| # taz.de -- Mit Ironie durch die Weltlage: Endlich Elternsprecher! | |
| > Auf dem Elternabend, in der CDU und bei den Grünen: Manchmal kann Humor | |
| > doch die Welt retten- oder zumindest beinahe. | |
| Bild: Zum nächsten Elternabend gibt es noch mehr Schokolade | |
| Jetzt haben sie mich doch gekriegt. Obwohl ich es nicht wollte. Gar nicht. | |
| Ich hatte mir sogar extra vorgenommen, hart zu bleiben, abzulehnen, | |
| abzutauchen und notfalls abzuhauen, wenn die Frage kommt. | |
| Und jetzt bin ich trotzdem Elternsprecher. Wie konnte mir das nur passieren | |
| nach so vielen Jahren, in denen ich erfolgreich ausgewichen war? Ich bin | |
| doch kein Anfänger. | |
| Alle erziehungsverpflichteten Elternteile kennen diese jährliche, höchst | |
| jämmerliche Situation: Erster Elternabend nach den Ferien, erwachsene | |
| Menschen sitzen müde auf den unbequemen Stühlen ihrer Kinder und wundern | |
| sich zunächst, wie klein und eng so ein Klassenzimmer ist. Keiner der | |
| anwesenden Elternteile würde das alles in seinem Großraumbürojob | |
| akzeptieren. Da müsste man doch mal was tun hier und laut protestieren. Und | |
| dann kommt sie auch schon, die Frage: Möchte jemand Elternsprecher | |
| werden? Oder zeitgemäß Elternsprecher*in? | |
| Der Zungenschlag mag sich verändern, die Reaktion bleibt immer gleich: Alle | |
| schweigen, schauen weg, kriechen förmlich unter ihre Tische. Aber diesmal | |
| passiert noch etwas, für mich Entscheidendes. Auf dem Whiteboard erscheint | |
| ein Cartoon von Martin Perscheid, Gott hab ihn selig, und man sieht: lauter | |
| kleine Elterchen am Elternabend, die sich verstecken, wegschauen, unter | |
| Tische kriechen. Ja, einer springt sogar aus dem Fenster. | |
| ## Wir Gewählten bekommen eine Schokolade | |
| Damit haben mich die neuen Lehrer. Nach gefühlt fünf peinlichen | |
| Schweigeminuten sagt jemand halblaut: „Okay.“ Wer war das? Ich? Jetzt gibt | |
| es kein Zurück mehr. Nachdem ich überraschenderweise nicht sofort nach | |
| meiner Meldung tot vom Stuhl gefallen bin, erklärt sich noch eine Mutter | |
| zur Kandidatur bereit, wir werden einstimmig gewählt und bekommen eine | |
| Schokolade. | |
| Ach, könnte die Demokratie doch immer so schön einfach sein. Humor und | |
| Ironie in scheinbar auswegloser Lage, nur so kann die Welt gerettet werden. | |
| Beseelt von dem kathartischen Moment fuhr ich nach Hause, trotz | |
| unveränderter Weltlage plötzlich optimistisch und zu allen Schandtaten | |
| bereit. Vor lauter Euphorie wäre ich sogar fast in die CDU eingetreten. | |
| Denn auch die präsentierte sich auf einmal lustig und nahm die dümmliche | |
| Deutschtümelei ihres Chefs Friedrich des Kleinkarierten (Gillamoos statt | |
| Kreuzberg, prost!) treffend auf die Schippe. Mit einem genialen Werbespot | |
| der Firma Guru, worin zur Illustration der christdemokratischen | |
| Aufbruchstimmung statt des kuppeligen Reichstags der täuschend ähnliche, | |
| aber noch hässlichere Präsidentenpalast von Georgien eingeblendet wurde. | |
| Mit einer Georgienflagge! Damit packte mich auch die CDU. Denn nichts | |
| hatte mir letzthin so gut geschmeckt wie die vegetarische (!) Platte bei | |
| dem neuen Georgier in Kreuzberg, die ich nach Merz’ Bierzeltrede trotzig | |
| bestellt hatte. Und siehe da, jetzt verarschen die sich selber. | |
| Nach der bedauerlichen Korrektur der Reichstagsbilder zog ich meinen | |
| Mitgliedsantrag tief enttäuscht zurück – und freute ich mich umso mehr, | |
| dass die Grünen erstmals seit Joschka Fischer wieder Witz aufblitzen ließen | |
| und eine satirische Einlage auf die Bühne brachten. In einer gekonnten | |
| Parodie des restriktiven Singsangs, der nach bisheriger Auffassung der | |
| Grünen nur den Rechten hilft, tönte Grünen-Chefin Ricarda Lang empört, dass | |
| die Zahl der Abschiebungen noch zu wünschen übrig lasse, auch Bayern da | |
| „nicht erfolgreich“ sei und der faule Markus Söder beim Abschieben lieber | |
| „selbst mal anpacken“ sollte. | |
| Komisch: Langs übertriebene Bierzeltpersiflage wurde nicht zurückgezogen. | |
| Lachen hilft eben. Deshalb bemüht sich auch Olaf Scholz weiter unermüdlich | |
| um Karikaturen seiner Amtszeit, die im kollektiven Gedächtnis bleiben. | |
| Wahrscheinlich noch berauscht vom großen Erfolg seiner verwegenen | |
| Augenklappe, schnitt sich der Kanzler jetzt beim Rasieren, um mit einem | |
| Pflaster im Gesicht Deutschlands Zustand auch bei der UNO in New York | |
| angemessen repräsentieren zu können. | |
| Lerne: Wer Verantwortung trägt, muss Opfer bringen. Und meine Amtszeit | |
| fängt erst an. Heitere Aussichten. | |
| 23 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Wallraff | |
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