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# taz.de -- Vorwahlen in Argentinien: Veränderung nach zwei Jahrzehnten
> Die Vorwahlen am Sonntag in Argentinien sind mehr als nur ein
> Stimmungsbild für die Wahlen im Herbst. Ein Generationswechsel ist im
> Gange.
Bild: Für eine Überraschung gut: Der anarcho-neoliberale Ökonom Javier Milei…
Buenos Aires taz | Am Sonntag finden in Argentinien Vorwahlen statt. Rund
35 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, die Kandidat*innen für
die anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Oktober zu
bestimmen. Da die Stimmabgabe obligatorisch ist, geht es bei der Wahl auch
um das Kräfteverhältnis zwischen der linksprogressiven Regierungsallianz
Unión por la Patria (Union für das Vaterland) und der rechtsliberalen
Oppositionsallianz Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wechsel). Doch
diesmal geht es um mehr.
„Argentinien befindet sich in einer Übergangsphase“, sagt Artemio López,
Direktor des Sozialforschungsinstituts Equis. Die Tatsache, dass erstmals
weder die amtierende Vizepräsidentin und ehemalige Präsidentin Cristina
Kirchner (2007–2015) noch der ehemalige Präsident Mauricio Macri
(2015–2019) kandidieren, zeige, dass sich ein zwei Jahrzehnte dauernder
Zyklus dem Ende zuneige, so López. Zusammen mit dem verstorbenen
Ex-Präsidenten Néstor Kirchner (2003–2007) beherrschten sie zwei Jahrzehnte
lang die politische Szene des Landes.
Alle sind Söhne und Tochter der tiefen Krise von 2001, aus der ihre
linksprogressiven und liberalkonservativen Allianzen hervorgegangen sind,
so López. „2003 setzte Néstor Kirchner dem Neoliberalismus der
Vorgängerregierungen ein Modell entgegen, das auf den sozialen Einschluss
der Menschen gerichtet ist.“ Dies hat zu einer Polarisierung geführt, in
der sich die politische Mitte nahezu aufgelöst hat.
## Generationswechsel bei Kandidaten und Wählern
Da [1][der amtierende Präsident Alberto Fernández] (2019–2023) ebenfalls
auf eine erneute Kandidatur verzichtet, ist der Kampf um die Führung in
beiden Allianzen in vollem Gange. Doch nicht nur an den politischen
Schaltstellen der Macht steht der Generations- und Führungswechsel bevor,
auch wenn Kirchner und Macri weiterhin im Hintergrund die Fäden ziehen.
Unter den Wahlberechtigten ist der Generationswechsel ebenfalls im Gange.
30 Prozent der Wahlberechtigten kennen die Regierungszeit von Néstor
Kirchner nur aus den Geschichtsbüchern, und die, die heute zum ersten Mal
wählen dürfen, sind um das Jahr 2007 geboren – als Cristina Präsidentin
war, waren sie noch Säuglinge oder kleine Kinder.
Die aussichtsreichsten Anwärter*innen für eine
Präsidentschaftskandidatur sind auf Regierungsseite Wirtschaftsminister
[2][Sergio Massa] und bei der Opposition Horacio Rodríguez Larreta,
Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, sowie die Vorsitzende der
Macri-Partei PRO, Patricia Bullrich.
Für eine Überraschung könnte der anarcho-neoliberale Ökonom Javier Milei
sorgen, der mit seiner neuen Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit
schreitet voran) bei den letzten Wahlen 2021 einen Achtungserfolg
eingefahren hat. „Noch hat keiner die politische Stärke von Cristina oder
Macri“, sagt López. Sie seien „Führungspolitiker*innen des Übergangs“.…
möglichen politischen Allianzen seien komplett offen, so der
Equis-Direktor. Die politische Polarisierung werde sich jedoch fortsetzen,
zumal mit dem libertären Milei, rechts der rechtsliberalen
Oppositionsallianz, ein ernstzunehmender Akteur aufgetaucht ist.
## Umfragen sehen Opposition bei den Wahlen im Herbst vorne
Die Mehrzahl der Umfrageinstitute sagt einen Triumph der Opposition in den
Wahlen im Herbst voraus. Keine Überraschung. Die soziale Bestandsaufnahme
der Regierungspolitik fällt verheerend aus. Das alles beherrschende Thema
ist die Inflation. Nach dem am Montag vorgestellten Verbraucherpreisindex
der Stadt Buenos Aires stiegen die Preise im Juli abermals um 7,3 Prozent
im Vergleich zum Vormonat Juni. Damit klettert der Preisanstieg in den
ersten sieben Monaten des Jahres auf 63 Prozent. Private
Wirtschaftsforschungsinstitute sagen inzwischen eine jährliche Inflation
von über 120 Prozent voraus.
[3][Dabei gehört die Inflation in Argentinien quasi zum Alltagsleben]. Die
im Jahr 2000 Geborenen wuchsen mit einer jährlichen Inflationsrate auf, die
in ihren ersten 19 Lebensjahren zwischen 10 und 35 Prozent schwankte. Ab
2019 lag sie dann zum ersten Mal über 50 Prozent. Seit sich 2022 der
Preisanstieg beschleunigt hat, wird selbst den inflationserfahrenen
Argentinier*innen schwindelig.
„Der Schlüssel zum Wahlerfolg ist zu zeigen, wie die Einkommenskrise gelöst
werden kann“, so López. Mit Wirtschaftsminister Massa hat die
Regierungsallianz allerdings einen der Hauptverantwortlichen für die
miserable Lage als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vorgeschlagen.
Das Marktforschungsinstitut Focus Market hat den Verlust des Preisgefühls
kürzlich unterstrichen, indem es einen Supermarktverkaufsflyer aus dem Jahr
2007 mit einem aktuellen verglichen hat: ein Kilo Rindersteaks für 7,99
Pesos gegenüber den aktuellen 1.820 Pesos.
Der Kaufkraftverlust der Einkommen ist dramatisch. Nach Angaben des
Produktionsministeriums liegt der Nettodurchschnittslohn im formalen
öffentlichen und privaten Sektor bei 207.000 Pesos. Der Wert des
Basiswarenkorbes für eine vierköpfige Familie, der die Armutsgrenze in
Argentinien markiert, beträgt 215.000 Pesos. Noch prekärer ist die Lage im
informellen Sektor, der nahezu die Hälfte der argentinischen Wirtschaft
ausmacht. Gegenwärtig leben 40 Prozent der 46 Millionen
Argentinier*innen in Armut.
10 Aug 2023
## LINKS
[1] /Argentiniens-Praesident-in-Deutschland/!5854137
[2] /Argentinien-in-der-Wirtschaftskrise/!5871171
[3] https://www.suedwind-magazin.at/argentiniens-kampf-mit-der-inflation/
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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