympiaqualifikation als Team. Nach den Regeln des Weltverbandes bedeutet | |
dies kurioserweise, dass Pauline Schäfer-Betz sich für Paris qualifiziert | |
hat, denn die besten Mehrkämpferinnen dieser WM, die nicht einer als Team | |
qualifizierten Nation angehören, bekommen einen nominativen Spot, heißt, | |
sie bekommen ihn persönlich, nicht der Verband. | |
Richtig freuen konnte sich Pauline Schäfer-Betz darüber bisher nicht, die | |
Enttäuschung über das verpasste Ziel der Teamqualifikation ist riesengroß. | |
„Pauline ist eine der talentiertesten Turnerinnen, mit der ich je | |
gearbeitet habe“, sagte [1][Cheftrainer Gerben Wiersma] nach dem Wettkampf. | |
Der Niederländer trat seinen Job vor anderthalb Jahren an und setzt von | |
Beginn an darauf, sich auf ein gemeinsames sportliches Ziel zu | |
verständigen, sich darüber auf Augenhöhe auszutauschen und somit auch den | |
Turnerinnen selbst einen Teil der Verantwortung zum Erreichen dieser Ziele | |
anzuvertrauen. | |
Mit dieser Einstellung arbeitet auch Schäfer-Betz’ Chemnitzer Heimtrainer | |
Kay-Uwe Temme. Pauline Schäfer-Betz schätzt die offene Kommunikation auf | |
Augenhöhe, die größere Selbst- und Mitbestimmung und auch die ihr | |
übertragene Verantwortung: „Das brauchen Athleten, um zu wachsen und das | |
hat Kay einfach wahnsinnig gut geschafft, mich da mehr in die Verantwortung | |
zu ziehen.“ Sie habe so in den vergangenen Jahren auch besser verstanden, | |
„dass die Trainer auch Bedürfnisse haben und dass es wichtig ist, | |
aufeinander einzugehen“. | |
## Missstände in Chemnitz | |
In der strikt hierarchischen Ordnung nach alter Turnschule ist all dies | |
nicht wirklich vorgesehen. Auch deshalb kam und kommt es so leicht zu | |
Grenzüberschreitungen seitens allmächtiger Trainerinnen und Trainer, die | |
nicht selten in psychische Gewalt münden. Pauline Schäfer-Betz war es, die | |
vor drei Jahren gemeinsam mit anderen Turnerinnen derartige | |
[2][Verhältnisse am Chemnitzer Frauenstützpunkt] öffentlich gemacht hatte. | |
Damit hatte die 26-Jährige einen entscheidenden Anteil an dem, was der | |
Deutsche Turner-Bund unter dem Motto „Leistung mit Respekt“ mittlerweile | |
propagiert. | |
Eine umfassende Untersuchung hatte vor zwei Jahren ergeben, dass in 17 | |
Fällen – bei 22 befragten Athletinnen – „hinreichende tatsächliche | |
Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt“ durch [3][die damalige | |
Cheftrainerin Gabriele Frehse] vorlagen. Gerichtliche Auseinandersetzungen | |
auf verschiedenen Ebenen machten deutlich, dass psychische Gewalt gegen | |
Schutzbefohlene durch deutsche Gesetze momentan nicht fassbar ist. | |
Nachdem der Arbeitsvertrag zwischen dem Olympiastützpunkt Chemnitz und | |
Gabriele Frehse Ende Juni aufgelöst wurde, hat die Trainerin schnell eine | |
neue Aufgabe gefunden. In Antwerpen stand Frehse als Nationaltrainerin | |
Österreichs auf der Matte. Zur Verpflichtung der 63-Jährigen sagte die | |
österreichische Sportdirektorin Eva Pöttschacher im Juli, man dürfe „nicht | |
alles glauben, was irgendwo in den Medien steht“; sie selbst sei oft im | |
Trainingszentrum im Linz und da habe sie „noch nie etwas gesehen, das nicht | |
in Ordnung ist“. | |
Generalsekretär Robert Labner erklärte: „Wenn etwas sein sollte, was in die | |
falsche Richtung geht, dann werden wir die Bremse ziehen.“ Die | |
österreichischen Turnerinnen hatten sich explizit für Frehse, die von | |
vielen als „Trainerin mit zwei Gesichtern“ beschrieben wird, ausgesprochen. | |
In Antwerpen qualifizierte sich keine österreichische Turnerin für die | |
Olympischen Spiele in Paris. | |
5 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wertewandel-im-Leistungssport/!5943105 | |
[2] /Turn-Weltmeisterin-Schaefer-ueber-Gewalt/!5728807 | |
[3] /Anklage-gegen-Turntrainerin/!5750644 | |
## AUTOREN | |
Sandra Schmidt | |
## TAGS | |
Turnen | |
WM | |
Gewalt im Sport | |
Frauensport | |
Turnen | |
Missbrauch | |
Turnen | |
Turnen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Turnen in der Kritik: Respekt verzweifelt gesucht | |
Vor drei Jahren warf Turn-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz ihrer | |
Trainerin Übergriffe vor. Der Verband wollte vieles besser machen. Was hat | |
sich getan? | |
Systemische Gewalt im Turnen: „Du wurdest missbraucht!“ | |
Im Alter von sieben Jahren beginnt die Autorin im Turnverein zu trainieren. | |
Sie erlebt Demütigungen und Gewalt. 28 Jahre später schreibt sie darüber. | |
Schikanierung von Turnerinnen: Systemische Gewalt | |
Der Deutsche Turner-Bund will die Entlassung von Trainerin Gabriele Frehse. | |
In Chemnitz aber hält man zur ihr. | |
Turn-Weltmeisterin Schäfer über Gewalt: Tägliche Übergriffe | |
Die Turnerin Pauline Schäfer, Weltmeisterin 2017 am Schwebebalken, | |
berichtet von psychischer Gewalt durch eine Trainerin. Ein Dammbruch? |