# taz.de -- Katastrophen in Libyen und Marokko: Diplomatie kann Leben retten | |
> Autoritäre Staaten bringen ihre Einwohner*innen in Gefahr. Noch | |
> gefährlicher aber sind gescheiterte Staaten wie Libyen. | |
Bild: Autowracks auf einer Straße in Derna | |
Tausende, vielleicht sogar 20.000 Tote durch [1][Überschwemmungen in | |
Libyen]: Das Land war dem Sturmtief „Daniel“ nicht gewachsen, das aus | |
Südosteuropa über das Mittelmeer nach Nordafrika zog. Wirklich überraschend | |
kommt die Katastrophe allerdings nicht, deren Ausmaß auch eine Woche | |
nach Beginn der Regenfälle in Libyen noch unklar ist. Wenn schon intakte | |
Staaten wie Griechenland oder die Türkei mit dem Extremwetterereignis zu | |
kämpfen hatten, wie hätte ein failed state wie Libyen darauf vorbereitet | |
sein können? | |
Dass es einen Zusammenhang zwischen der Katastrophe und der Klimakrise | |
gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. [2][Die wesentliche Ursache für den | |
Starkregen sehen Expert*innen in zu warmen Mittelmeertemperaturen]. | |
Richtig ist auch, dass wir uns als Gesellschaften anpassen müssen, um die | |
Folgen des Klimawandels abzufedern, Stichwort Klimaresilienz. Doch in | |
Libyen traf ein Extremwetterereignis auch noch auf einen Staat, der diese | |
Bezeichnung kaum noch verdient. | |
Dies ist der zentrale Unterschied zum zweiten nordafrikanischen | |
Katastrophenstaat der letzten Woche. Marokko wird zwar autoritär regiert, | |
der Staat aber funktioniert, ist handlungsfähig. Anders als in Marokko, wo | |
das Erdbeben ohne jegliche Vorwarnung die Häuser in sich zusammenfallen | |
ließ, war in Libyen bereits Tage vorher abzusehen, dass das Sturmtief die | |
Küstenstädte heimsuchen würde. | |
Doch es passierte kaum etwas. Warnungen gab es, nicht aber Evakuierungen, | |
Schutzwälle wurden nicht gebaut, [3][die Dämme vor der Küstenstadt Darna | |
nicht gesichert, deren Bruch die Katastrophe perfekt machte]. Klassisches | |
Staatsversagen. | |
## Wartungen wurde keine Beachtung geschenkt | |
Hochwasserschutz? Das klang bis vor Kurzem geradezu lächerlich vor dem | |
Hintergrund all der anderen Missstände in Libyen. Grob gesagt wird das Land | |
von zwei Machtzentren regiert. Genau genommen aber haben etliche | |
miteinander konkurrierende Milizen den Staat unterwandert und nutzen seine | |
Institutionen, um an Gelder zu gelangen. Korrupte Politiker stecken sich | |
Staatsgelder in die Taschen, und skrupellose Menschenhändler treiben ihr | |
Unwesen im Verbund mit den Milizen und deren Vertretern in der Politik. | |
Was in Darna passierte, ist ein Klassiker, nicht nur in Libyen: Wasser | |
sammelt sich in der Wüste, sucht sich durch Wadis den Weg ins Meer. An der | |
Küste sind – teilweise in wenigen Jahrzehnten – Großstädte entstanden, in | |
denen Themen wie der Wartung von Regenwasserkanälen, dem Bau von Fluttoren | |
oder wasserdurchlässigem Straßenpflaster keine Beachtung geschenkt wurde. | |
2009 war in der saudi-arabischen Küstenstadt Dschidda [4][etwas Ähnliches] | |
passiert, auch wenn sich die Wassermengen von damals kaum vergleichen | |
lassen mit denen, die nun in Libyen vom Himmel kamen. Doch auch in Dschidda | |
suchte sich das Wasser den Weg aus der Wüste ins Meer und verwüstete die | |
Stadt. | |
Im Nachhinein stellte sich heraus: Die Katastrophe war komplett | |
menschengemacht. Unter anderem war ein Bauunternehmer beauftragt worden, | |
ein unterirdisches Regenwassersystem zu bauen. Seine Firma kassierte die | |
staatlichen Gelder und baute auch einige Gullys, sparte sich aber die Rohre | |
unter der Stadt. Die Behörden wollten das nicht bemerkt haben. Klassische | |
Korruption. | |
## Libyen nicht als verloren akzeptieren | |
Je korrupter die Führung, desto größer ist die Gefahr, die von Starkregen, | |
Wirbelstürmen, Erdbeben und anderen Naturereignissen ausgeht. Autoritäre | |
Staaten mit ihrer meist korrupten politischen Klasse bringen ihre | |
Einwohner*innen in Gefahr. | |
Noch gefährlicher aber sind gescheiterte Staaten wie Libyen, wo zusätzlich | |
Zuständigkeiten oft ungeklärt sind, wo es nach einer Katastrophe kaum | |
möglich ist, Verantwortliche auszumachen und Schuldige zur Rechenschaft zu | |
ziehen. Libyens Regierung in der Hauptstadt Tripolis will die | |
Flutkatastrophe nun vollständig untersuchen lassen; im | |
Überschwemmungsgebiet im Osten des Landes hat sie aber gar nichts zu sagen, | |
dort herrscht eine Gegenregierung. | |
Libyen als verloren zu akzeptieren, ist jedoch nicht die Lösung – auch | |
deshalb nicht, weil es die Nato war, die 2011 mit Luftangriffen den Sturz | |
von Diktator Gaddafi ermöglichte und mit dazu beitrug, dass das staatliche | |
Machtmonopol zertrümmert wurde. | |
Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren in der Libyenkrise mit dem | |
sogenannten Berliner Prozess diplomatisch engagiert. Das war richtig, auch | |
wenn der Prozess 2021 scheiterte, als die geplanten Wahlen nicht | |
stattfinden konnten. Europa muss sich weiterhin engagieren. Den | |
Gewaltakteuren in Libyen und ihren internationalen Unterstützern gilt es | |
zumindest Zugeständnisse abzuringen. Es gilt dafür zu sorgen, dass sie die | |
Bevölkerung nicht gänzlich der Natur ausliefern. | |
16 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Flutkatastrophe-in-Libyen/!5960284 | |
[2] /Ueberschwemmungen-in-Libyen/!5956734 | |
[3] /Ueberschwemmungen-in-Libyen/!5956885 | |
[4] https://www.polsoz.fu-berlin.de/en/polwiss/forschung/international/vorderer… | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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